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Gutsbesitzers aus der Nähe von Allenstein. Er selbst kam aus Königsberg, und sie hatten sich während seines Medizinstudiums dort kennengelernt. Bei Kriegsende hatte es sie dann nach Berlin verschlagen.

      «Was gibt es heute?», fragte er seine Frau und gab gleich selbst die Antwort. «Natürlich Königsberger Klopse.»

      «Kaliningrader Klopse bitte. Kein Revanchismus in diesem Hause!» Das war Thomas, der neunzehnjährige Sohn, der gerade begonnen hatte, an der FU Geschichte und Soziologie zu studieren. Da er es von der Uni nach Hause nicht weit hatte, richtete er es an einigen Tagen in der Woche so ein, dass er zum Mittagessen in die Baseler Straße fahren konnte, wo es allemal besser schmeckte als in der Mensa. «Da die Klopse heute sehr groß sind und viele Kapern in der Sauce schwimmen, schließe ich messerscharf, dass Trudchen am Herd gestanden hat.» Gertrud, genannt Trudchen, half an fünf Tagen in der Woche bei der Hausarbeit.

      Mialla musterte seinen Ältesten mit sichtbarem Wohlwollen, konnte aber einen gewissen Spott nicht unterdrücken. «Was ein paar Wochen Studium so ausmachen! Wie logisch doch dieser junge Mensch schon denken kann!» Er musterte seine beiden anderen Kinder, die heute schon relativ früh aus der Schule nach Hause gekommen waren. «Und was gibt es bei euch Neues?»

      Ingrid, die in zwei Jahren ihr Abitur machen würde, schimpfte über ihre Deutschlehrerin, die gerade Lessings Minna von Barnhelm durchnahm. «Ist das alles verstaubt! Dieser Tellheim ist so fürchterlich langweilig. Vernunft und Notwendigkeit befehlen ihm, seine Verlobte nicht zu heiraten. Das ist doch grausam! Und diese Minna heißt nicht nur so, sie ist auch eine.»

      «Kind!», rief ihre Mutter. «Lessings Stück gilt als eine der wichtigsten Komödien der deutschsprachigen Literatur.»

      «Komödie hat doch was mit komisch zu tun, aber wo kann man bei der Minna schon lachen? Dass der Tellheim so stur ist und sich von niemandem helfen lassen will, finde ich eher tragisch. Und darüber soll ich nun auch noch ’ne Hausarbeit schreiben!»

      Nun mischte sich Thomas ein. «Ich habe meine Arbeit über das Stück noch, du kannst sie nachher von mir abschreiben. Dafür habe ich eine Eins bekommen. Tellheims Fehler besteht nicht darin, verbissen an seiner Ehre festzuhalten, sondern in seiner Unfähigkeit, sein Glück von anderen Personen befördert zu wissen. So musst du das formulieren, da freuen sich alle Deutschlehrer.»

      Mialla lachte. «Schön, wie es unsere Kinder verstehen, sich durchs Leben zu mogeln.»

      Seine Frau warf ihm einen warnenden Blick zu. «Erich, bitte!»

      «Ja, Margarete, ich hör schon auf.»

      Matthias, der gerade vierzehn Jahre alt geworden war, hatte bislang geschwiegen, und Mialla sah deutlich, dass seinen Jüngsten etwas bedrückte. Wahrscheinlich hatte er in der Schule seinen Klassenkameraden wieder einmal Schokolade und Bonbons abgekauft, was ihm streng verboten worden war. Zu Hause hatte Margarete alle Süßigkeiten versteckt, denn Matthias war ein ausgesprochenes Leckermaul. Aber was sollte man machen? Als Arzt wusste Mialla, dass manche seiner Patienten nach Zuckersüßem ebenso süchtig waren wie andere nach Alkoholischem und die Nasch-der Trunksucht fast gleichkam.

      «Du weißt, Matthias, dass du absolutes Naschverbot hast, zu Hause wie in der Schule!»

      «Ja, Vati.»

      Thomas, der Mitleid mit seinem kleinen Bruder hatte und ihm die anstehende Strafpredigt und den Stubenarrest ersparen wollte, kam schnell auf Waschinsky zu sprechen, um seine Eltern abzulenken. «Das ist ein kluger Kopf, mir kommt er immer so vor wie ein kleiner Einstein. Seine Einführungsvorlesung war jedenfalls außergewöhnlich. Und nun? Wenn sie ihn wirklich erschossen haben, ist das ein großer Verlust für die FU.»

      Seine Mutter unterbrach ihn. «Thomas, bitte, das müssen wir nicht unbedingt hier beim Mittagessen erörtern!» Dabei ging ihr Blick in Richtung des jüngsten Sohns.

