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ihrer militärischen Natur nach den Rittern des Westens zwar näher als den Chinesen, doch ihre Lebensführung war von asiatischer Philosophie geprägt. So wundert es nicht, dass der vielleicht bekannteste japanische xiake, Miyamoto Musashi, ein wenig von beiden in sich zu vereinen scheint, Rittergeist und Philosophie.47

      Das Wesen der xiake scheint auf den ersten Blick stereotyp. Sie waren starke Helden mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, wobei dieses Empfinden, diese Moral oft nicht mit den Staatsgesetzen vereinbar war. Die Wertvorstellungen folgten archaischen Ansichten von Gut und Böse. Man bezeichnete diese Art von Richtlinie als wude (武德), kriegerische Tugend. Dieser gerade Weg stieß nicht immer auf Verständnis. Während der Historiker Sima Qian (司马迁, ca. 145 - 86 v. Chr.) die Verlässlichkeit und Bescheidenheit der Xiake lobt, sieht der Legalist Han Fei (韓 非, ca. 280 - 233 v. Chr.) in ihnen ein Übel. Als Grund hierfür sah er u. a. ihre Bereitschaft, schnell, manchmal überstürzt, unter allen Umständen für ihre Sache eine Lanze zu brechen. In dem beliebten Sittenroman Jin Ping Mei (金瓶梅) stellt einer der Helden, Wu Song48, diese nahezu blinde Bereitschaft schlagkräftig unter Beweis. Den xiake galt die Gerechtigkeit viel, aber sie liebten auch das Kämpfen, obwohl viele das nur ungern zugaben. Sie gehörten dem wulin (武林) an, der recht losen und freien Gemeinschaft der Kampfkünstler. Alle xiake fühlten sich dieser Gemeinschaft mehr oder weniger verpflichtet. Selbst der größte Einzelgänger beugte sich deren ungeschriebenen Gesetzen.

      Viele xiake waren naiv, andere intelligent, doch immer waren sie bestrebt, sich in den gewählten Tugenden zu vervollkommnen. Während der fahrende Ritter als soziales Phänomen in Europa gemeinsam mit dem Mittelalter verschwand bzw. sich in den Typus des Dumas’schen Kavaliers verwandelte, überlebte der xiake als Kämpfertypus in China und Japan aufgrund der Beständigkeit der auf den Konfuzianismus gestützten Kaiserdynastien bis ins 20. Jahrhundert.

      Xiake, gleichgültig aus welchem Kulturkreis sie stammten, hatten immer ihre Bewunderer. In China schrieb der berühmte chinesische Dichter der Tang-Dynastie Li Bai (李白, 701 - 762 n. Chr.) ein klangvolles Gedicht über den Charakter und das Wesen eines xiake. Es beginnt mit den folgenden Versen:

       Das Lied des Xiake

       Drei Becher Wein sind getrunken, und das Versprechen ist gegeben.

       Das Versprechen ist stärker als die fünf hohen Berge.

       Die große Stärke des Schwertes und des Mutes.

       Nachdem die Sache vollendet, bleiben Name und Ruf tief verborgen.

       Der Fähige möge ihre Geschichten überliefern.

       Xiake Xing

       san bei tu ran nuo, wu yue dao wei qing.

       shi bu sha yi ren, qian li bu liu xing.

       shi le fu yi qu, shen cangshen yu ming.

       shui neng shu gexia, bai shou tai xuan jing.

      侠客行

      三杯吐然诺,五岳倒为轻。

      十步杀一人,千里不留行。

      事了拂衣去,深藏身与名。

      谁能书阁下,白首太玄经.

      Li Bai, einer der größten, wenn nicht der größte Dichter Chinas, war geprägt durch den Daoismus und wollte die Befreiung von Wissen, Begierde und von dem bewussten Handeln-Wollen des Menschen. Er strebte nach Natürlichkeit. Genau für diese Dinge standen auch die xiake, und aus diesem Grund bewunderte der Dichter sie und ihre Fähigkeiten in den Kampfkünsten. Der Sinn für Kameradschaft, das Versprechen, Gutes zu tun und dem zu helfen, der dessen bedarf, sind die wichtigsten Dinge im Leben der xiake. Ihr Können und ihr Mut sind außerordentlich. Und nachdem sie ihre Taten vollbracht haben, werden sie, ohne sich zu offenbaren und Dank anzunehmen, weiterziehen.

