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sei schwach, weil die Dinge nicht lange genug andauern, als dass die Aufmerksamkeit so richtig bei ihnen landen könnte. Doch es handelt sich dabei eher um eine verfeinerte Wahrnehmung der Veränderung. Wir erkennen dann, dass auf eine gewisse Weise nicht viel da ist.

      Als Meditationsübung kann es besonders im Sitzen manchmal hilfreich sein, zu bemerken, welcher Aspekt der Unbeständigkeit gerade am meisten im Vordergrund steht. Erkennen wir das Auftauchen neuer Dinge schon, bevor die letzten vergangen sind? Sehen wir eher das Ende und weniger den Moment, in dem Dinge erscheinen? Oder bemerken wir das Erscheinen und Vergehen gleichermaßen? Keine dieser verschiedenen Perspektiven ist richtiger als eine andere. Im Verlauf unserer Praxis ist es manchmal so und manchmal so. Zu bemerken, wie wir Veränderung wahrnehmen, ist einfach eine weitere Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit zu verfeinern.

      In einer seiner Lehrreden verweist der Buddha auf den Unterschied zwischen dem Zustand der Achtsamkeit – dem einfachen Gewahrsein dessen, was ist – und der Entwicklung des Zustands der Achtsamkeit. In dieser Phase sind wir uns der Unbeständigkeit noch stärker bewusst als der Objekte selbst. Wir beginnen, von einer Achtsamkeit auf den Inhalt zu einer Achtsamkeit auf den Prozess überzugehen. Diese Stufe von Satipaṭṭhāna führt zu Weisheit und Erwachen, denn solange noch irgendein Aspekt der Erfahrung als beständig betrachtet wird, ist es unmöglich, sich dem Bedingungslosen, Nibbāna, zu öffnen.

      Dieses Verständnis ist nicht auf Mönche und Nonnen beschränkt. Seit den Zeiten des Buddha bis heute haben auch viele Laien tiefe Stufen der Erleuchtung erfahren. In einem Gespräch mit dem Laienschüler Mahānāma/Mahānāmo geht der Buddha auf diese Möglichkeit ein:

      »Da ist, Mahānāmo, ein Anhänger der Weisheit nachgefolgt, die Aufgang und Untergang sieht, der edlen, durchbohrenden, die zur völligen Leidensversiegung ausreicht. So ist, Mahānāmo, ein Anhänger in Weisheit bewährt.«4

      6. Reines Erkennen und andauernde Achtsamkeit

      In der nächsten Zeile des Refrains heißt es: »Die Achtsamkeit, dass da ein Körper vorhanden ist, ist in ihm verankert in dem Ausmaß, das zum reinen Erkennen und für andauernde Achtsamkeit erforderlich ist.« Wie Anālayo anmerkt, steht reines Erkennen hier für eine objektive Betrachtung, die sich nicht in Assoziationen oder Reaktionen verliert. Es ist die einfachste und direkteste Art, sich des Geschehenden bewusst zu sein, ohne Geschichten über die Erfahrung zu erfinden. Dieses »klare Sehen« ist die eigentliche Bedeutung des Pali-Wortes Vipassanā, welches gewöhnlich mit »Einsichtsmeditation« übersetzt wird.

      Die Schlichtheit des reinen Erkennens entgeht uns oft, weil wir auf der Suche nach etwas Besonderem sind oder etwas Bestimmtes erwarten und dabei übersehen, was direkt vor uns ist.

      Es gibt dazu eine schöne Geschichte über Mulla Nasruddin, einen verrückten Weisen aus der Sufi-Tradition. Offenbar war Mulla im Handel zwischen seiner Heimatstadt und einem Nachbarland tätig. Die Zollbeamten beäugten ihn jedes Mal misstrauisch, weil sie vermuteten, dass er schmuggelte, aber sooft und so gründlich sie seine Satteltaschen auch durchsuchten, sie konnten nichts finden. Schließlich wurde Mulla von einem Freund gefragt, woher denn nun sein Reichtum käme. »Ich schmuggele Esel«, erwiderte er.

      Manchmal verschleiern wir unsere Erfahrung des reinen Erkennens, indem wir das schlichte Gewahrsein mit einer unbemerkten Anhaftung oder Ablehnung des Geschehens vermischen. Dies kann geschehen, wenn die verschiedenen Hindernisse stark sind oder es subtile Anhaftungen an angenehme meditative Zustände gibt. Wenn wir der Anleitung des Refrains folgen, geht es darum, so viel Achtsamkeit zu entwickeln, wie notwendig ist, um mit reinem Erkennen bei dem zu sein, was sich von Moment zu Moment zeigt.

