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Garn umgingen und Stich für Stich ein kunstvolles Muster zauberten.

      »Meine Aussteuer hat keine Eile, Mutter«, sagte sie leichthin und stach mit bester Absicht die Nadel unbeholfen in den zarten Stoff. »Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben, fern dieser Stadt und überhaupt …«

      Dina legte ihre Arbeit beiseite und sah ihre Tochter lächelnd an. »In meinem Herzen magst du immer mein kleiner Engel bleiben. Du bist eine junge Frau und musst deine eigenen Wege gehen.«

      »Das will ich auch, doch Vater lässt mich nicht. Ich mag so gern hinaus und das Modell der cupola sehen, ohne dass Vater mich begleitet. Ich verspreche Euch, ich komme auf dem schnellsten Weg heim und sticke, bis es in ganz Florenz kein Garn mehr gibt«, beteuerte sie. »Ich schwöre bei all…« Sie brach ab, weil ihre Mutter plötzlich in Tränen ausbrach.

      »Du bist wie dein Vater! Immer spielt ihr mit der Wahrheit und tut, als wäre alles in Ordnung. Die ganze Stadt hat euch verspottet?«

      Juliana verstand nicht. Dann dämmerte ihr, wovon ihre Mutter sprach, und sie ließ die Stickerei jäh fallen. Was sollte sie tun? Was durfte sie sagen, ohne das seltsame Verhalten ihres Vaters zu entblößen? »Maria übertreibt. Du kennst sie ja«, erklärte sie mit gespielter Leichtigkeit. »Die Leute mussten lange warten und es hatte zu trinken gegeben.« Sie hoffte, dass ihre Mutter sich mit dieser Erklärung zufriedengab. Eilig wand sie die Stickerei in ihren Händen. »Zeigst du mir, wo ich die Fadenenden vernähen muss?« Ungewohnt wissbegierig und eifrig hielt sie ihrer Mutter das zweifelhafte Kunstwerk entgegen. In diesem Moment klopfte es an der Tür und Bernardo kündigte Besuch für die Herrin an.

      Juliana, erleichtert, dem quälenden Miteinander entkommen zu sein, sprang auf. »Ich ziehe mich in meine Kammer zurück, Mutter.« Kaum hatte sie die Schwelle erreicht, blieb sie erstarrt stehen.

      »Ferdinando! Ich muss mit dir reden!« Die herrische Stimme, die bis zur Galerie hinauf unüberhörbar war, gehörte ihrer zänkischen Tante Apollonia. Vaters ältere Schwester wohnte nahe dem Borgo Santi Apostoli und suchte die Familie immer dann heim, wenn diese es am wenigsten brauchen konnte.

      Juliana wechselte mit ihrer Mutter einen unheilvollen Blick, dann ergaben sie sich mit vereinten Kräften ihrem Schicksal.

      »Liebste Apollonia, was für eine schöne Überraschung«, begrüßte Dina ihren unerwarteten Gast mit einem so liebevollen Lächeln, dass Juliana nie eine Abneigung ihrer Mutter gegenüber der angeheirateten Schwägerin vermutet hätte.

      Juliana straffte die Schultern und versuchte, es ihrer Mutter gleichzutun. »Tante Apollonia, ich freue mich über Euren Besuch.« Sie erntete nur einen abfälligen Blick.

      »Ist dir die Seife ausgegangen, Dina? Wie das Kind herumläuft!« Schnaubend erreichte die füllige Witwe die Galerie und sah sich neugierig um. Das Schwarz ihrer Garderobe färbte seit Langem auf ihr Gemüt ab. Verdrossenheit und Neid beherrschten Tante Apollonias Wesen, deren Neugier sie auch heute nicht von boshaftem Spott abhielt. »Besitzt ihr keine Dienstboten mehr?« Sie zeigte vorwurfsvoll auf einen dunklen Fleck vor der Salontür.

      Juliana erschrak. Sie hatte nach ihrer nächtlichen Flucht aus dem Gang vergessen, ihre Fußsohlen zu waschen.

      »Gewiss, Apollonia. Sie werden dir gleich eine Erfrischung bringen nach dem weiten Weg, den du in dieser Hitze auf dich genommen hast. Warum hast du keinen Boten geschickt, um nach Ferdinando zu verlangen?«

      »Vater kommt spät zurück, Tante Apollonia«, erklärte Juliana und warf ihrer Mutter einen Hilfe suchenden Blick zu.

      Tante Apollonias Wangen glühten, doch Dina ließ sie zappeln.

      »Wie geht es dir, liebste Apollonia? Das Wetter heute ist lähmend, findest du nicht auch?« Geschickt ließ sie ihren Fächer unter der Stickerei verschwinden, während Apollonia der Schweiß über die dicken Backen lief.

      Juliana hatte verstanden. Sie öffnete kurzerhand alle Fenster im Salon, um der Hitze Einlass zu gewähren. Ihre Tante hasste die stickigen Tage des Sommers. Deshalb zog sie es vor, in Fiesole die Zeit bis Herbst zu verbringen. Lediglich der Wissensdurst über die Ereignisse der letzten Tage hatte sie von ihrer geplanten Abreise abkommen lassen.

