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ich will es auch nicht wissen.«

      »Na, ich sag dir jetzt was: Du gibst mir zwei Gulden oder ich schrei hier vor allen Leuten, dass du mich begrapscht hast.«

      Hieronymus spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg, gepaart mit dem Verlangen, die dreiste Nymphe mit mehr als nur Worten zurechtzuweisen. Doch er beherrschte sich. Zu unvorhersehbar wären die Folgen einer solchen Auseinandersetzung.

      Die Hübschlerin schien einen Augenblick abzuwägen, ob der andere es ernst meinte. Dann spuckte sie zu Boden und verschwand in der Menge der Passanten.

      Während Hieronymus ihr noch nachblickte, wälzte er die Überlegung, warum er nicht tatsächlich beim Präsidenten der Polizei vorstellig werden sollte, um diesen zu bitten, ihm bei der Suche nach Karolínas Bruder behilflich zu sein. Immerhin könnte er ihm Einsicht in die Register der melderechtlichen Erfassung gewähren. Nicht, dass ihm dieser nach dem Vorfall im Prater noch etwas schuldig wäre, aber ein Versuch konnte wohl nicht schaden …

      Franz fluchte leise. Die eiserne Tür am Kiosk, einem achteckigen mannshohen Turm mit schrägem Dach, war abgesperrt. Auch wenn ihn kaum einer der Passanten, die am Karlsplatz unterwegs waren, beachtete, so wusste er, dass er die Tür nicht einfach mit roher Gewalt aufreißen konnte. Mit der rechten Hand kramte er in der Tasche seines Mantels, bis er gefunden hatte, wonach er suchte – einen Dietrich.

      Er setzte den Sperrhaken ins Schloss, drückte, zog und drehte nach Gefühl, bis das Schloss mit einem Klacken aufsprang.

      »He, du da!«, ertönte plötzlich die Stimme eines Mannes. Franz fuhr herum, erblickte aber anstelle eines Wachmannes ein junges, teuer gekleidetes Pärchen. »Der Präuscher hat telegrafiert. Er will seinen Buckel zurück!«

      Die Frau lachte spitz auf, der Mann grinste feist.

      Franz winkte den beiden mit einem Lächeln zu, während er ihm Syphilis und ihr Torheit wünschte. Er blickte noch einmal schnell prüfend um sich, ob er nicht doch beobachtet wurde, und verschwand dann in dem Kiosk.

      Die Finsternis, die Franz umgab, war beinahe stofflich. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das spärliche Licht, das durch die Eisengitter fiel, die den Kiosk mit seinem Dach verbanden. Er erkannte, dass sich zu seinen Füßen eine Wendeltreppe in die rabenschwarze Tiefe schraubte, die noch undurchdringlicher zu sein schien. Franz rümpfte die Nase. Doch er wusste, dass die Luft von nun an nur noch muffiger werden würde, also sollte er sich besser daran gewöhnen.

      Vorsichtig machte er den ersten Schritt in die Tiefe, dem ein metallisches Knarren folgte, das sich hallend im Abgrund verlor. Nach einem lang gezogenen Seufzen begann er seinen Abstieg.

      Fünfzig Stufen hatte er bereits zurückgelegt, fünfzig weitere, so schätzte er, würden noch folgen. Der enge Schacht glich einem Rauchfang, an dessen Wänden Schmutz und Staub in Fetzen herabhingen, die sich bei der leisesten Bewegung zersetzten und Schneeflocken gleich in die Tiefe rieselten.

      Ein letzter Schritt und Franz hatte die Sohle erreicht. Ein eigentümliches Säuseln empfing ihn, als wollte der Wind ihn warnen, aber darauf gab er nichts. Franz marschierte einen kurzen Stollen entlang, an dessen Ende ihm ein sturmgleicher Luftzug entgegenblies, dann betrat er ein monumentales, unterirdisches Bauwerk. So hoch in seiner Wölbung und so breit in seinem Ausmaß, dass man gut und gerne ein Haus hineinbauen konnte, weitete sich der Kanal, in dessen Mitte das schmale Rinnsal der Wien floss. Ein Narr, der den Fluss unterschätzte, dachte Franz, denn die teils meterhohen Mauern zu beiden Seiten waren nur dafür errichtet worden, dem Rinnsal Einhalt zu gebieten, wenn es anschwoll.

      Überall an den Wänden sickerte Wasser nach unten, die Luft roch modrig feucht und gleichzeitig süßlich nach Dung.

