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Nacht im Kopf. Christoph Heiden
Читать онлайн.Название Nacht im Kopf
Год выпуска 0
isbn 9783839269626
Автор произведения Christoph Heiden
Жанр Триллеры
Издательство Автор
»Ja, kann sein.«
»Die haben anscheinend das falsche Material benutzt.«
»Ist doch alles Fake.«
»Das Material?«
»Nein, deine Infos.«
»Stand so in der Zeitung, schwarz auf weiß.«
»Deswegen ist es nicht automatisch die Wahrheit.«
»Warum sollten sie denn lügen, mein Lieber?«
Bielecke zündete sich eine Zigarette an, inhalierte und schnaubte den Rauch durch seine Nase über den Tisch. Tom, eine Hand um die Bierflasche, die andere auf dem Oberschenkel, lehnte sich zurück. In der Hoffnung, sich von Bieleckes Gefasel abzulenken, konzentrierte er sich auf die Fliege. Bielecke neigte sich vor und fragte ihn, was man seiner Meinung nach verschleiern wolle.
»Ich hab keine Lust auf das Thema.«
»Echt peinlich für den Standort Deutschland, oder?«
»Alles Fake, alles.«
»Na ja, das kann jeder behaupten.«
»Hör zu«, presste Tom hervor. »Die bauen unterm Flughafen ein Schienennetz. Für den Notfall.«
»Falls die Lokführer streiken?«
Tom war sich unschlüssig, ob der Alte ihn auf die Schippe nahm oder es ernst meinte. Einmal hatte Bielecke mit Patrick eine hitzige Diskussion über das Thema Kondensstreifen geführt, wobei am Ende Tom seinen Bruder hatte beruhigen müssen. Für ihn selbst hatte der Clinch einen besonders bitteren Beigeschmack gehabt, schließlich entsprach Patricks Ansicht, die Regierung würde Chemikalien versprühen, der Wahrheit. Der Einsatz dieser Chemikalien sollte nämlich einen Teil der Bevölkerung unfruchtbar machen; ein Nebeneffekt und gleichzeitig der unleugbare Beweis war das massive Insektensterben. Ohne die Fliege aus den Augen zu verlieren, sagte Tom:
»Nein, im Falle eines atomaren Angriffs.«
»Du meinst, die bauen einen Atombunker?«
»Ja.«
»Clever«, meinte Bielecke, und Tom bemerkte, wie dessen Blick ebenfalls die Fliege anvisierte.
»Stört dich das nicht?«
»Mich? Wieso?«
»Das Ding wird durch deine Steuergelder finanziert. Uns Normalos wird dagegen kein Schutz gewährt, deshalb ist das Projekt auch topsecret.«
Bielecke schwieg.
»Haste dich mal gefragt, weswegen die Amis ausgerechnet hier ihre Fabrik hochziehen wollen und warum ausgerechnet jetzt?«
Bielecke führte seine Zigarette zum Fenster. »In Brandenburg ist das Land eben billig.«
»Schön wär’s«, erwiderte Tom. »Die Preise fürs Bauland steigen enorm, und dass unsere Bürokratie jeden Investor abschreckt, ist allgemein bekannt. Fakt ist: Die Amis können es woanders günstiger und vor allem unkomplizierter haben.«
»Aber niemand arbeitet so präzise wie wir.«
»Wer soll das sein? Wir?«
»Na, die Deutschen.«
»Hat dir das dein Opa erzählt? Guck mal in die Fabriken: Polen und Rumänen am Fließband, Inder am Computer.«
Bielecke ließ seine Zigarette über der Fliege kreisen, brachte dem Insekt offenbar mehr Interesse entgegen als den Geheimplänen der Regierung. Tom fühlte sich außerstande, das Thema abzubrechen. »Die Gigafactory und der Flughafen«, erklärte er, »werden binnen zwei Jahren eröffnet.«
»Wird ja auch Zeit.«
»Das müsste dich eigentlich aufhorchen lassen.«
»Warum?«
»Rat mal, wer die Züge fürs Schienennetz baut.«
»Die Amis?«
»Und wer bekommt ein sicheres Plätzchen im Bunker?«
Bielecke hob kommentarlos die Brauen, dann streifte er mit der Zigarettenspitze die Fliege. In voller Absicht. Das Tier entflammte, krabbelte jedoch weiter, bis es von der Fensterscheibe abhob und sich wie ein Partikel glühender Asche im Halbdunkel auflöste. Tom starrte über die anderen Gäste hinweg, suchte ein letztes Anzeichen für den Verbleib der Fliege. Nichts. Nur der Qualm der Zigaretten, das Licht des Kronleuchters, die bunten Girlanden und Hüte, dazwischen Gebrabbel und Gelächter und ein Discohit aus den 70ern.
