Скачать книгу

      »Ich merke schon, Ihr versucht mich für eure Pläne zu gewinnen. Es ist in der Tat ein lohnendes Ziel, sich bei ihnen einzuschleichen und in Erfahrung zu bringen, was sie vorhaben. Und wenn dazu der eine oder andere wichtige Mann stirbt, so sollte Euch das gewiss auch noch von Nutzen sein.«

      Alsacan nickte und hob seinen Becher. »Sagtest du nicht, du bist ein Meisterdieb? Alles was du an Gold und Edelsteinen findest, das ist dein. Du bekommst von mir sogar das Doppelte von deiner Beute dazu. Du musst mir nur irgendwie einen Einblick in ihre Pläne verschaffen. Außerdem verspreche ich dir, dass dein Volk nach unserem Sieg auf der Insel Villbass wieder siedeln kann, so wie in alten Zeiten.«

      Vagho stieß seinen Becher gegen den des Königs. »Das ist ein Handel ganz nach meinem Geschmack. Die Sache gilt. Sagt mir nur, zu welcher der beiden großen Städte soll ich reisen. Viedana oder Krell?«

      Alsacan trank seinen Becher aus und stellte ihn auf dem Tisch ab. »Viedana natürlich, mein Freund. Dort sind die Menschen am gefährlichsten. Reise noch heute Nacht dort hin. Sei schnell und nimm nur mit, was du wirklich brauchst. Jetzt ist Eile geboten.«

      Vagho konnte sich denken, wie dringend Alsacan die Pläne haben wollte. »Nur keine Sorge, ich werde Euch alle wichtigen Dokumente abschreiben, die ich bei Harold von Ansuni finde. Haltet Ihr nur genügend Gold und Edelsteine für mich bereit. Und glaubt mir, für mich ist es mehr als nur ein spannendes Abenteuer. Für mich ist es die Rache für mein heimatloses Volk.«

      Vagho trank seinen Becher aus, verabschiedete sich höflich von Alsacan und ging zum Wirtshaus zurück. Er bezahlte dem Wirt seine offene Rechnung und wollte schon zur Tür hinaus, da sah er den Kaufmann an einem der Tische sitzen. Er war schon reichlich betrunken und rief nach der Schankmagd. Sie füllte ihm seinen Humpen mit Bier und ging zum nächsten Gast. Der Schattenalp überlegte nicht lange. Die Gelegenheit war viel zu günstig, um die Bestrafung des Kaufmanns dem König Alsacan zu überlassen. Ohne dass es jemand merkte, drehte Vagho seinen Ring so, dass der gelbe Stein in seiner Faust war. Dann sprach er eine uralte Beschwörungsformel leise vor sich hin. Er wiederholte sie mehrmals. Über dem Bierkrug des Kaufmanns erschien für einen kurzen Augenblick ein kleines Wölkchen. Es verschwand im Bierhumpen und vermischte sich mit dem Inhalt.

      Der Kaufmann schwenkte in seiner Trunkenheit den Humpen hin und her. Er sang mit seinen Saufkumpanen, schön falsch und laut, ein typisches Trinklied. Dann nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Humpen und sang weiter. Doch seine Stimme wurde immer leiser. Keiner merkte, dass er sich an den Hals griff und nach Luft rang. Der Schattenalp ging jetzt so an seinem Tisch vorbei, dass der Kaufmann ihn sehen musste. Doch der brachte kein Wort heraus. Das hinterhältige Grinsen im Gesicht des Schattenalps ließ den Kaufmann im Augenblick seines Todes klar werden, dass er den Ring dieses Schattenalps nie hätte stehlen dürfen. Vagho erreichte die Tür und ging hinaus. Keiner hinderte ihn, die Stadt zu verlassen, um sich einer Karawane in Richtung Westen anzuschließen.

      Mehrere Tage verbrachte Vagho nun die meiste Zeit auf einem Ochsenkarren. Kurz vor der Grenze zum Königreich Ansuni verließ er die Karawane wieder und kaufte sich bei einem obinarischen Viehhirten einen flinken Esel. Der brachte ihn schnell und einigermaßen bequem über den Fluss Brag, und dann weiter bis in die Nähe von Viedana. Unterwegs hatte er schon mehrmals bemerkt, dass die Menschen allen, die nicht von ihrer Art waren, ein hohes Maß an Misstrauen entgegenbrachten. Um nicht unnötig aufzufallen, wollte Vagho lieber bis zur Nacht warten und erst dann versuchen, in die Stadt hinein zu kommen. So schlich er mit sicherem Abstand um die Stadt herum und versuchte eine möglichst leichte Stelle zum Überwinden der Mauer zu finden. Erst als er glaubte, sie gefunden zu haben, ging er mit seinem Esel zu einem kleinen Wäldchen. Dort legte er sich in den Schatten eines Baumes und ließ den Esel in aller Ruhe grasen.

