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auf und wollte ihre eigene Meinung kundtun, wissen, was in den Straßen vor sich ging. Nicht wie ihre Cousinen den ganzen Tag Tante Apollonias Geschwätz ertragen und unsägliche Dinge tun wie Sticken, weil es der Anstand gebot.

      Beim Läuten der Abendglocken hielt sie es nicht länger in der engen Kammer aus und spähte auf den Flur. Es war still im Haus. Zu still für diese Zeit. Wenn niemand mehr mit ihr über die cupola und das, was vorgefallen war, sprechen wollte, musste sie nach einem anderen Weg suchen.

      Angetrieben von den zornigen Worten ihres Vaters, verspürte sie den Drang, dem capomaestro zu helfen, der von den Tiraden gegen ihn nichts ahnte. Sie wollte die cupola mit eigenen Augen sehen, irgendwann. Bis dahin musste das Modell genügen. Vielleicht gab es ein Geheimnis, das sich dahinter verbarg? Vater gelang es, Menschen für sich einzunehmen, und ebenso leicht brachte er sie gegen sich auf. Warum in Gottes Namen reagierte er so feindselig, wenn die Sprache auf Brunelleschi kam?

      Ein paar Schritte später verharrte sie vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Da sich niemand zeigte, der sie daran hindern konnte, trat Juliana über die Schwelle und schloss sanft die Tür. Sie wusste, dass sie unrecht tat. Es schnürte ihr den Hals zu, doch ließ man ihr eine Wahl? Sie öffnete die Schranktür und starrte auf die unzähligen dicken Bücher, die dicht an dicht aneinandergereiht waren. In Leder gebunden, unbarmherzig mit Schnüren festgezurrt, damit keines der Schicksale verloren ging. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Spielte Vater nicht ebenso wie der capomaestro Gott? Die leicht verkohlten Pläne lagen unberührt auf dem Tisch. Unschlüssig blickte sie zur Tür, dann zu den Plänen. Die Angst, ihr Vater könne sie in seinem Arbeitszimmer überraschen, verdrängte sie. Kaum saß sie auf dem geflochtenen Gestühl, betrachtete sie gebannt die Aufzeichnungen und lächelte verzückt. Mit dem Finger fuhr sie bedacht über die Zeichnung der sanft gewölbten Kuppel, die das Dach der Santa Maria del Fiore schließen sollte. Die Pläne des capomaestro in ihren Händen! Assunita würde es nicht glauben, wenn sie ihr davon erzählte. Juliana beugte sich voller Neugier tiefer. Ein schwungvolles Kürzel bestätigte die Einträge auf ihre Richtigkeit. Kein Geringerer als Filippo Brunelleschi hatte unterzeichnet. Sogar das Emblem der Opera war deutlich auf dem Papier zu erkennen. Verblüfft bestaunte Juliana die Pläne, die mit Zahlen und Berechnungen übersät waren. Die cupola. Schwebend. Anmutig in den angesetzten Bögen aus Holz und Stein. Juliana schloss ihre Augen und stellte sich vor, wie sie vor dem Dom stand. Mit dem Kopf im Nacken die cupola betrachtend – bis die Tür aufsprang und ihr Vater vor ihr stand.

      »Ich werde morgen frühzeitig in den Palazzo della Signoria gehen und Giovanni beweisen, dass ich im Recht bin«, erklärte Ferdinando wütend. Er blieb zwischen Tür und Angel stehen, was Juliana genug Zeit verschaffte, die Pläne an ihren Platz zu schieben. Bevor ihr Vater sie ertappte, sprang sie auf und schloss rasch den Schrank mit den Büchern.

      Überrascht, sie hier zu finden, hob ihr Vater die buschigen Augenbrauen. »Sind alle verrückt geworden? Hinaus mit dir, und wage nie wieder, mein Arbeitszimmer zu betreten!«

      Mit weichen Knien blieb Juliana vor der geschlossenen Tür stehen, in der Hoffnung, ihr Vater käme zur Vernunft und riefe sie zurück, doch nichts geschah.

      »Ich werde das Modell wiedersehen«, flüsterte sie. »Und wenn ich den capomaestro selbst darum bitten muss!«

      Kapitel 5

      In den nächsten Tagen versuchte Juliana, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen. Das war ein Leichtes, denn der notario war von morgens bis abends außer Haus. In die Casa Serrati wurden schwere Truhen und Holzkisten geliefert, für deren sicheren Transport viel Schweiß floss. Antonio und Bernardo hatten den Auftrag erhalten, sich darum zu kümmern, dass alles unversehrt in den großen Salon im obersten Stock getragen wurde. Die Arbeit blieb an den beiden jüngeren Männern hängen, denn Federico war zu alt und die Küchenmägde zu unbeholfen. Interessiert sah Juliana ihnen zu und hoffte, einen Blick auf den Inhalt erhaschen zu können, um den Antonio so besorgt war, dass er Bernardo anflehte, die Treppen behutsamer zu erklimmen.