Da öffnete sich die Eingangstür und sein Bruder kam hereingeschossen, als sei der Teufel hinter ihm her. An seinem Gesicht erkannte Tom, dass er in seinem eigenen Tunnel unterwegs war; unter den eng stehenden Augen schimmerten Patricks Nasenflügel in einem hellen Rot und blähten sich bei jedem Atemzug. Er streckte beide Arme hoch, krakeelte: »Leute, Leute!«, und sämtliche Gäste schauten zu ihm. »Er kommt!«
»Das Geburtstagskind!«, rief Erika aufgeregt. »Alle auf ihre Plätze!«
Vom Tresen dröhnte ein poppiges Geburtstagslied herüber, bis Erika ihren Mann aufforderte, den Song erst anzuschmeißen, wenn Jannes durch die Tür kam. Zusammen mit der Musik verstummte auch das letzte Geflüster, und eine erwartungsvolle Stille erfüllte den Raum. Die Tür öffnete sich, und das Lied erscholl laut und übersteuert, und in der Kneipe erschien August Brehm. Der Lehrer, der Pflanzenfreund. Unter der Musik und dem Raunen der Gäste explodierte Patricks Gelächter.
Tiny Dancer
Yvonne Schauder saß auf ihrem Stammplatz: Christian gegenüber, direkt unter dem Kronleuchter, möglichst entfernt von der Toilette. Sie hatte keine Lust, am Ende des Abends Bielecke beim Reihern zu hören oder Franks Fluchen, sobald er die Bescherung entdeckt hatte; außerdem behielt sie so genügend Abstand zum Fenster, wo die Gebrüder Kowalski unter ihren Papierhüten grimmig dreinschauten. Yvonne ahnte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Patrick Kowalski wegen einer Lappalie einen Streit anzettelte.
»Ich hab mit weniger Gästen gerechnet«, bemerkte sie.
»Hallo-o«, murmelte Christian. »Es gibt Freibier.«
»Wer hat das gesagt?«
»Frank höchstpersönlich.«
Ihr Mann umfasste mit einer Hand sein Bierglas, während er mit der anderen sein Smartphone bediente. Seit er sich einen Fußball-Ticker heruntergeladen hatte, hing er ständig am Handy und verglich Tabellen und Punktestände. Die schmerzlichste aller Wahrheiten lautete wohl: Auf der Welt wurde immer irgendwo Fußball gespielt.
»Weißt du, wann Jannes kommt?«
»Keine Ahnung.«
»Habt ihr nicht telefoniert?«
»Ja, und?«
»Hat er nichts gesagt?«
»Ich denke, die Party soll ’ne Überraschung sein?«
»Ist ja kein Grund, ihn nicht vorzuwarnen.«
»Ich will mir Ärger mit seiner Alten ersparen.«
»Seit wann bist du so zimperlich?«
Er schüttelte den Kopf, doch wusste sie nicht, ob es der Frage oder dem Ergebnis eines Spiels geschuldet war. Er trug seine kakifarbene Armeehose und ein Poloshirt, das seine muskulösen Oberarme betonte. Selbst im staubigen Licht des Kronleuchters strahlte sein Gesicht vor Reinheit, als wäre er das 40-Plus-Modell einer Kosmetikfirma. 20 Jahre hatte Christian in einer Autoreparatur malocht, war jeden Tag mit öligen Fingern und Haaren heimgekommen, und jetzt – ein halbes Jahr ohne Job – schloss er sich morgens im Bad ein, um es erst wieder gestriegelt und rasiert zu verlassen. Yvonne hoffte, er würde in der neuen Fabrik eine Anstellung finden, auch wenn ihn E-Autos in etwa genauso ins Schwärmen brachten wie der Abstieg seines Lieblingsvereins.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Klar, was soll denn sein?«