      Bevor Angelica, eine jüngere Dienerin, den kühlen Wein und feuchte Tücher servieren konnte, nahm Juliana den erfrischenden Stoff fort und stopfte ihn von ihrer Tante unbemerkt unter ihren Surcot. Angelicas Augen wurden noch größer, denn Dina bat darum, das Eingangsportal zu öffnen. So fände der Wind Einlass in die Casa. Ihre Mutter wusste, dass die träge Hitze des Tages nun durch alle Räume und den Vorhof fluten würde.

      Tante Apollonia war einfältig. Und vor allem darauf bedacht, die Unvernunft ihres Bruders zu hinterfragen. »Was für ein Spektakel erzählt man sich auf den Straßen? Ferdinando soll betrunken gewesen sein? Ich schäme mich zu Tode, mich rechtfertigen zu müssen. Meine Freundinnen reden von nichts anderem mehr!«

      Dina seufzte. »Ferdinando selbst ist nicht glücklich über den Verlauf dieses Tages. Es war ein heißer Tag. Sie hatten nicht darauf geachtet, genügend zu trinken.«

      »Er ist notario, kein Trunkenbold. Dina, bei allem Respekt, ich befürchte, es fehlt dir an Entschlossenheit und Kraft, deine Familie zu führen.« Apollonia zeigte auf Juliana und packte sie an der Hand. »Nicht mal ein Waschweib vom Arno hat solch schmutzige Hände! Deinem Mann werfen sie Steine hinterher, und dann sperrt ihr euch ein … Seid ihr noch bei Verstand?«

      Dina starrte auf Julianas Hände, dann wanderte ihr Blick hoch. »Steine? Juliana, ist das wahr?«

      Julianas Augen füllten sich mit Tränen. Die schmerzliche Erinnerung zerriss ihr das Herz, der plötzlich verstehende Blick ihrer Mutter noch mehr. »Ich weiß nicht, was passiert ist! Ich kam aus der Kirche und Vater torkelte, weinte, schrie und …« Ihre Stimme erstarb. »Er stank wie ein Kind.«

      »Warum erzählst du solchen Unsinn, Juliana?«

      Erschrocken wirbelte sie herum. Hatte Vater schon lange hinter ihr gestanden? Zu lange, fürchtete sie.

      Mit bleichem Gesicht betrat er den Salon und schüttelte fassungslos den Kopf. »Mein eigen Fleisch und Blut. Geh mir aus den Augen, sofort!«, schrie der notario außer sich und warf das Tablett nach Juliana, das Angelica aus Verwunderung hatte stehen lassen.

      *

      Benommen kehrte Juliana in ihre Kammer zurück und schloss mit zitternden Fingern die Fenster. Die Läden hielten nicht nur die Hitze fern. Das dämmrige Licht verhinderte, dass ihr sehnsüchtiger Blick etwas erspähte, das ihr fern wie nie schien. Noch immer hallte Vaters zornige Stimme in ihren Ohren nach. Sie hatte nicht gelogen! Warum nur war Tante Apollonia gekommen? Vaters Zorn verdankte sie allein dieser gehässigen alten Frau, deren verachtende Augen selbst bei der Predigt in der Kirche nicht milder wurden. Juliana schlug mit der Hand gegen die Wand. Hatte Vater diesen schrecklichen Tag gänzlich aus seinem Gedächtnis verbannt oder erinnerte er sich wahrhaftig nicht mehr daran, wie seltsam er sich gebärdet hatte? Sie bildete sich das nicht ein. Zu heftig brandete die Erinnerung an den schier unendlichen Heimweg hoch. Sogar kleine Kinder waren ermutigt worden, den Trunkenbold und seine Tochter auszulachen. Hatte Vater diese demütigenden Erlebnisse tatsächlich vergessen? Oder schämte er sich so sehr, dass er lieber tat, als wäre das nicht passiert? Dafür bezichtigte er seine eigene Tochter der Lüge? Während ihr Vater mit erhobener Stimme in Mutters Salon Gründe für das frevelhafte Benehmen seiner Tochter suchte, war ihre Seele rein.

      Juliana entzündete ein Talglicht und kniete nieder. »Vergib mir, oh Herr. Ich habe gesündigt, doch ich habe nicht gelogen. Ich träume von Dario, was sich nicht gehört, deshalb lege ich all mein Vertrauen in dich. Befreie mich von diesen seltsamen Gedanken, die mein Herz gefangen nehmen. Beschütze meinen Vater vor seiner Blindheit und befreie meine Mutter von ihrer Angst, uns beide zu verlieren.«

      Es dauerte bis in den Nachmittag hinein, bis sich ihr Vater endlich beruhigte. Julianas Magen knurrte inzwischen. Hatte man sie vergessen oder weitete Vater seine Strafe aus, indem er ihr das Abendbrot verweigerte? Unruhig wanderte sie durch das Halbdunkel ihrer Kammer und überlegte, ob Vaters Zorn wohl länger anhielt. Bislang hatte sie ihm kaum Anlass gegeben,

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