      Am frühen Abend machte Vagho sich zur Stadtmauer auf. Hinter einem Gebüsch konnte er die Wachen genau beobachten. Er merkte sich ihren Weg und wie lange sie brauchten, um wieder an einer bestimmten Stelle vorbeizukommen. Dann zog der Schattenalp alle seine Sachen aus und steckte sie in einen Beutel. Diesen legte er auf ein großes Stück Rinde und stieg in das Wasser des Stadtgrabens. Der war sehr breit und Vagho musste mehrmals anhalten, um kein Geräusch zu machen. Die Wachen schauten immer mal wieder über die Mauer, um nach eventuellen Feinden zu sehen. Doch Vagho entging ihren Blicken. Obwohl er ein geschickter Schwimmer war, setzte ihm das Wasser tüchtig zu. Es war eisig kalt und er musste an mehreren gefährlichen Strudeln vorbei schwimmen. Mit Mühe zog er die Rinde ans Ufer. In diesem Augenblick hielt eine Wache einen langen Stab mit einer Laterne über die Mauer. Doch zum Glück für den Schattenalp reichte das Licht nicht bis zu ihm. Trotzdem erstarrte er vor Schreck für einen Augenblick. Als sich die Wache mit ihrer Laterne verzogen hatte, atmete Vagho erleichtert auf. So ein aufmerksamer Wachsoldat konnte schon ganz schön Nerven kosten. Und dabei war er noch nicht einmal über die Mauer in die Stadt gekommen.

      Er zog sich schnell seine Sachen an und wartete noch einen Augenblick. Vagho konnte das leise Gespräch der Wachen als entferntes Gemurmel wahrnehmen. Als es nicht enden wollte, suchte er sich eine ruhigere Stelle. Sie war allerdings ein ganzes Stück höher. Offenbar wussten die Wachen ganz genau, wo sie sich postieren mussten. Vagho holte aus seiner Tasche einen stabilen Haken und eine lange Schnur. Da er nicht viel wog, konnte er getrost auf ein dickeres Seil verzichten. Er band die Schnur an das eine Ende des Hakens und wirbelte ihn durch die Luft. Dann ließ er den Haken mit Schwung in die Höhe sausen. Der verhakte sich gleich beim ersten Versuch auf der Mauerzinne. Vagho lächelte zufrieden. »Gelernt ist gelernt«, murmelte er leise vor sich hin. Dann prüfte er mit einem festen Ruck, ob der Haken und die Schnur auch halten würden und kletterte flink die Mauer hoch. Jetzt huschte er zwischen den Wehrzinnen hindurch und wich geschickt zwei weiteren Wachen aus. Im Schatten eines Turmes war er nicht zu sehen. Als die Wachen weg waren, sah sich Vagho vorsichtig um. Er hielt die Nase in den leichten Abendwind und nahm den Geruch von frischem Essen und Bier war. Doch danach stand ihm jetzt nicht der Sinn. Er wollte die Pläne des Königs und möglichst viele Reichtümer stehlen. Sein Blick wanderte zur Stadtfestung. Das war der am besten bewachte Ort von ganz Ansuni, und genau da musste er hin.

      Unerkannt durch die Stadt bis zur Festung zu kommen, das war für den Schattenalp kein großes Problem. Er huschte durch die Gassen und hielt sich immer im Schatten der Mauern. Ab und zu überstieg er eine kleine Gartenmauer und scheuchte dabei auch einen Wachhund auf. Der konnte Vagho zu seinem Glück jedoch nicht weiter verfolgen. Wütend kläffend blieb er im Garten eines Hauses zurück.

      Als er die vornehmen Häuser der reichen Bürger am Richtplatz erreichte, wurde ihm für einen Augenblick doch etwas mulmig im Magen. Neben einem abgedeckten Brunnen stand ein Galgen. An ihm hing zwar niemand, doch auch so war der unerwartete Anblick nicht gerade lustig. Dem scharfen Blick des Schattenalps entging auch nicht die Galerie des Tribunals. Von den Hinrichtungen an diesem Ort hatte er schon die schaurigsten Geschichten gehört. Doch dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Balkon in der Festungsmauer. Von dort also sahen die hohen Herschafften den Tribunalen mit ihrem oft tödlichen Ausgang zu. Vagho konnte sich denken, dass das hier der Ort war, den er zuletzt sehen würde, wenn er nicht verdammt gut aufpasste. Er überlegte kurz, ob er zum Balkon hochklettern oder lieber über die Galerie in die Festung eindringen sollte. Doch die Entscheidung nahmen ihm die Wachen ab. In der Galerie tauchte ein Wachsoldat mit einer Fackel auf. Er steckte sie in eine Vorrichtung an der Wand und sah sich genau um. Zugleich marschierte auch noch eine Kolonne Soldaten an der Festungsmauer entlang und sorgte mit ihren Waffen und Rüstungen für einigen Lärm.

      Vagho drückte sich in den Schatten und wartete ab. Als wieder Ruhe auf dem Platz war, sah er sich nochmals den Balkon und die Galerie an. Jetzt erschien ein Lichtschein auf dem Balkon. Auch dort steckte eine Wache eine Fackel an der Wand fest und sah sich genau um.

      Als sie wieder gegangen war, huschte Vagho unter den Balkon. Er zögerte nicht lange und warf wieder seinen Haken mit der Schnur. Seine Geschicklichkeit bei diesem Wurf war schon bewundernswert. Auch seine Kletterkünste waren meisterhaft. Seine jahrelange Erfahrung und die Tatsache, dass er noch nie bei seinen Diebestouren erwischt worden war, machten ihn zu einem gefährlichen Gegner. Sein magisches Können, welches er in der Kunst des Giftmordes erlangt hatte, perfektionierte ihn.

      Auf dem Balkon sah er sich nur kurz um. Die Tür, die den Weg in das Innere der Festung

Скачать книгу