      «Ich kann schon Zeitung lesen, Mutti!» Dass seine Klassenkameraden die Szene aus der Muthesiusstraße heute in der Pause nachgespielt hatten, verschwieg er lieber. Aber eine wichtige Frage hatte er doch noch. «Gibt es heute zum Nachtisch keinen Pudding?»

      «Nein, das ist zu süß.»

      Als sie mit dem Essen fertig waren und gerade vom Tisch aufstehen wollten, schrillte draußen im Flur die elektrische Klingel.

      «Das wird Herr Schötzke sein, der Kammerjäger», sagte Margarete Mialla. «Wir haben ihn für heute bestellt.»

      Mialla staunte. «Warum denn das?»

      «Wir haben Motten in der Küche.»

      «Besser in der Küche als in der Lunge», brummte Mialla.

      «Dazu noch Mäuse im Keller und Ratten im Garten und im Schuppen», fügte Thomas Mialla hinzu. «Es lohnt sich also.»

      Erich Mialla musste, wollte er ins Schlafzimmer hinauf, an Schötzke vorbei. Der Kammerjäger war gerade dabei, Trudchen den Unterschied zwischen einer Lebensmittel- und einer Kleidermotte zu erklären. «Die Lebensmittel-, Speise- oder Küchenmotten sind Vorratsschädlinge und gehören zur Familie der Zünsler. Die Dörrobstmotte ist braun-weiß, die Mehlmotte silbrig grau und der Mehlzünsler braungelb. Die Kleidermotte kommt aus der Familie der Echten Motten und ist eigentlich ein Schmetterling.»

      Mialla begrüßte Schötzke mit ein paar knappen Worten und ging dann auf der Wendeltreppe in die erste Etage hinauf. «Und schießen Sie nicht so laut auf unsere Motten und Mäuse!», rief er dem Kammerjäger noch zu. «Ich brauche jetzt meine Stunde Mittagsschlaf, ehe es wieder in die Praxis geht.»

      FÜNF

      DER OBERARZT erklärte Karl-Heinz Waschinsky, warum er trotz eines Bauchschusses überlebt hatte. «Sie hatten Glück im Unglück. Im Bauch verlaufen große Schlagadern, und wenn die zerrissen werden, verblutet man sehr schnell. Bei Ihnen aber hat die Kugel glücklicherweise keine dieser Adern getroffen. Auch die Leber ist Gott sei Dank verschont geblieben, eine Leberblutung führt innerhalb sehr kurzer Zeit zum Tod. Durch die Schusswunde sind zwar Magen- und Darminhalt in die Bauchhöhle gelangt, aber dadurch, dass wir schnell eingreifen konnten, haben wir eine Sepsis verhindert.»

      Waschinsky versuchte zu lächeln. «Gut, dass es mich in der Muthesiusstraße erwischt hat und nicht auf den Schlachtfeldern von Smolensk, Kiew, Wjasma, Brjansk oder Rostow!»

      «Man merkt, dass Sie Historiker sind. Hoffentlich gehören Sie nicht auch zu den Bergsteigern.»

      «Nein. Wieso?»

      «Weil wir Ihnen am linken Oberschenkel einiges vom Musculus rectus femoris wegschneiden mussten und Sie in Zukunft mit der Hebung des Beines einige Schwierigkeiten haben werden.»

      Waschinsky nahm auch das mit Humor. «Oh, dann muss ich auf meine geplante Monographie über Bergfestungen wohl verzichten und meinen Besuch der Trutzburgen der Tuschen und Chewsuren im Kaukasus streichen.»

      «Da haben Sie leider recht, aber die Burg Beeskow ist auch sehr schön.»

      «Schon», merkte Franz Altmann an, einer von Waschinskys Bettnachbarn, «aber da kommt man schwerer hin als nach Tiflis.» West-Berlinern war seit Mai 1952 die Einreise in die DDR grundsätzlich verwehrt. «Man kann zwar eine Erlaubnis beantragen, in der Praxis wird sie aber immer abgelehnt.»

      «Bei mir nicht», stellte Waschinsky fest. Er hatte sowjetische Kollegen, die einiges möglich machen konnten. «Bei mir nicht.»

      «Dafür wird auf Sie geschossen, auf mich aber nicht», konterte Altmann. Er war altgedienter SPD-Funktionär und derzeit Kassierer eines Wilmersdorfer Ortsvereins. Wie alle seine Genossen war er im Moment ziemlich missgestimmt, denn zum ersten Mal nach Kriegsende stellte die CDU den Regierenden Bürgermeister. Dem charismatischen Ernst Reuter war der farblose Langweiler Walther Schreiber gefolgt. Die SPD war zwar immer noch die weitaus stärkste Partei in West-Berlin, aber CDU und FDP hatten zusammen ein paar Prozent mehr an Stimmen bekommen.

      «Ja, ja, der Kreislauf der Eliten», spottete Waschinsky, «der Kreislauf der Eliten. Man denke nur an Vilfredo

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