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Kommode. Er griff nach dem Buch, das darauflag, und verzog das Gesicht. Es war die Bibel in deutscher Sprache. Jakob trat zum Fenster und blickte hinaus. Selbst wenn sich ein Weg finden ließe, auf das Dach zu klettern, so stand an der Hauswand gegenüber sein persönlicher Höllenhund und beobachtete das Fenster mit unbestechlichen Augen. Leutnant Karius war nicht zur Garnison zurückgekehrt, und er machte auch keine Anstalten, sich zu verstecken.

      Die Herbstsonne verlieh den Hauswänden einen warmen Schimmer und ließ das gelbe Laub erstrahlen. An der Mauer des Herrengartens blieb Hermeskeil stehen. In besseren Zeiten hätte er an dieser Stelle die Stimmen der Schauspieler gehört, die sich auf der Bühne versammelten, um ein weiteres Stück Shakespeares einzustudieren. Jetzt tollten hier nur ein paar Jungen herum, zwei eiferten mit aus Stöcken gefertigten Schwertern den Rittern nach, an deren Turnieren der Kurfürst und seine Frau sich in glücklicheren Tagen erfreut hatten. Hermeskeil schüttelte bekümmert den Kopf und setzte seinen Weg fort. Ob die goldenen Zeiten je wiederkommen würden? Sein Herz wurde noch schwerer, als er das prächtige alte Hagen-Haus aufragen sah. Benannt war es bis heute nach dem Vater der jetzigen Besitzerin, auch wenn sie längst Abele hieß und die Heidelberger sich an ihren Ehemann gewöhnt hatten, obwohl er ein Konvertit war. Hermeskeil wollte eben die Straße überqueren, als ihm ein Mann auffiel, der müßig an einem Zaun lehnte und zu den hohen Fenstern hinaufsah. Er versuchte, sich zu erinnern, woher er den hochgewachsenen, schwarzhaarigen Kerl mit den wachen, dunklen Augen kannte. Wahrscheinlich ein säumiges Gemeindemitglied. Höflich nickte der Pfarrer und registrierte erstaunt, dass der Mann hastig um die nächste Ecke bog.

      Hermeskeil betätigte den Türklopfer. Wenig später hörte er die schweren Schritte Marthas, der Haushälterin, durch den Flur donnern.

      Die Tür wurde aufgerissen und gab ihr bärbeißiges Gesicht frei, das sich aufhellte, als sie den Gast erkannte. »Herr Pfarrer, kommt herein. Leider hat der Herr hohen Besuch.« Sie schürzte die Lippen.

      »Eigentlich wollte ich ja Frau Abele besuchen.«

      »Hat auch Besuch«, lautete die knappe Antwort, »aber sie empfängt Euch sicher.«

      Während sie ihn durch den Flur führte, fragte sich Hermeskeil, was den Ärger der treuen Seele hervorgerufen hatte. Plötzlich vernahm er im ersten Stockwerk erregte Männerstimmen.

      »Nanu?«, machte er und wies mit dem Kinn nach oben.

      »Das ist Rat Hirsch«, antwortete sie auf die unausgesprochene Frage. »Mir steht es ja nicht zu, zu urteilen, aber ein feiner Umgang ist das!«

      Auch wenn Hermeskeil sie liebend gern weiter ausgefragt hätte, schämte er sich seiner Neugier. Außerdem schien der kurze Ausbruch schon vorbei, seine und Marthas Schritte übertönten das wieder leise geführte Gespräch vollkommen. Martha führte ihn schnaufend und vor sich hin brummend in den Salon, wo drei Frauen bei süßem Gebäck und Likör plauderten. Zwei von ihnen waren schwarz gekleidet, die dritte trug ein prächtiges, dunkelgrünes Gewand; alle Kleider waren mit kostbarer Spitze verziert. Die Hausherrin erhob sich. »Herr Pfarrer, das ist schön. Bitte, setzt Euch zu uns. Ihr kennt ja meine Freundinnen, Ernestine de Bonneville und Emilie Hirsch.«

      Hermeskeil nickte erst der Frau in Schwarz, dann der in Grün zu, während sein Blick den Kuchenteller suchte.

      Sophie sah es und ihre Lippen zuckten. Hermeskeil fühlte Wehmut, denn ihr Lächeln, so warm es sein mochte, war von Trauer überschattet. Er umschloss Sophies Hand mit seiner und drückte sie. Ihre Augen begegneten seinen in stillem Einvernehmen.

      »Ihr seid mit Eurem Mann gekommen?«, wandte er sich an Frau Hirsch, nachdem Sophie ihn mit Gebäck versorgt hatte.

      Emilie seufzte geziert. »Männer!«, sagte sie nur und führte das winzige Likörgläschen an die Lippen. Sie waren sehr rot. Hermeskeil fragte sich, ob all die Farbe natürlichen Ursprungs war. Er dachte an seine nächste Predigt. Eitelkeit könnte ein gutes Thema abgeben.