      Das fahle Licht gab nur gelegentliche Anhaltspunkte preis – Seitenstollen, die wegführten und wesentlich enger waren als der Hauptfluss, manche maßen gar nur einen Meter im Querschnitt. Da auch das Rauschen und Tropfen des Wassers keine Orientierung zuließ, beschloss Franz, einfach eine Richtung einzuschlagen und dieser dann zu folgen.

      »Ich werd Ihr Anliegen selbstverfreilich an unseren Präsidenten weiterleiten lassen«, meinte der aufgedunsene Mann im dunkelgrünen Waffenrock der Sicherheitswache am Eingang zur Polizei-Direction, nicht ohne durchklingen zu lassen, für wie lästig er das Gesuch erachtete. »Kommen S’ morgen wieder, dann kann ich Ihnen sagen, ob er Sie ebenso dringlich sehen will wie Sie ihn.«

      Hieronymus seufzte frustriert. Aber mehr konnte er im Augenblick nicht ausrichten. »Holstein«, wiederholte er seinen Namen. »Hieronymus Holstein.«

      Die Wache tippte sich auf den Kopf. »Ist notiert. Wiederschaun.«

      Der Bittsteller ließ das imposante vierstöckige Gebäude hinter sich. Die Hübschlerin hatte ihn nämlich nicht nur auf die Idee gebracht, hierherzukommen, sondern auch noch jemand anders aufzusuchen. So machte er sich auf den Weg in die Singer-Straße, wo er bei seiner Suche an einen anderen Punkt anzuknüpfen hoffte.

      Nach einer Weile, in der sich seine Augen weiter an das wenige Licht, das einfiel, gewöhnt hatten, erspähte Franz endlich eine andere menschliche Seele. Der Strotter hatte neben sich einen Korb aus Weidengeflecht stehen und in der Hand einen hölzernen Stab, an dem er ein kleines metallenes Sieb befestigt hatte. Damit fischte er im Rinnsal der Wien nach allem, was diese mit sich führte.

      »Grüß Gott«, sprach Franz schon von Weitem, um nicht den Anschein zu erwecken, er wollte sich anschleichen.

      Der Mann war von hagerer Statur, eine Nase dominierte sein Gesicht, die im Verhältnis zum Rest viel zu groß erschien. Es kleidete ihn ein vielfach geflickter Gehrock, dessen Schöße speckig und abgegriffen wirkten, und eine fettige Krawatte, die lose um den dürren Hals hing. Seine großen braunen Augen, die ihm aus dem Gesicht hervortraten, waren mit einem leichten Schleier überzogen.

      »D’Ehre«, grüßte er zurück.

      »Bin der bucklige Franz.«

      »Camillo Cavalieri. Aber hier unten nennen mich alle Don Cavallo, wohl wegen meines edel lang gezogenen Gesichts.«

      »Schmeichelhaft«, entgegnete Franz. »Dann werde ich wohl Gobba heißen.«

      »Ah, parli italiano?«

      »Solo un pocco«, untertrieb Franz und blickte auf den Kescher. »Wonach fischst du?«

      »Was glaubst du denn? Als Banerstrotter natürlich nach Gebeinen und was mir sonst so ins Netz geht.«

      Franz wischte sich die Schweißperlen vom kahlen Haupt, die sich jedoch ob der Luftfeuchtigkeit beinahe augenblicklich wieder erneuerten. »Knochen für die Seifensiedereien?«

      »Sternkreuzdiwidomini!«, brüllte Camillo mit einem Male und ohne ersichtlichen Grund. Dann fuhr er in gemäßigtem Tonfall fort: »Nicht ganz zwei Kreuzer bezahlen sie für das Kilo. Allerdings musst du die Gebeine vorher noch trocknen.«

      Franz machte erst gar nicht den Versuch zu errechnen, wie viele Kilo er am Tag zusammensammeln und nach Atzgersdorf schleppen müsste, um davon leben zu können.

      »Der Kreislauf des Lebens, eben«, fuhr Camillo in beinahe dozierendem Tonfall fort und holte tief Luft. »Der Bürger frisst das Tier, wirft dessen Knochen unachtsam fort, damit einer wie ich sie aufsammeln darf und ein Fabrikant sich damit eine goldene Nase verdient, indem er Seife herstellt, mit der sich besagter Bürger die vom Essen fettigen Hände waschen kann. Der Herrgott hat eben für alles gesorgt! Leben und sterben lassen.«

      Franz verkniff sich eine Entgegnung, denn er verstand die Verbitterung des Mannes.

      »Aber verstehe mich nicht falsch«, wiegelte Camillo sogleich ab. »Ich bin keineswegs unzufrieden, im Gegenteil.

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