      Mit schweißglänzenden Gesichtern rasteten die ungleichen Männer auf der Galerie.

      »Brunelleschi hätte diese Kisten längst mit einem Kran nach oben geschafft«, stöhnte Bernardo und deutete auf die ausgetretenen Stufen, die noch vor ihnen lagen.

      Antonio grinste mit einem verständnisvollen Nicken. »Bereits bei der Planung hätte er nichts dem Zufall überlassen. Ganz sicher würde er nicht uns solch kostbare Stücke anvertrauen.«

      Bernardo wurde leichtsinnig, weil der gebildete Antonio so unbeschwert mit ihm sprach. Er trat gegen eine der leichteren Kisten und sah besorgt auf, da etwas darin zerbrach. »Der notario wird mich aus dem Haus jagen!« Ängstlich hob er die Kiste hoch und sah sich unschlüssig um. »Nehmt Ihr sie.« Er drückte sie dem überraschten Antonio in die Hände.

      »Zum Teufel, nein!«

      Bernardo floh in den Innenhof, während Antonio unbeeindruckt tat.

      Juliana trat aus ihrer Kammer und ging auf Antonio zu. »Wollt Ihr die Kiste tatsächlich im Salon abstellen und darauf hoffen, dass mein Vater den Schaden nicht bemerkt? Was befindet sich darin, weshalb Ihr so viel Aufheben darum macht?«

      Antonio bedeutete ihr, leise zu sein, und winkte sie näher. »Es ist eine Büste, die ein Künstler der Dombauhütte extra für Euren Vater angefertigt hat.«

      Juliana lächelte. »Stellt die Kiste in meine Kammer. Vielleicht kann ich Euch helfen, Euer Missgeschick zu verbergen.« Unbemerkt von den Dienern und Mägden, die immer wieder die Stufen vom Schmutz befreiten, den Bernardo und Antonio darauf verteilten, verschwand die Kiste in Julianas Schrank.

      »Kein Wort zu meinem Vater«, ließ Juliana Antonio versprechen, bevor sie ihn entließ. Ungeduldig wartete sie, bis er im Innenhof mit Bernardo weitere Kisten in Empfang nahm.

      Sie versuchte gerade, die Kiste zu öffnen, da rief ihre Mutter zum Abendbrot. Etwas weiß Glänzendes glaubte Juliana durch den schmalen Spalt zu erspähen, eine nähere Betrachtung musste warten.

      *

      »Dein Vater bedauert den Vorfall sehr«, erklärte ihre Mutter beim Abendbrot.

      Juliana ging nicht näher darauf ein. Tat es ihm leid, dass er mit einem Tablett nach ihr geworfen hatte? Oder wollte er eingestehen, dass er sie zu Unrecht als Lügnerin bezeichnet hatte? Der blutrote Sonnenuntergang tauchte den Salon in ein eigenartiges Licht, das Dinas Haar in eine feuerrote Glocke verwandelte. Sie sah aus wie eine Göttin. Atemlos starrte Juliana ihre Mutter an und fühlte sich unscheinbar dagegen. Mutters volle Lippen, dazu die makellose Haut und der gertenschlanke Körper erinnerten sie an die kostbaren Statuen, an denen die Florentiner Künstler arbeiteten. Wie oft werden diese Frauen bewundert und für ihre Schönheit verehrt? Fühlten sich Dario und ihr Vater von Frauen angezogen, die sich unterwarfen oder ihren eigenen Willen durchsetzen wollten?

      »Juliana? Ist alles in Ordnung?« Dinas fragender Blick ruhte auf ihr. Sie hielt inne, dann lächelte sie und griff nach Julianas Hand. »Es wird wohl Zeit. Dein Vater wird erleichtert sein.« Sie beendeten ihr Abendmahl und Juliana folgte ihrer Mutter in deren Schlafgemach. Ein Ort, den sie von Zeit zu Zeit betreten durfte. Mutters Refugium. Sie blickte auf die Papageien, deren kunterbunte Federn die Wände schmückten. In einer Ecke lag der Kamin, der sie in den kalten Winternächten wärmte. Sie roch den Duft vertrockneter Rosen und sah beschämt auf das Bett ihrer Mutter. Kam jetzt die befürchtete Ansprache, vor der Assunita sie gewarnt hatte?

      »Dein Vater mag seine Fehler haben, doch eines zweifle ich nie an: Er liebt uns. Auf seine Weise. Dennoch gibt es Dinge, die ihm Angst bereiten. Auch du.«

      »Ich?« Juliana sah verblüfft hoch. Warum sollte sie einem gebildeten Mann, einem notario, Angst machen?

      Dina lächelte milde. »Es ist uns nicht entgangen, dass du dich verändert hast. Du gleichst einer Rose, die erblüht, und dieses Wissen verunsichert deinen Vater zutiefst. Niemals darfst du eine Rose zu früh beschneiden oder sie des Wassers berauben, das sie benötigt.«

      Juliana gluckste vergnügt. »Ich bin keine Rose und Wasser gibt es genug im Arno.«

      Dina

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