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änderte sich später völlig. Pfarrer Friedel konzentrierte sich auf die Seelsorge. Spielmann auch, aber zu seinen Hobbys zählten noch Bienen, Uhren und lateinische Verse. In dieser Reihenfolge: Er hatte in guten Jahren bis zu 30 Bienenvölker, reparierte die alten Uhren im Dorf und dichtete lateinische Verse so gekonnt und so schnell, wie andere kaum denken konnten. Dass ich in Latein keine besondere Leuchte war, nahm er mir zwar nicht übel, aber gewünscht hätte er sich schon einen flotteren Lateinschüler. – Nach meiner Weihe, und schon in Rhodesien, war Pfarrer Spielmann ein aktiver Förderer meiner Missionsstation. – Das war übrigens auch, und zwar sehr intensiv, unser Onkel Josef. Jetzt zogen beide am selben Strang – zu Gunsten der Mariannhiller Missionen.

      Auch sonst engagierte sich Spielmann im Dorf, mitunter bis hinein ins Politische. Wenn er sich im Recht glaubte und überzeugt war, etwas müsse berücksichtigt werden, dann entpuppte er sich als nachhaltiger Kämpfer – für die gerechte Sache. Mit unserem Bürgermeister legte er sich etliche Male an. Einmal auch, als er erfuhr, dass unser Knecht Hans Braun, der aus dem Banat stammte, sich darum mühte, seine Familie aus dem benachbarten württembergischen Simmringen (bei Bad Mergentheim) zu uns ins Dorf zu holen. Wir boten seiner Familie das Zimmer an, das vorher Frau Folz mit ihrem Sohn Heinz aus Pirmasens belegt hatten, inzwischen aber frei geworden war. Zu dieser Umsiedlung erhielt Hans vom Ortsvorsteher partout kein grünes Licht. Es war nach Papas Tod, und Mama brauchte Hans sehr notwendig für den Bauernhof und die Landwirtschaft. Doch die amtliche Zustimmung zum Ortswechsel seiner Familie wurde nicht erteilt. Als Spielmann das mitbekam, schrieb er direkt an die Bayerische Landesregierung nach München, stellte den Casus dar und bat um sofortige Entscheidung zugunsten von Hans und seiner Familie. Wenige Tage später traf die schriftliche Genehmigung ein. Die Brauns durften reibungslos und sofort bei uns einziehen und dauerhaft bei uns bleiben, und Hans musste nicht mehr länger zwischen seiner Familie und dem Arbeitsplatz hin und her pendeln.

      In meiner Jugend besuchten so ziemlich alle Einwohner des Dorfes regelmäßig die Sonntagsmesse; viele, vor allem Frauen und Kinder, gingen auch zu den Andachten und zu den Sonntagsschulen am frühen Nachmittag. – Die jungen Burschen und die noch ledigen Knechte bevölkerten die Empore. Manche taten dies vielleicht nur knurrend, aber sie kamen zur Messe. Das war im Dorf so üblich; man ging sonntags in die Kirche – und da machten eben alle mit. Manche Männer lümmelten nicht gerade andächtig in den Kirchenbänken. Aber ganz wegzubleiben traute sich kaum einer; das hätten alle mitbekommen! Und vielleicht gar mit den Fingern auf sie gezeigt.

      Kein Bauer arbeitete sonntags auf den Feldern. Das Vieh, ja, die Rinder, die Schweine, die Pferde, die Hühner und Gänse wurden auch sonn- und feiertags gefüttert. Aber andere schwere Arbeiten wie Ackern, Pflügen, Mähen, Dreschen, Kartoffel-Ernten, Mist-Fahren und dgl. – all das durfte man an Sonn- und Festtagen nicht tun.

      Ausnahmen gab es nur im Sommer, wenn die Getreideernte dringend eingebracht werden musste, weil schwere Gewitter oder gar Unwetter drohten, die Früchte zu vernichten. Dann war allerdings zunächst der Ortspfarrer zu befragen: Er, und nur er, durfte die generelle Erlaubnis geben, ausnahmsweise auch sonntags auf den Feldern zu arbeiten.

      Die Schlangen haben samstags frei!

      Diesen Titel gab Hermann Lenz einer seiner Kurzgeschichten: Schlangen dürften am Wochenende faulenzen. – Nicht so die Gau-Bauern. Jedenfalls war das früher nicht so. Sie wühlten und schafften und schufteten und rackerten sich ab. Tagtäglich. Und zwar sechs Tage lang die Woche – und wesentlich mehr als acht Stunden pro Tag! Sommers waren es bis zu zwölf oder gar vierzehn Stunden.

      Sonst und im Allgemeinen hielten sich die Gemeindemitglieder an die Vorgaben der Kirche; wie sie der Pfarrer predigte – ohne frömmelnde Sprüche, ohne Fanatismus, ohne Übertreibungen. Aber der Draht nach oben wurde nie durchgeschnitten. Dafür sorgte schon die dörfliche Tradition; die alten Sitten und Bräuche wurzelten in allen Familien; sie wurden von einer Generation an die nächste weitergegeben.

