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Schattenalp sprang kopfüber durch das Fenster und machte auf dem Boden eine Rolle. Sofort stand er wieder, drehte sich um und schloss das Fenster. Dann sah er sich um. Vagho war in einem kleinen Raum gelandet, den er so schnell wie möglich verlassen musste. Gegenüber war eine weitere Tür. Vorsichtig drückte er den Türriegel herunter. Vagho hatte Glück, die Tür war nicht verschlossen. Wahrscheinlich gingen hier die Wachen regelmäßig ein und aus. Er öffnete die Tür und sah sich auf dem anschließenden Gang um. Es war alles ruhig. Da Vagho keinen Plan von dieser Festung hatte, musste er sich auch jetzt wieder auf seine Erfahrung verlassen. So schlich Vagho nach links den Gang entlang, bis dieser eine Biegung machte.

      Ein vorsichtiger Blick um die Ecke und schon ging es weiter. Am Ende befanden sich drei Türen. Auch hier nahmen die Wachen Vagho wieder die Wahl ab. Der Schattenalp konnte sich gerade noch rechtzeitig vor ihnen in einen der Räume in Sicherheit bringen. Bei einem Wandregal musste er sich in eine Ecke drücken. Eine Wache sah gleich darauf mit einer Laterne hinein. Jetzt bekam Vagho erhebliches Herzklopfen. Doch die Wache leuchtete nur kurz in den Raum, denn ein zweiter Wachsoldat im Gang brummte ärgerlich los: »Das reicht jetzt. Ich will weiter in die Küche. Dort wartet schon das Essen und ein guter Schluck Wein auf uns.«

      Der Wachsoldat mit der Laterne schloss die Tür und beide gingen weiter zur Küche. Vagho sah sich im Raum um. Hier gab es nichts von Wert. Nur ein Regal und ein alter Tisch mit einem Stuhl. Leise öffnete er die Tür und schlich zurück auf den Gang. Dann wollte er in den nächsten Raum. Doch dieser war verschlossen. In seinem Gepäck fand sich für solch einen Augenblick natürlich auch ein Satz Dietriche. Damit war es ihm ein Leichtes, die alten Schlösser der Türen zu öffnen. Gleich der erste Versuch ließ das Schloss aufspringen. Vagho trat ein. Doch er fand nur eine Reihe Holzgestelle mit den Bögen und Pfeilen der Festungsbesatzung.

      Auf dem Gang kam erneut Lärm auf. Vagho konnte zwar nicht sehen, wer das war, doch er konnte deutlich hören, dass einer die anderen zur Eile mahnte.

      »Beeilung bitte, meine Herrschaften. Der König und seine Ratgeber befinden sich schon im großen Kartensaal.« Die Türen klapperten und augenblicklich war wieder Ruhe auf dem Gang. Vagho sah vorsichtig nach. Der betörende Geruch eines feinen Damenparfüms lag in der Luft. Da brauchte der Schattenalp nur immer seiner Nase zu folgen. Das tat er auch. Er öffnete die Tür und folgte dem anschließenden Gang bis zu einer Treppe. Die Räume rechts und links ließ er unbeachtet. Dieser Kartensaal hatte seine Neugier geweckt. Er folgte der Treppe in das nächste Stockwerk und kam in eine geräumige Vorhalle. Zwei kleinere Türen lagen an den Seiten der Vorhalle, doch geradeaus war der Eingang zum großen Kartensaal. Dort konnte Vagho wegen der Wachen natürlich nicht so einfach hinein spazieren. Die Treppe führte allerdings noch ein weiteres Stockwerk höher. Sie endete an einer unansehnlichen Bodentür. Vagho schlich im Halbdunkel der Treppe bis zu dieser Bodentür und versuchte sie zu öffnen. Doch er brauchte wieder seine Dietriche. Sie knarrte ein wenig, der Schattenalp musste erst einmal die verrosteten Scharniere mit etwas feinem Öl aus seinem Proviant beträufeln. Dann konnte er lautlos auf den Dachboden schleichen. Vorsichtshalber schloss er hinter sich wieder ab. Danach sah er sich auch hier um.

      Von der Mitte kam ein heller Lichtschein auf dem erstaunlich großen Dachboden. Um den großen Kartensaal noch prächtiger erscheinen zu lassen, hatten die einstigen Erbauer dieser Festung eine gläserne Kuppel in die Decke einfügt. Diese ragte in den Dachboden darüber, und so war es für einen heimlichen Lauscher ganz leicht, die Gespräche im Kartensaal zu verfolgen.

      Auf allen Vieren kriechend, näherte sich Vagho der gläsernen Kuppel. Sein Herz schlug ihm vor Spannung bis zum Hals, als er einen Blick in den Saal riskierte. Tatsächlich stand da König Harold mit einigen seiner Würdenträger, tief über eine Karte gebeugt. Offensichtlich sah sich Harold eine bestimmte Stelle auf der Karte genauer an. Die Karten und die anderen Dokumente waren so zahlreich, dass sie den ganzen Tisch bedeckten.

