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Nacht im Kopf. Christoph Heiden
Читать онлайн.Название Nacht im Kopf
Год выпуска 0
isbn 9783839269626
Автор произведения Christoph Heiden
Жанр Триллеры
Издательство Автор
»Ist Rauchen erlaubt?«, wollte Yvonne wissen.
Erika wackelte unschlüssig mit dem Kopf.
»Hey, Meister!«, brüllte Christian in Richtung Tresen. »Ist das heut ’n Räucherstübchen?«
Wie zu erwarten gewesen war, antwortete Frank nicht. Erika meinte zu Schauders, dass sie rasch das Mitbringsel wegschaffen wolle, und rückte hinter die Bar. Während sie den Wodka in den Kühlschrank schob, spürte sie im Rücken Franks Blick, dessen Botschaft nicht eindeutiger hätte sein können. Sie drückte den Kühlschrank wieder zu, wobei ihr das Foto ins Auge fiel. Frank behauptete gern, das Bild habe sein Vater geknipst und ihnen zur Eröffnung der Kneipe geschenkt; in Wahrheit war seine Mutter die Fotografin gewesen, sie hatte das Bild auch gerahmt und in Geschenkpapier verpackt; sein Vater hatte es ihnen lediglich überreicht, im Gesicht ein falsches Lächeln, in seinem Schweigen der blasierte Kommentar, sie müssten selber wissen, auf was sie sich einließen, sie seien erwachsene Menschen und für sich selbst verantwortlich. Nach einem Streit, bei dem der Rahmen zerbrochen war, hatte Frank das Foto an den Kühlschrank angebracht.
»Hast du die CD?«, fragte sie ihn und hoffte gleichzeitig, er habe ihren Blick auf das Foto übersehen.
»Die liegt, wo sie immer liegt.«
Neben der kleinen Kompaktanlage türmte sich ein Stapel CDs. Sie fingerte einen Silberling ohne Hülle heraus und säuberte die untere Seite an ihrem Hosenbein. Frank hatte die Scheibe gebrannt, irgendwann Ende der 90er, und mit einem Edding beschriftet. Das Beste zum Geburtstag. Damals hatte Frank beinahe wöchentlich ein Album erstellt, hatte Songs hin- und hergeschoben, gegeneinander ausgetauscht und jedem Booklet eine lustige Skizze verpasst. Leider hatte von seiner Musikbegeisterung nichts die letzten Jahre überdauert; vermutlich war diese Leidenschaft ebenso verschüttgegangen wie sein Lächeln. Sie legte die CD in die Anlage und erklärte Frank, er müsse bloß auf Play drücken.
»Kann das nicht jemand anderes machen?«
»Du bist der Chef, also.«
»Viel zu melden hab ich anscheinend nicht.«
Er nickte über den Tresen, und sie wusste sofort, auf was er anspielte. Trotz des Rauchverbots qualmten die Gäste munter drauflos. Frank sprach oft davon, dass die Kneipe zu einem Gemeinderaum verkommen sei und ihn niemand mehr als Chef und Eigentümer wahrnehme. Erika zupfte eine der Papierbrillen aus der Tüte und trat so dicht an ihn heran, dass ein Kuss zwischen ihnen von der Meute unbemerkt geblieben wäre; dann klemmte sie ihm die Bügel hinter die Ohren. In dem Rahmen glichen seine Augen pechschwarzen Samen in einer rosaroten Blüte. Sie riet ihm, einfach an die Zukunft zu denken.
»Und wenn sie das ganze Projekt abblasen?«
»Die Sache ist längst unter Dach und Fach.«
»Politiker können sich umentscheiden.«
»Die rennen genauso der Knete hinterher wie wir.«
»Und das verdammte Grundwasser?«
»Was soll damit sein?«
»Das brauchen die zur Produktion der Batterien. Wenn das Umweltamt kein Okay gibt, ist es aus und vorbei.«
»Hat dir das Tom erzählt?«
»Ja, der ist bestens informiert.«
»Lass dich von dem bloß nicht vollquatschen.« Sie blinzelte zum Fensterplatz, wo Tom Kowalski allein vor sich hin brütete. Dann schob sie ihm die Mütze aus der Stirn und das Licht offenbarte das Blau seiner Augen. »Das sind alles Hirngespinste. Dumme Verschwörungstheorien.« Sie wandte sich um, konnte nirgends das Geburtstagskind entdecken und gab ihm einen Kuss.
