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stellen das Vertraute infrage. Die vorliegenden Gespräche haben genau diese relativ unbekannten oder zumindest gerne verdrängten Textstellen aus den vier Evangelien zum Ausgangspunkt gewählt.

      „Der am Herzen des Vaters ruht, hat Kunde gebracht.“ So steht es im Prolog des Johannesevangeliums. Auf die Frage des Apostels Philippus antwortete er: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ (Joh 14,9) Das bedeutet: Jesus ist die Zugänglichkeit zum innersten Geheimnis Gottes. Er hat den Vorhang des Nichtwissens und der Trennung zwischen Gott und Mensch entfernt. Wenn wir dennoch im Folgenden von der unbequemen und fremden Seite Jesu sprechen, soll damit keineswegs implizit von einem Rest willkürlicher oder bösartiger Unberechenbarkeit Gottes gesprochen werden. Ganz und gar nicht.

      Es ist auch verständlich, dass Menschen, die an Jesus Christus als Gottes Sohn glauben, sich nicht gerne mit dem Menschen Jesus auseinandersetzen wollen. Jedoch eröffnet sich gerade durch die totale Menschwerdung das Geheimnis einer erlösten Begegnung mit Gott. Gott ist das offene, lichte Geheimnis unfassbarer Nähe und Barmherzigkeit. Diesem Geheimnis rund um die Person des Jesus von Nazareth wollen wir nachgehen. Jesus ist uns vertraut und fremd zugleich. Er gehört nicht den Gläubigen allein. Er gehört auch den Verunsicherten und Zweiflern. Er ist nicht der Garant einer wohltemperierten Religiosität für jene, die zum kirchlichen Innenkreis gehören. Obwohl er seinen Jüngern die Freundschaft angeboten und alles mit ihnen geteilt hat, bleibt ein Moment der Unverfügbarkeit, das um eines reifen, gott- und weltoffenen Glaubens willen wahrzunehmen und in seiner Bedeutung hervorzuheben ist. Jesus ist nicht nur „der liebe Jesus“, wie wir uns ihn manchmal in kindischer Manier vorstellen – ein Jesus, der keinen Anstoß erregt, der niemanden verunsichert und sich den Erwartungen der Frommen fügt.

      Bedauerlicherweise gibt es eine Menge von Jesusbildern, die genau diese Klischees vertiefen. Sie entschärfen seine Bedeutung, verwässern seinen Anspruch und verharmlosen seine Botschaft. Jesus kann emotional verkitscht werden, sodass die herausfordernde Lebensrelevanz seiner Person nicht mehr zum Vorschein kommt. Man kann ihn auch auf das sozialkritische und revolutionäre Potenzial seiner Lebensweise und Botschaft reduzieren. Das hätte zumindest eine politische Stoßkraft für unsere Welt, die sich in einer extremen sozialen Schieflage befindet. Oder man verengt die menschlich-göttliche Weite Jesu auf ein ganz subjektives, pietistisches Format, sodass eine Begegnung mit ihm zu einer einseitig frommen Vereinnahmung verkommt. All diese einseitigen Bilder sind das Resultat der vielen Versuche einer sträflichen Domestizierung Jesu. Deshalb ist es wichtig, im Auftreten und in der Botschaft Jesu besonders jene Momente zu beachten, die sperrig sind und eine tiefere Nachfrage sowie eine persönliche Involvierung erfordern. Das vorliegende Buch ist dem nicht-konformen, unbequemen Jesus auf der Spur.

      Dabei versuchen wir auch selbst, unsere Vorstellung von Jesus von falschen Wünschen und Projektionen zu reinigen. Mit dieser Klärung können auch Enttäuschungen einhergehen. Für uns bleibt als zentrale Frage: Herr, wer bist Du? In welchem Gesicht begegnest Du uns heute? Welche Nähe und Fremdheit mutest Du uns heute zu? Das Wahrnehmen der fremden Gestalt Jesu ermöglicht vielleicht auch eine Solidarität mit allen, die trotz persönlicher Anstrengung keinen Zugang zu Gott finden. Dieser Aspekt der inneren Verbundenheit mit allen Fragenden, Suchenden und Zweifelnden ist uns wichtig. Der unbequeme Jesus holt uns auf jeden Fall aus unserer Komfortzone heraus. Wer bereit ist, kann sich auf eine Begegnung mit ihm einlassen.

      Hermann Glettler und Michael Lehofer

       1

      Brutal unharmonisch

       Mt 10,34-36

      Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.

