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wohne, treffe er sich zum Saufen öfter mit Leuten des dortigen Sturms. «Die Idee, den Tod der beiden einem Unbeteiligten anzuhängen, stammt von Gießwein, darauf würde ich wetten. Alles andere verschwimmt in einem Dunst aus Gerüchten, Schnaps und natürlich aus Beziehungen. Weshalb interessiert Sie der Fall?»

      Kappe erzählte, was am Stettiner Bahnhof vorgefallen war.

      «Da kann Ihr Mann aus der Eifel aber von Glück sagen, dass er noch lebt. Viel Glück bei Ihrer Untersuchung! Aber an die wahren Täter werden Sie nicht herankommen.»

      Am interessantesten waren für Kappe die Personendaten zu den gesammelten Fällen: Beruf, Alter, Werdegang. Sogar handgeschriebene Lebensläufe lagen bei. Da war der Polizist, bereits 1927 der SA beigetreten. Der Postbote. Der Angestellte einer Bank. Der Hausmeister. Der ehemalige Offizier. Der Werkzeugmacher. Kappe war erstaunt, wie viele SA-Mitglieder zuvor in einem Freikorps tätig gewesen waren. Freikorps waren Soldatenbünde gewesen, die sich in der frühen Weimarer Republik die Ermordung roter Revolutionäre und die Unterminierung der Demokratie zum Ziel genommen hatten. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gehörten ebenso zu ihren Opfern wie Matthias Erzberger und Walther Rathenau. Ein Attentat auf Philipp Scheidemann, der die Republik ausgerufen hatte, war gescheitert. Ab 1930 hatten sich diese Menschen oft der SA angeschlossen. Darunter hatten sich manche gemischt, die in der Zeit der Wirtschaftskrise kriminell geworden waren.

      Kappe verschloss den Aktendeckel und eilte nach Hause. Sein Bruder Oskar hatte seinen Besuch angekündigt.

      Oskar Kappe ließ sich ächzend in der Küche nieder. Das tägliche Stehen im Geschäft war Gift für seine Bandscheiben. «Im nächsten Leben komm ich als Kassenrendant auf die Welt. Da kann ich den lieben langen Tag sitzen.»

      «Wie läuft denn das Geschäft?», wollte Klara wissen. Sie kannte seine Klagen schon.

      «Es kann nicht besser laufen. Die Kackbraunen rauchen, weil Tabak braun ist. Die anderen rauchen, weil das braune Kraut dabei zu Asche wird. So braucht jeder meine Tabakwaren.»

      Klara schloss rasch das Fenster zum Hof, damit niemand die Sprüche ihres Schwagers hörte.

      «Doktor Kappe rät: Raucht, bis Berlin im Dunst versinkt! Das hält die Nation zusammen.»

      Das Gespräch plätscherte dahin. Klara genoss seine Flachsereien, schenkte ihm einen Märkischen Landmann ein und setzte sich schließlich ihm gegenüber an den Küchentisch.

      «Ich muss mit Hermann reden», sagte Oskar Kappe.

      «Der müsste ausnahmsweise mal pünktlich nach Hause kommen, denn er freut sich auf deinen Besuch», entgegnete sie. «Er hat den Fall eines Zimmermanns auf dem Tisch, der einige Arbeitskollegen in den Tod geschickt hat.»

      Oskar Kappe nickte. «Weiß ich. Als die Braunen heute ihre Stumpen bei mir gekauft haben, haben sie über einen Zimmerer gesprochen, der deutsche Arbeiter ermordet haben soll. Die wussten sogar, dass Hermann für den Fall zuständig ist. Einen Roten haben die ihn genannt. Hermann muss aufpassen. Die werden immer dreister. Als ich sie bat, etwas weniger laut zu sein, weil andere Kunden sich gestört fühlen könnten, sagte einer zu mir: ‹Männeken, Männeken, nicht dass dir dein vorlautes Maul mal leidtut. