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bekannt, dass es für diese Scheinaufgabe keine Lösung gäbe. Irgendwie erinnert mich dieser nett daherschauende alte Mann an unseren lieben Onkel Suhl.

       Ungefähr einen Monat vor meiner Ankunft mit den Kindern belegten Fritz und Fritzie Grünbach, ein jüdisches Wiener Paar, das einzige bis dahin noch freie Zimmer. Sie wohnten zunächst in Boliviens Hauptstadt, Sucre, zogen aber gern her, nachdem man Frau Fritzie eine Stellung als Biologie-Laborantin beim hiesigen Servicio de Sanidad, dem staatlichen Gesundheitsdienst, angetragen hatte. Sie nahmen dankend an, denn bisher konnten weder Fritz als Architekt noch sie in Sucre entsprechende Arbeit finden. Beide sind sehr lustige Leute, Fritz erzählt immerzu Witze. Es ist gut, dass sie im Hause sind, denn die meisten von uns müssen das herzhafte Lachen erst wieder lernen.

       Und schließlich bewohnen wir, die vier Kellers, gemeinsam das verbliebene der acht Zimmer. Hier haben wir den besonderen Luxus, über ein eigenes Waschbecken zu verfügen, müssen uns also nicht alltäglich mit den anderen vor der Tür zum Badezimmer anstellen. Allerdings verfügen wir alle zusammen nur über ein einziges Spülklosett, das erfahrungsgemäß immer dann gerade besetzt ist, wenn man besonders dringend muss. Wir schlafen auf vier einfachen Eisenbetten, haben dazu noch zwei Nachtkästchen und einen mittelgroßen Schrank, in dem naturgemäß nur sehr wenig Raum für die von vier Personen benötigte Kleidung ist. Deswegen haben wir unsere gesamte Habe aus den zwölf Schiffskoffern derart umgepackt, dass sich das alltäglich Nötige in zwei dieser Koffer befindet, die aufeinandergestapelt in einer Zimmerecke stehen. Unser erstes apartes „Möbelstück“ habe ich mit einem bunt gewebten, großen Indioteppich drapiert, den ich auf dem Markt erstanden habe. Die restlichen zehn Koffer lagern zusammen mit dem vielen Gepäck unserer Mitbewohner in einem Schuppen hinter Josefs Villa. Im Haus ist dafür einfach kein Platz.

       Es gibt einen Wochenplan, nach dem die Nutzung der Wanne im Badezimmer für jede Partie genau eingeteilt ist. Hierfür wird ein gefährliches Ungetüm, genannt „Calefón“, in die bereits mit Wasser gefüllte Wanne gestellt. Dieser Tauchsieder ist ein Holzgestell, das mit einer mit mehreren Löchern versehenen Linoleumhülle bespannt ist. In dem Gestell glühen fünf Elektro-Heizspiralen, sobald man den ungeschützten, zweipoligen Steckschalter an der Wand betätigt, der mittels eines Verbindungskabels mit dem Gerät verbunden ist. Nur darf man dann nicht ins Wasser greifen, denn das gibt einen augenblicklichen, den Tod bringenden Stromschlag! Mir ist jedes Mal unheimlich, wenn ich in die Wanne steige, und das, obwohl dieses Monstrum bereits abgeschaltet und aus dem Wasser entfernt worden ist. Übrigens müssen, damit das Gerät auch die volle Leistung bringen kann, gleichzeitig sämtliche Lampen im Hause ausgeschaltet sein, sonst brennt beim Einschalten des Calefóns auf der Stelle eine Hauptsicherung durch!

       Wie schon angedeutet, hat mir bald nach der Ankunft Josef hier die Regie in der Küche übertragen, denn das, was die einfältige Elfriede Sturm den Bewohnern vorgesetzt hat, war in der Tat nicht immer genießbar. So gab es hier für mich zunächst wirklich viel Neues zu lernen!

       Erst einmal Grundsätzliches: Hier, auf einer Höhe von 3.800 Metern, kocht Wasser nicht erst bei 100 °C wie auf Meereshöhe, sondern bereits bei 84 °C! Dies ist bedingt durch den verminderten atmosphärischen Druck in dieser Höhe. Das hatte ich ja auch irgendwann im Flensburger Lehrerseminar gelernt, aber natürlich längst wieder vergessen! Das bedeutet, dass man viel mehr Zeit als bei uns zu Hause braucht, um Speisen zu garen. Besonders schwierig ist es beim Fleisch – dies muss endlos lange kochen und ist dann meistens total ausgelaugt und faserig. Zudem sind alle Speisen, wenn sie auf den Tisch kommen, höchstens noch lauwarm, aber daran kann man sich schnell gewöhnen. Es soll ja auch nicht so gesund sein, immer so heiß zu essen, hat Fritzie Grünbach uns kürzlich verkündet. Sie muss es ja wissen, als Biologin.