      HG: Ein pakistanischer Bischof hat mir erzählt, dass ein hochrangiger muslimischer Geistlicher einmal in seiner Gegenwart Jesus als jene Person bezeichnete, „die nie ein Schwert angegriffen hat“. Er wollte damit seinem offensichtlich geschätzten Gesprächspartner ein Kompliment machen und vielleicht auch über die traurige Tatsache der in Pakistan fast alltäglichen Verfolgung von Christen hinwegtrösten. Dieser aus der Sufi-Mystik kommende Ehrentitel trifft genau das Wesen Jesu. Er ist es, der Gewaltfreiheit gepredigt und einen radikalen Gewaltverzicht für sich und seine Gemeinschaft vorgelebt hat. Umso schockierender und unverständlicher ist die Aussage Jesu über sein Kommen auf die Erde. Er sei gekommen, das Schwert zu bringen und nicht Frieden. „Schwert“ steht in dieser Aussage für „Entscheidung“. Und Entscheidung beinhaltet immer eine Scheidung. Oft gar eine blutige. Wie lässt sich also diese singuläre Hardcore-Passage aus dem Mund Jesu verstehen? Leicht ließe sie sich für eine Radikalisierung seiner Anhängerschaft missbrauchen – was ja tatsächlich immer wieder geschehen ist.

      ML: Man muss ja zugeben, dass die Geschichte des Christentums diesen Text leider auch bestätigen kann. Im Namen Jesu Christi ist viel Heil, aber auch viel Unheil in die Welt gekommen. Wie gesagt, lässt uns dieser Text ein Stück ratlos bleiben angesichts der bei Weitem überwiegenden friedliebenden Aussagen von Jesus. Und doch lohnt es sich, sich auf die Provokation einzulassen: Kann man den Frieden auch dialektisch betrachten? In einer Gruppe von Menschen, bei der man spürt, dass viele ungelöste Konflikte im Hintergrund mitschwingen, bekomme ich gelegentlich den Impuls, diese deutlich zu machen. Es entsteht der Wunsch, die Wunde offenzulegen, damit sie heilen kann. Der Chirurg muss den Menschen verletzen, um ihn zu heilen. Was diese Metapher bedeutet, ist für uns eine Alltagserfahrung. Wir müssen konfliktfähig sein, um Frieden stiften zu können. Nicht nur, sondern auch.

      Ich denke desgleichen an Menschen, die sich durch eine ausgesprochene Harmoniebedürftigkeit auszeichnen und die in verschiedensten Situationen gerade dadurch Unfrieden gestiftet haben. Zweifelsohne ist die Konfliktscheu ein Faktor, der sehr viel Unglück erzeugt. Jesus erklärt seinen Jüngern, dass ein Leben mit ihm und seiner Lehre nicht unbedingt nur zu Glück und Eintracht führen muss. Bereits die Erklärung dieser Tatsache zerstreut falsche Erwartungen für ihr eigenes Leben, die sie sonst mit Jesus und seiner Lehre verbunden hätten. Jesus verweist auf die eigentliche Wirklichkeit, nämlich jene der tiefen Verbundenheit mit Gott. Die Verbundenheit zwischen den Menschen, die uns immer als erste vor Augen steht, verblasst vor diesem Hintergrund.

      HG: Mit Sicherheit erteilt die extrem „unbequeme“ Aussage einem Kuschelkurs in der Nachfolge Jesu eine deutliche Absage. Jesus ist nicht der Meister oberflächlicher Harmonisierungen. Jesus provoziert Entscheidungen. Er ist radikal, weil er die Dinge „von der Wurzel her“ (lat. radix) angeht und sich nicht scheut, die Wahrheit auszusprechen. Wer mit ihm unterwegs sein will, muss sich auch auf Vorbehalte und Ablehnung bis hinein in die eigene Familie einstellen. Es kann eine schmerzliche Entscheidung notwendig sein, wenn ein Bekenntnis zu Jesus eine Dissonanz zu familiären Erwartungen erzeugt. Ich habe das Glück, dass ich meinen Weg in großer Freiheit gehen konnte. Aber was wäre gewesen und wie hätte ich reagiert, wenn meine Eltern oder Freunde sich massiv gegen meine Lebenswahl ausgesprochen hätten?

      Die Nachfolge Jesu kann Leid verursachen. Für die junge Kirche war dies nichts Außergewöhnliches. Verfolgungen um des Himmelreiches willen waren ganz selbstverständlich Bestandteil des „neuen Weges“. Nicht alle wollten oder konnten ihn mitgehen. In diesem Text sind somit auch Erfahrungen der ersten Jahrzehnte der Jesusbewegung reflektiert. Die Entscheidung für Christus hat quer durch Bekannten- und Familienkreise Bruchlinien gezeichnet. Jesus hat kein verführerisches Versprechen gegeben, dass ein Leben mit ihm nur auf Zustimmung und Wohlgefallen stoßen würde. Sein radikales Wort beinhaltet damit auch nachträglichen Trost für all jene, die Widerspruch, Ablehnung und sogar Verfolgung hautnah erleben. Ich denke konkret an einige junge Bekannte aus dem Iran, die sich für die Taufe entschieden haben und in den meisten Fällen dafür von ihren Familien verstoßen wurden. In jedem Fall drückt die Ansage vom „Schwert bringen“ weder die Absicht noch das Ziel des

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