      »Ja, Männer«, tadelte er. »In der Heiligen Schrift steht, dass das Weib dem Manne untertan sein soll.«

      »Dazu müsste er mir einmal Gelegenheit geben, statt immer seinen Geschäften nachzugehen«, entgegnete Frau Hirsch spitz.

      Sophie schaute ihre Freundin betreten an.

      Ernestine de Bonneville, Witwe des verstorbenen Rates Pierre de Bonneville, zeigte sich amüsiert. »Ein religiöser Disput, Herr Pfarrer? Und das mit drei schwachen Frauen?«

      Hermeskeil biss krachend in den Blätterteig und wischte die Krümel von seiner Soutane. Er wollte streng aussehen, aber angesichts der Cremefüllung fiel es ihm schwer. Außerdem dachte er mit einem Anflug von Schuldbewusstsein an das daheim verspeiste Frühmahl. Vielleicht sollte er die Predigt lieber über Völlerei halten.

      Gleichzeitig mahnte Sophie: »Ernestine, nicht! Der Herr Pfarrer möchte sicherlich nur seine Aufwartung machen.«

      »Ja, ich wollte sehen, wie es Euch geht«, bestätigte Hermeskeil. »Doch bin ich auch hier, um Euch etwas mitzuteilen.«

      »Also ist es kein Zufall«, rief Ernestine und beugte sich vor. »Lasst hören.«

      Hermeskeil verwünschte sich im Stillen. Was er Sophie zu sagen hatte, wollte er keinesfalls vor Zeugen preisgeben, doch er wusste beim besten Willen nicht, wie er den herausfordernden Augen der schönen Witwe entkommen sollte. Er war Ernestine ein paarmal im Haus der Abeles begegnet und war sich nicht sicher, was er von dieser Frau halten sollte. Sie war Hugenottin, vor Jahren nach Heidelberg gekommen, wo sie nach skandalös kurzer Zeit den deutlich älteren Rat de Bonneville geheiratet hatte. Inzwischen war der Mann tot und hinterließ eine reiche Witwe und reichlich Gerede. Selten war Hermeskeil so erleichtert gewesen, den Hausherrn zu sehen, der in diesem Moment hereinplatzte. Matthias’ Gesicht war gerötet, an seiner Schläfe pochte eine Zornesader.

      »Oh, guten Morgen, Herr Pfarrer«, knurrte er. »Ich werde mich gleich um Euch kümmern. Zuvor aber muss ich Frau Hirsch hinausbegleiten. Euer Mann wartet an der Haustür.«

      »Ach, tut er das?« Emilie maß Matthias mit einem kühlen Blick und erhob sich. »Gut, ich komme. Ich danke dir für die Gastfreundschaft, Sophie.« Sie machte eine lange, bedeutungsvolle Pause. »Und natürlich Euch, Herr Abele. Ihr wolltet mich hinunterbegleiten?«

      Sie streckte die Hand aus. Matthias’ Wangen wurden noch röter, widerstrebend bot er ihr den Arm. So rauschten sie aus dem Zimmer. Sie ließen Schweigen zurück, das nur vom Knarren der dritten Stufe gestört wurde.

      Ernestine lächelte noch immer. »Dein Mann ist sehr zupackend, liebste Sophie.«

      Sophie spielte mit ihrem Ehering. »Er … er steht unter großem Druck. Er will Rat werden und …«

      »Er sollte sich die nötigen Umgangsformen zulegen«, bemerkte Ernestine leicht. »Und worüber«, sie wandte sich Hermeskeil zu, »wolltet Ihr mit uns reden?«

      Der Pfarrer sah die elegante Frau an. »Verzeiht, Frau de Bonneville, meine Neuigkeiten sind für Frau Abele bestimmt.«

      »Wie spannend.«

      »Ich habe keine Geheimnisse vor Ernestine.«

      Hermeskeils Miene verschloss sich noch mehr, sein gütiges Gesicht wurde beinahe finster. »Es ist Eure Entscheidung.«

      Sophie ergriff Ernestines Hand. »Bitte bleib.«

      Hermeskeil beschloss, es kurz zu machen. »Jakob Liebig ist in der Stadt.«

      Sophie wurde leichenblass. »Oh«, machte sie endlich und tastete nach ihrem Glas. Ohne daraus zu trinken, hielt sie es an ihre Lippen. »Seid Ihr sicher?« Sie lachte zittrig. »Natürlich seid Ihr sicher. Oh Gott, warum?«

      »Und wer ist dieser Herr Liebig?«, fragte Ernestine und strich ihren Ärmel glatt, den Sophie zerknittert hatte. Ihre Stimme drückte nur Anteilnahme aus, dennoch war Hermeskeil sicher, dass Untiefen darunter verborgen waren.

      »Ein katholischer Agent im Dienste Herzog Maximilians«, entgegnete er knapp. »Und ein Jugendfreund Herrn Abeles.« Er legte den Kopf schief. »Der gerade eben die Treppe heraufkommt. Er wird diese Stufe

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