      DAS MOMENTUM DER ACHTSAMKEIT

      Die im Sutta erwähnte Kontinuität der Achtsamkeit wird auf zwei Weisen erlangt. Zum einen entsteht sie durch das Momentum vorheriger Augenblicke von Achtsamkeit. Was immer wir wiederholt üben, steht uns zunehmend auch spontan zur Verfügung. Von einem gewissen Punkt an entsteht die Achtsamkeit von alleine. Durch das wiederholte Bemühen, sich achtsam dem gegenwärtigen Augenblick zuzuwenden, gelangen wir an einen Punkt, an dem auch über längere Zeiträume hinweg mühelos die Achtsamkeit fließt.

      Aus dieser Kontinuität der Achtsamkeit erwächst eine frühe Einsicht in die Natur des Geist-Körper-Prozesses: Wir verstehen aus eigener Erfahrung, dass das Erkennen und das Auftauchen eines Objektes gleichzeitig stattfinden. Da ist das Einatmen und gleichzeitig das Wissen darum; da ist das Ausatmen und gleichzeitig das Wissen darum. Ein visuelles Objekt erscheint, und im selben Augenblick erkennen wir es. Dies trifft auf jeden Aspekt unserer Erfahrung zu.

      Diese Einsicht ist das erste Tor zu einem Verständnis der Selbstlosigkeit. In den Stufen der Einsicht wird sie Reinheit der Erkenntnis genannt. Wir fangen an zu erkennen, dass alles, was wir Selbst nennen, einfach diese paarige Abfolge von Erkennen und Objekt ist, das momenthafte Entstehen und Vergehen. Wir erkennen auch, dass in jedem Moment das Erkennen aus unpersönlichen Ursachen heraus entsteht und nicht, weil es da irgendwo einen »Erkennenden« gäbe. Wir können also sagen, dass in jedem Augenblick das Erkennen (Bewusstsein) spontan entsteht, wenn die entsprechenden Ursachen und Bedingungen gegeben sind. Auf einer noch tieferen Ebene bemerken wir, dass die Fähigkeit, zu erkennen, nicht von dem zu Erkennenden beeinflusst wird. Diese Erkenntnis hat befreiende Konsequenzen, sowohl für unsere Meditationspraxis als auch für unser Leben. Wenn wir in der Meditation die Abfolge der unangenehmen und angenehmen Empfindungen betrachten, wird deutlich, dass sich die grundlegende Qualität des Erkennens dabei nicht verändert – es nimmt einfach wahr, was sich zeigt.

      Ein Beispiel für die grundlegenden Konsequenzen dieser Erkenntnis ist die Beschreibung von Henry David Thoreaus letzten Tagen. Er starb im Alter von 44 Jahren an Tuberkulose. In einer Biografie beschrieben Freunde seinen Geisteszustand:

      »Henry war [von seiner Krankheit] vollkommen unbeeindruckt, sie erreichte ihn nicht. … Ich hörte oft, wie er Besuchern sagte, er erfreue sich der Existenz so gut wie eh und je. Er bemerkte einmal in meiner Gegenwart, eine perfekte Krankheit sei genauso angenehm wie eine perfekte Gesundheit, der Geist passe sich immer dem Zustand des Körpers an. Der Gedanke an den Tod könne ihn noch nicht mal ansatzweise beunruhigen. …

      Während seiner langen Krankheit hörte ich nie auch nur ein Grummeln über seine Lippen kommen oder den leisesten Wunsch, bei uns zu bleiben. Seine vollkommene Zufriedenheit war wirklich wundervoll. …

      Einige seiner konventionelleren Freunde und Verwandten versuchten, ihn auf den Tod vorzubereiten, aber es gelang ihnen nicht so, wie sie es sich vorstellten. … Als ihn seine Tante Louisa fragte, ob er seinen Frieden mit Gott gemacht habe, antwortete er: ›Ich wüsste nicht, dass wir je im Unfrieden gewesen wären, liebe Tante.‹«1

      Dieses Momentum der Achtsamkeit lässt sich ganz einfach aufbauen. Wir können mit einem ersten Objekt

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