      Immer mehr Würdenträger betraten den Saal. Auch sechs kleine Männchen und eine schöne Frau waren dabei. Der Schattenalp sah sie sich genauer an. Das konnten doch nur die Kobolde und die Mutter des Drachenjungen sein. Vagho sah auch, dass einer der Kobolde seine Nase in die Höhe hielt und anfing, ganz genau die Luft zu prüfen. Schnell holte Vagho ein kleines Fläschchen hervor und goss seinen Inhalt über sich. Er hatte gleich erkannt, dass dieser Kobold ein Witterer war. Er konnte also, genau wie Vagho selbst, mit seiner Nase die feinsten Gerüche wahrnehmen und somit wittern, wer sich in der Nähe befand. Doch dagegen kannte Vagho ein sicheres Mittel. Es war eine Mischung verschiedener aromatischer Öle und Harze. Diese verdeckten den Geruch jedes Schattenalps. Der Kobold da unten im Saal zuckte auch schon mit den Schultern und unterhielt sich mit einem der anderen. Dann trat als letzter der Fürst Mallmordian von Vallhoss ein. Er stellte sich neben den Prinzen Gerold.

      König Harold legte ein Pergament auf den Tisch und begann mit der Besprechung. »Die Bedeutung dieser nächtlichen Zusammenkunft ist schnell erklärt. Wir haben erneut Grund zu der Annahme, dass die Dragolianer sich auf größere Kämpfe vorbereiten. Sie sollen eine Strafaktion gegen aufständische Sklaven durchgeführt haben. Es ist noch keine Stunde her, da habe ich von einem unserer Grenzposten eine dementsprechende Botschaft bekommen. Deshalb habe ich auch dich, Salia, kommen lassen.«

      Salia errötete und sah dem König gebannt auf dessen Mund. Harold nahm das Pergament in beide Hände und sah in die Runde. »In dieser Botschaft steht, dass es den Dragolianern gelungen ist, das Lager der Sklaven zu überfallen, sodass viele hundert Menschen dabei den Tod fanden. Der Anführer der Sklaven soll mit zweihundert seiner Männer dem Massaker jedoch entkommen sein und sich jetzt auf einem Rachezug befinden. Ein Junge konnte nur deshalb entkommen, weil er gerade im Wald beim Holzsuchen war. Der Anführer hat ihn als Boten zu unseren Grenzposten geschickt. Der Junge sagt, dass die Sklaven von einem Schmied geführt werden.« Bei diesen Worten schlug Salia das Herz höher.

      Der König sprach weiter. »Doch es sind noch mehr Nachrichten eingegangen. So sollen zum Beispiel die Obinarer mit ihrer Flotte zum Krieg bereit sein. Und ein großes Heer haben sie auch aufgestellt. Es wird allerdings bis jetzt noch nicht von Trollen und Gnomen verstärkt.« Harold machte eine Pause und sah wieder in die Runde. Prinz Gerold trat näher an den Tisch heran. »Ich sehe hier Karten, auf denen die Reiche aller Völker gut zu sehen sind. Vater, Ihr beschäftigt Euch jeden Tag damit. Sagt uns allen hier, was Ihr nun vorhabt.«

      Der König lächelte ein wenig und tippte mit seinem Ehrendolch auf eine Stelle in der Karte. »Hier liegt Viedana. Davor sind zahlreiche Felder und Weiden unserer Bauern. Drei Meilen vor der Stadt nach Osten hin liegt eine kleine Ebene mit einem unserer Güter. Dort haben schon unsere Vorfahren in früheren Zeiten gern ihre Heerschau abgehalten. Ich beabsichtige, dies in den nächsten Tagen zu tun. Gibt es dazu irgendwelche Einwände? Wenn ja, dann sagt es mir jetzt.«

      Prinz Gerold schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Ihr auch nur einen einzigen unter uns findet, der mit dieser Maßnahme nicht einverstanden wäre. Darauf warten wir schon lange.«

      Harold sah seinen Sohn missbilligend an. »Du weißt ganz genau, dass ich keinen Krieg möchte. Das kann keine Lösung für uns sein. Ich sehe das eher als einen letzten Ausweg an. Doch wie es auch sei, die Sache ist damit entschieden. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann müssen wir eben kämpfen. Doch das Eine sage ich Euch allen. Selbst wenn wir über unsere Feinde triumphieren, wir werden am Ende mehr verloren haben, als wir je gewinnen können. Kein Leben lässt sich ersetzen. Das solltet ihr immer beherzigen. Auch du, mein Sohn, solltest das tun.«

      Salia trat nun an den Tisch heran. Mit flehendem Blick sah sie dem König in die Augen. »Habt Ihr nicht mehr Nachrichten von meinem Mann oder von meinem Sohn, mein König?« Harold schüttelte den Kopf. »Leider nicht, ich wünschte selbst, dass wir alle die erlösende Nachricht von der glücklichen Heimkehr deines Sohnes und aller seiner Begleiter noch heute bekommen würden.« Salia küsste den Ring an der rechten Hand des Königs und bedankte sich für dessen herzliche Worte.

      Für Vagho war diese Zusammenkunft genau das, was er brauchte. Er hörte noch den weiteren Ausführungen der Würdenträger und Ratgeber des Königs zu und machte sich erste Notizen.

      Nach einer Stunde wurde der Kartensaal verlassen. Als letztes ging der König. Er sortierte noch einige Schriftstücke und wies dann beim Hinausgehen die

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