      Vieles lernten wir Kinder schon von klein auf, ohne zunächst alles zu verstehen. Zum Beispiel, warum man mehrmals im Jahr Ablässe gewinnen sollte – zugunsten der Verstorbenen oder um selber einen gewissen Grad an Frömmigkeit zu erlangen. Dabei musste eine bestimmte Anzahl von Vaterunser, Avemarias und Ehre sei dem Vater gebetet werden. Besonders Fromme und Eifrige zählten ihre auf diese Weise gewonnenen Ablässe, und manche ältere Frauen riefen es sich über den Gartenzaun zu: I hab scho 25 Abläss gwonne! Wie viel hast du?

      Damals war auch das Beichten noch üblich. Vor allem vor den Herz-Jesu-Freitagen. Oder im Hinblick auf besondere Festtage wie Weihnachten und Ostern. Auch vor Micheli ging man ebenfalls beichten; denn der Erzengel Michael war Patron unserer Pfarrkirche! Bei uns zu Haus wurde der 29. September immer in doppelter Weise gefeiert; es war ja auch Papas Namenstag.

      Unter den Katholiken Bayerns wurden früher fast ausschließlich die Namenstage begangen. Wesentlich seltener die Geburtstage. Aber wir Kinder mussten schon auch zu den Geburtstagen antreten, wenn beispielsweise der Patenonkel einen Runden feierte. Oder eine Tante, oder sonst jemand im Dorf. Unser Sprüchlein lautete dann ungefähr so: I wünsch dir, lieber Onkel, alles Gute – vor allem Gesundheit und dass der liebe Gott dir noch viele Jahre schenken möge!

      Man wünschte einander ganz bewusst ein langes Leben! – Heute sehe ich es anders: Dass jemand alt werden möge, sage ich seit langem nicht mehr. Wer weiß denn, wie sein Alter einmal aussehen wird? Ich wünsche stattdessen viel lieber Zufriedenheit, Gelassenheit, Freude, Humor, Harmonie – und dass man auch im Alter noch einigermaßen gesund sein, niemand zur Last fallen und, sehr wichtig, ohne allzu schwere Schmerzen seinen Lebensabend genießen möge...

      Ein anderer dörflicher Brauch war es, an den drei Tagen vor dem Begräbnis eines Verstorbenen gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Das schuldete man denen, die man über Jahrzehnte gekannt und mit denen man, mehr oder weniger, in Frieden gelebt hatte. – Auch das Aufsuchen des Friedhofs und das Schmücken der Gräber, nicht nur an Allerseelen, war allen im Dorf etwas Selbstverständliches. Gang und gäbe war ferner, dass man an den jeweiligen Jahrtagen der Verstorbenen beim Ortspfarrer eine Messe bestellte. Auf diese Weise blieben selbst vor Jahrzehnten Verstorbene im Dorf lebendig. Man erinnerte sich ihrer, betete für sie, schmunzelte eventuell über Episodenhaftes aus ihrem Leben und dachte auf diese Weise gut zu ihnen hin.

      Für uns Buben war die Karwoche etwas Besonderes. Die Glocken schwiegen ab Gründonnerstag. Grabesruhe zum Kreuzestod Jesu war angesagt. Statt die Kirchenglocken zu läuten, holten wir unsere aus Holz gefertigten Ratschen, Klappern und Klapperkästen hervor (die das Jahr über aufbewahrt worden waren), um jetzt die Uhrzeiten anzukündigen – zum Kirchgang, zum Angelus-Beten usw. Während der Gottesdienste wurden an diesen Tagen keine Altar-Schellen benützt, sondern ebenfalls hölzerne Klappern. Am Karsamstag bzw. Ostermontag durften wir durchs Dorf ziehen, von Hof zu Hof, von Haus zu Haus, um Eier zu sammeln oder auch ein paar Mark – für unsere Karwochen-Dienste. Der Oberministrant verteilte dann die Gaben/Gelder an die anderen Buben, wovon immer die jeweils Älteren den größeren Anteil erhielten.

      Vor dem zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Karsamstags-Liturgie noch am frühen Morgen abgehalten, meist nur in Anwesenheit des Pfarrers, des Küsters und der Ministranten. Dabei wurde auch das Osterfeuer entzündet und der Judas in Form eines alten Baumstumpfs verbrannt. Die Gemeinde traf sich erst am Spätnachmittag bzw. Abend in der Kirche zur sogenannten Auferstehungsfeier.

      Mit der heute üblichen und sehr sinn- und stilvoll gestalteten Osterfeier (Weihe der Osterkerze, des Tauf- und Weihwassers, der Ostereier, der hausgebackenen Osterlämmer etc.) und dem festlichen Hochamt, wie wir es seit den 1970er Jahren kennen, hatte die vormalige Karsamstag-Liturgie nicht viel gemeinsam.

      Gemeindediener über viele Jahre Schäfer in den Sommermonaten

      Mit Dieter Hallervorden möchte ich sagen: Diese Zeit machte uns stark. Ja, es waren keine leichten Jahre, die unmittelbare Nachkriegszeit; die noch vorkonziliare Epoche. Es war eine aus heutiger Sicht vielleicht einengende und ärmliche Zeit; zumindest auf dem Lande. Autos gab es nur zwei im Dorf; und nur ein Telefon,

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