You Should Be Dancing
Tom Kowalski ließ sich das Papierhütchen auf den Kopf setzen, wobei er als Zeichen seines Widerwillens keinerlei Regung zeigte.
»Hey«, sagte Erika. »Ein bisschen Freude bitte.«
»Ich kenne Krüger gar nicht richtig.«
»Und warum bist du dann hier?«
»Herdentrieb, was sonst?«
Auch wenn längst nicht alle eingetrudelt waren, rechnete Tom damit, dass sich der Laden binnen einer Stunde füllen würde. Erstens hatten die Kuxwinkler nichts Besseres zu tun, zweitens ging das Gerücht um, es gäbe zur Feier des Tages Freibier. Tom hatte sich mit seinem Glas an den einzigen Fensterplatz bequemt, dorthin, wo das Abendlicht auf den dumpfen Schein des Kronleuchters traf und er Kneipe und Dorfstraße überschauen konnte.
»Du.« Erika rutschte an ihn heran. »Ich hab ’ne kleine Bitte.«
Tom ahnte, was kommen würde, und ihr kummervolles Gesicht bestätigte seinen Verdacht, noch ehe sie ausgesprochen hatte.
»Achte auf deinen Bruder, okay?«
»Der kann sich seine Schuhe selber zubinden.«
»Der kann vor allem Stress machen.«
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«
»Tom, bitte. Erinnere dich nur an letztes Mal.«
»Okey-dokey«, gab Tom nach und nippte an seinem Bier. Dieses Thema, und insbesondere, dass die Leute meinten, ihn ständig daran erinnern zu müssen, hing ihm zum Hals heraus. Vor einem Jahr war seine Mutter gestorben und seitdem hielt man ihn für den Babysitter seines Bruders. Mittlerweile konnte er die Stunden ohne Patrick kaum noch genießen, denn ständig plagte ihn das Unbehagen, er treibe es irgendwo auf die Spitze.
Tom zupfte am Gummiband des Hütchens, ließ es gegen sein Kinn schnappen und grinste. »Heute feiert Jannes Geburtstag. Da wird niemand Stunk machen.«
Erikas Miene verriet, dass sie seine Zuversicht zwar teilen wollte, aber dem Frieden nur bedingt traute. Sie schob das Hütchen auf seinem Kopf in eine leichte Schräglage und nickte; dann wandte sie sich ab und durchquerte mit einem Lachen, als hätte er ihr einen kolossalen Witz erzählt, den Raum. Am Tresen rückte sie neben René Berkholz, dem sie sogleich einen blauen Hut und eine blaue Brille verpasste. Die beiden lachten einander an und tätschelten sich dabei die Schulter. Es hielt sich das Gerücht, dass Erika etwas mit René gehabt habe, wohlgemerkt im Beisein ihres Mannes; von einer Neujahrsfeier war die Rede, von zu viel Alkohol und einer Videokamera. Tom reizten solche Gerüchte kaum, vielmehr ärgerte es ihn, dass sich seine Nachbarn eher für diesen Schmutz interessierten als dafür, was die Regierung hinter ihren Rücken anstellte. Während er einen Schluck von seinem Bier nahm, entdeckte er eine Fliege auf dem Fenster. Das Insekt krabbelte am Rahmen entlang, die Beine herbstmüde, die Flügel grau wie das Glas.
»Na, mein Lieber. Was machen die Ufos?«
Wolfgang Bielecke plumpste auf den Stuhl ihm gegenüber. Er trug ebenfalls einen Papierhut, dazu flatterte ihm eine Luftschlange um den Kragen, als hätte er bereits eine Sause hinter sich. Tom schaute ihm direkt ins Gesicht, wo über einem vergilbten Schnauzer die Kupferakne blühte. »Keine Ahnung«, antwortete er in aller Ruhe, »Ufos interessieren mich nicht.«
»Ich dachte.«
»Da haste dich wohl geirrt.«
Bielecke grinste auf diese abfällige Art, die dem Gegenüber signalisieren sollte, er wüsste es insgeheim besser. Tom ließ sich von seinem Äußeren und seiner Alkoholfahne nicht täuschen – genauso wie eine kaputte Uhr zweimal täglich die richtige Zeit anzeigte, blitzte unter Bieleckes Gefasel mitunter sein Verstand auf.
»Ich hab gehört, dass der Flughafen noch länger braucht.«
Tom zuckte die Achseln.
»Irgendwelche Rauchmelder funktionieren nicht.«
»Kann sein.«
»Außerdem sind die Türen unbrauchbar.«
»Totaler Unsinn«, murmelte Tom schneller, als ihm lieb