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Räte.«

      »Räte gehören also nicht zu den Auserwählten?«, meinte Jakob und nickte zu der Wendeltreppe hinüber.

      Der Bibliothekar lächelte unergründlich, aber seine Augen blieben kalt. »In letzter Zeit erfreuen sich meine Schützlinge eines gesteigerten Interesses. Doch das bedeutet nicht, dass ich dieses Interesse gutheiße. Euch kann ich nicht einschätzen. Eines Eurer Augen ist das eines wahren Liebenden«, er ließ den langen Zeigefinger vor Jakobs rechtem Auge schweben, »das andere ist herzlos und gierig.« Der Finger kam Jakob so nahe, dass der gelbliche Nagel vor seinem Blick verschwamm.

      Jakob wich zurück. »Fürchtet Ihr, all diese Werke könnten über Nacht abhandenkommen?«, scherzte er.

      Der Bibliothekar tippte sich wieder an die Nase. »Wer weiß. Es gibt böse Mächte und böse Menschen. Im Übrigen liebe ich jeden meiner Schützlinge. Es ist egal, ob alle verschwinden oder nur einer.«

      »Da habt Ihr sicher recht«, pflichtete Jakob bei. »Doch da ich nicht daran glaube, dass der Teufel sich für diese Bibliothek interessiert, bleiben die Menschen. Und nein, unbemerkt wird niemand diese Bücher stehlen können. Glaubt Ihr denn wirklich, die Bibliothek ist in Gefahr?«

      »Und Ihr?«

      Jakob zuckte mit den Schultern. »In Zeiten wie diesen wäre es vermessen, an Sicherheit zu glauben. Sogar hier in Heidelberg werden Menschen getötet. Wisst Ihr zufällig etwas darüber?«

      Schostak schloss vorsichtig ein Buch, das aufgeschlagen auf einem der Pulte lag. Seine Handfläche ruhte sekundenlang auf dem prachtvollen Einband. »Mord interessiert mich herzlich wenig.«

      »Dann sagt Euch der Name Kuno nichts?«

      »Aber doch!«

      Jakob blinzelte überrascht.

      »Der Regensburger Bischof Kuno der II. lebte zu Zeiten Friedrich Barbarossas. Ob er allerdings ermordet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls ist er tot.«

      Jakob verwandelte sein Auflachen in ein angemesseneres Husten. »Ich danke Euch für diese Auskunft.«

      »Es freut mich, wenn ich Euch weiterhelfen konnte«, entgegnete der Bibliothekar höflich. »Wenn Ihr mich nun entschuldigen wollt, ich habe zu tun. Bücher sind unschuldig, Menschen nicht.« Behutsam hob er das Manuskript von dem Pult und trug es davon.

      Noch einmal blickte Jakob verlangend die Empore entlang, doch er wollte Maxilius nicht über Gebühr reizen. In die Garnison wagte er nicht zurückzukehren, aber wenn er zu Pfarrer Hermeskeil ging, konnte er vielleicht den schlimmsten Sturm abwenden.

      Während Jakob die Hauptstraße entlangschlenderte, schwelgte er immer noch in der Pracht der Bibliothek. Der Gedanke, dass diesen Schätzen etwas geschehen könnte, war unerträglich. Am Mitteltor, das die Altstadt von der Vorstadt trennte, spürte er erstmals, dass er verfolgt wurde. Er drehte sich um, sicher, dass Karius’ höhnische Fratze hinter ihm auftauchen würde, doch es waren nur einige harmlos erscheinende Spaziergänger. Jakob ging schneller. Nie war ihm so bewusst gewesen, dass er als Katholik unter Protestanten nicht sicher war. Gerne hätte er sich eingeredet, dass es umgekehrt anders gewesen wäre, aber er hatte Beweis genug, dass dem nicht so war. Er schauderte und rettete sich in die Erinnerung an die Bücher.

      Die tief stehende Abendsonne schien ihm direkt ins Gesicht, als er den Herrengarten erreichte. Zu Hermeskeils Haus war es nicht mehr weit. Er schirmte die Augen ab, um sich zu orientieren, als ein Stein an seinem Kopf vorbeiflog und auf dem Pflaster landete.

      Eine Kinderstimme krakeelte: »Wir kriegen dich, Katholik. Renn! Sonst fressen dich die Würmer.«

      Ein Teil von Jakob wollte nichts lieber als rennen, doch er blieb stehen und drehte sich um. Seinen Fehler erkannte er, als hinter der Horde zerlumpter Kinder zwei kräftige Männer mit Knüppeln auftauchten. Sie hatten die Hüte tief in die Gesichter gezogen.