       Da ich soeben das Thema „Wasser“ erwähnte: Leitungswasser aus dem Hahn ist hier keineswegs gleichzusetzen mit gesundem Trinkwasser. Das ursprünglich reine Wasser stammt aus der Schneeschmelze in den hohen Bergen, fließt aber zunächst über offene Kanäle und Rohrleitungen in die Stadt und wird auf diesem Wege durch Tier und Mensch verunreinigt. Wir dürfen deshalb niemals ungekochtes und ungefiltertes Wasser trinken oder zum Waschen von roh essbaren Lebensmitteln verwenden. Auf dem Innenhof wurden zwei große Berkefield-Filter aufgestellt, die mit dem vorab mindestens zehn Minuten lang abgekochten Wasser nach dem Abkühlen befüllt werden. Das Wasser dringt durch die Keramikpatronen und wird dabei von Schwebestoffen befreit und gereinigt.

       Viele Immigranten waren bereits von den im Leitungswasser mitgeführten Krankheitserregern, vor allem Typhusbakterien, befallen und erkrankten schwer. Etliche von ihnen sind sogar daran gestorben. Josef hat uns deshalb, wie auch alle anderen Hausbewohner, zur Typhusimpfung zum Amerikanischen Gesundheitsdienst gebracht, wo wir eine sehr schmerhafte Spritze erhielten. Fast alle hatten an den nachfolgenden zwei bis drei Tagen erhöhte Temperatur und der Oberarm war um die Einstichstelle herum stark gerötet und tat recht stark weh. Einige Wochen danach mussten wir noch einmal dorthin und wir wurden gegen Viruela, die schwarzen Pocken, geimpft, die hier ebenfalls überall grassieren. Beide Impfungen müssen alljährlich wiederholt werden.

       Ebenso bedeutend: In dieser Höhe hat die Luft beachtlich weniger Sauerstoff, deshalb geht einem beim schnelleren Gehen oder gar bei einer der vielen steil ansteigenden Straßen in dieser Stadt rasch die Puste aus. Aus gleichem Grunde ist das Anzünden der primitiven, einflammigen „Primus“-Petroleumkocher, auf denen wir die Mahlzeiten zubereiten, schwierig und etwas langwierig: Zunächst wird ein Stück zusammengedrehtes Zeitungspapier mit einem Streichholz angezündet und in die Düsenwanne des Primus hineingesteckt, damit sich diese Stelle erwärmt. Man könnte das auch mit leichter entzündlichem Brennspiritus tun, denn dafür ist eigentlich die kleine Wanne am Kocher vorgesehen, aber dies ist umständlich und auch gefährlicher, weil der Spiritus leicht überläuft und dann beim Anzünden ein wildes Feuer entfachen kann. Brandflecken am Küchentisch bezeugen, dass so etwas schon passiert ist! Also: Wenn das Papier fast abgebrannt ist, dreht man die Verschlussschraube am Petroleumtank dicht und setzt diesen mittels Kolbenpumpe unter Druck, damit das Petroleumgas aus der Düse in die Brennkammer des Primus strömt. Hat man seltenes Glück, entzündet sich ein Kranz mit vielen kleinen blauen Flämmchen. Oder es ragt eine giftgelbe Flammfahne empor, die wild rußt und erbärmlich stinkt! Wir verfügen über zwei kleinere und ein großes dieser Ungeheuer.

       Noch eine unliebsame Begleiterscheinung beim Kochen auf den Primuskochern ist, dass die Töpfe von dem Petroleum stark verrußen. Dieser klebrige, schwarze Belag lässt sich nur durch starkes Scheuern mit einem Naturkalksteinpulver entfernen, das die Indios uns als „Pockhe“ an der Tür verkaufen. Entsprechend gerötet und wund sehen unsere armen, geschundenen Hände nach dieser Operation aus.

       Wie bereits beim Anheizen des Badewassers erwähnt, haben wir im Hause zwar elektrischen Strom, aber die geringe Leistung, die jedem Haushalt von der Bolivian Power Co. zugeteilt wird – so heißt hier die Firma, die den Strom liefert –, reicht gerade einmal für die etwa fünfzehn 25-Watt-Funzeln für unsere Zimmerbeleuchtung. Und auch das ist oft ein Glücksspiel, denn Stromausfälle sind hier an der Tagesordnung.

       Nicht zu vergessen der obligate tägliche Gang zum Einkaufen in dem fünfzehn Minuten Fußmarsch entfernten Frischmarkt, dem Mercado Sopocachi. Obwohl ich mich in Begleitung von Frau Kahn befand, wurde mein dortiger erster Besuch zum Kulturschock. Abgesehen von den unbeschreiblichen Gerüchen, die einem beim Betreten des geschlossenen Gebäudes entgegenwehen, trifft man darin auf etwa drei Reihen von etwa einem Meter vom Boden erhöhten Betonpodesten, auf denen die mit bunten Polleras und den typischen steifen Filzhüten bekleideten Marktcholas inmitten ihrer Waren thronen. Meistens tragen sie auch noch ein in ein buntes Tuch stramm eingewickeltes Kleinkind auf dem Rücken.

       Die Indios nennen ihre Neugeborenen „Guaguas“.

      

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