      Diese Art des Denkens und Handelns ist tief verwurzelt in der Kultur des wushu. Auch wenn heute niemand mehr das Leben eines xiake führt und dessen Kampfstärke besitzt, so ist es sinnvoll, solche Grundsätze des alten wushu zu kennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

       ji dei yi, bi shi di

      Die Kunst muss am Gegner erprobt werden.

      Zu allen Zeiten und in allen Ländern hatten die Kämpfer das Bedürfnis herauszufinden, wer von ihnen der Beste sei. Bei einigen von diesen Zweikämpfen nahm man den Tod in Kauf, während es bei anderen Duellen eher um die Zurschaustellung des Könnens ging. Bekannt geworden sind unter anderem die epischen Helden Achilles und Hektor49, die Gladiatoren Priscus und Verus50 oder die samurai Musashi und Gonnosuke51. Die meisten von ihnen liebten den Kampf, das Kräftemessen, aber es gibt auch Beispiele für große Brutalität. Einige Duellanten ließen es beim Fließen von Blut nicht bewenden, sondern sie suchten den Tod, den ihres Gegners oder auch ihren eigenen. Ich habe unzählige Biographien von Kämpfern gelesen und war manchmal erstaunt, wie wenig heldenhaft es bei ihren Kämpfen oft zuging. Beim Studium der Kampfkünste und des Lebens der Kämpfer sollte man sich besser von jeder romantischen Vorstellung trennen.

      In China hat der Zweikampf eine lange Tradition. Schon aus dem Altertum sind zahlreiche Berichte überliefert. Doch auch hier spielte sich gewiss nicht alles so ab, wie es niedergeschrieben wurde.

      Durch die große Vielfalt an Kampfschulen gab es natürlich regelmäßig Reibereien. Jeder Meister wollte beweisen, dass seine Schule die beste war. Herausforderungen waren an der Tagesordnung. Die Kämpfer mussten daher ständig bereit sein. Wer unterlag, verlor im harmlosesten Fall seine Schüler, im schlimmsten Fall sein Leben. All das wurde in Kauf genommen, damit der eigene Name im Land bekannt würde. Das liegt in der Natur der Sache, und daher machten eigentlich fast alle Meister die gleiche Entwicklung durch. Erst im Alter wurden viele der Meister zu besonnenen Menschen, die ihre Tage im meditativen Sitzen verbrachten. Sie zogen sich aus der menschlichen Gesellschaft zurück, weil ihnen die Sinnlosigkeit der meisten Dinge im Leben bewusst wurde.

      Vor 1949 fanden in China regelmäßig Wettkämpfe statt, die man als dalei bezeichnete. Hierbei traten auf einer Plattform (leitai, 擂臺) zwei Kämpfer gegeneinander an. Die heutigen Veranstaltungen gleichen Namens haben damit nichts mehr gemein. Damals kämpfte man ohne Regeln, ohne Runden oder Zeitlimit bis zur Entscheidung. Das dalei war auf jeden Fall anders, als Bücher und Filme es vermitteln. Hinsichtlich des Kampfes ähnelte das dalei eher der Gladiatur und weniger den modernen Kampfsportturnieren. Von der Geisteshaltung her glich es jedoch eher der westlichen Duellkultur. Man sieht daran, dass diese chinesische Tradition wirklich sehr eigen ist. Die Niederlage auf dem leitai konnte stets den Tod nach sich ziehen, und jeder war sich dessen bewusst. Was aber genau das dalei ausmachte, wird heute schwer zu beantworten sein. Es gibt heute wohl keinen lebenden Meister mehr, der noch an diesen Wettkämpfen teilgenommen hat. So kann ich auch hier nur auf überlieferte Geschichten zurückgreifen, die ich von meinem shifu oder anderen Meistern hörte. Diese Legenden und Erzählungen vermitteln aber ein überzeugendes Bild über das Wesen der effektiven Kampfkunst.

      Bei den Kämpfen auf dem leitai stellten sich zwei Kämpfer einander gegenüber. Einer griff plötzlich an, traf oder wurde gekontert und selbst getroffen. In den meisten Fällen war das bereits das Ende. Derjenige, der besser angriff oder besser konterte, gewann den Kampf. Es gab während des Kampfes keine Regeln. Nur das Podest durfte nicht verlassen werden. In diesem Fall war das Treffen vorbei. Wer es verließ, hatte verloren. Die Kämpfe auf dem leitai gingen sehr schnell vorüber, da jeder von Anfang an versuchte, den Gegner

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