      Auf der anderen Straßenseite tuschelten gut gekleidete Passanten, aber niemand griff ein. Jakob bezweifelte zwar, dass sie sich an einer Straßenschlacht oder einem Mord beteiligen würden, trotzdem setzte er seinen Weg so schnell fort, wie er konnte, ohne würdelos zu erscheinen. Beleidigungen der Kinder verfolgten ihn. Die beiden Männer blieben stumm.

      Hermeskeils Wirtschafterin öffnete auf sein heftiges Klopfen. Sie starrte Jakob giftig an, als der die Tür krachend hinter sich schloss und mit dem Rücken dagegen sank.

      »Guten Abend«, brachte er hervor. »Ich danke Gott, wieder hier zu sein.«

      Sie sah nicht aus, als teile sie seine Gefühle. »Folgt mir«, beschied sie ihn.

      Jakob rechnete damit, in seine Kammer geführt und eventuell eingesperrt zu werden, doch die Frau brachte ihn in ein Zimmer im Erdgeschoss. »Herr Liebig ist hier, Herr Pfarrer.«

      »Soll reinkommen!«

      Jakob ahnte bei dem schroffen Befehl nichts Gutes. Er nahm den Hut ab und trat ein. Der Pfarrer musterte ihn frostig. Neben ihm saß der Major breitbeinig auf einem Polsterstuhl.

      »Gott zum Gruß«, sagte Jakob ergeben.

      »Ihr habt meine Gastfreundschaft missbraucht.« Der Pfarrer hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf. »Meiner Haushälterin Angst einzujagen und Euch davonzustehlen, ist unter Eurer Würde!«

      »So ist es.« Maxilius erhob sich von seinem Platz. »Davon, dass Ihr gegen meinen Befehl die Garnison verlassen habt, will ich nicht reden. Wo wart Ihr?«

      »In der Heiliggeistkirche.«

      Der Stadtkommandant stutzte. Er tauschte einen raschen Blick mit Hermeskeil. »Warum?«

      »Wegen der Bücher.«

      Maxilius knurrte. »Wie dem auch sei …«

      »Herr Major, Ihr habt mich an dem Gespräch mit Lena und Anni nicht teilhaben lassen. Haben sie etwas gesagt? Ist der Tote dieser Kuno?«

      Wieder schaute Maxilius zu Hermeskeil, und es kam Jakob so vor, als ob der Pfarrer seinen Kopf eine Winzigkeit senkte.

      »Er steht in Verbindung mit den Spaniern. Aber das ist nicht mehr Eure Sorge.«

      »Und warum nicht?« Jakob hätte sich gerne hingesetzt. Das Wohnzimmer war einladend und geschmackvoll möbliert. Ein freier Polsterstuhl lockte. Sein ganzer Körper schmerzte, sein Gesicht pochte.

      »Weil ich jemanden wie Euch nicht brauche. Und weil der Tote mir noch gleichgültiger ist als Euer Schicksal.«

      Jakob schoss durch den Kopf, dass auch er an einem Punkt anlangte, an dem ihm einiges gleichgültig war. »Liegt es daran, dass der Tote ein Fremder von außerhalb war? Dass er Kuno heißt, nicht … Wie sollte ein guter Toter für Euch denn heißen? Wie heißen Schreiber in Heidelberg?«

      Maxilius zuckte zusammen. Er ballte die Hand zur Faust und stand ruckartig auf. »Packt Eure Sachen. Ihr werdet in ein anderes Quartier gebracht.«

      »Ich werde mich um das Gepäck kümmern«, warf Hermeskeil ein. Das Eis in seinen Augen war geschmolzen, er lächelte leicht. »Gott sei mit Euch, Herr Liebig.«

      Jakob nickte nur. »Ich kann Euch helfen«, wandte er sich an Maxilius. »Das wisst Ihr.«

      »Was ich weiß, ist, dass ich Euch nicht trauen kann. Das habt Ihr mir bewiesen.«

      »Und Ihr habt genau das provoziert«, warf Jakob ihm bitter vor. »Herr Pfarrer, ich danke für die Gastfreundschaft, aber ich bin wohl einfach kein guter Gefangener.«

      Ehe Hermeskeil etwas erwidern konnte, hatte Maxilius die Tür aufgerissen. »Das kann man ändern.«

      Mit jedem Schritt erschien Jakob die Zukunft düsterer. Abgesehen davon, dass ihm vor einer zweiten Nacht im Kerker graute – Schmutz, Kälte, Demütigung –, war Heidelberg offensichtlich ein Synonym für sein Versagen. Egal, wie lang Maxilius ihn schmoren ließ, am Ende würde er aus der Stadt gejagt werden. Mehr Demütigung. Jakob biss die Zähne zusammen. Jedes weitere Wort würde einem Betteln gleichkommen.

      »Wir

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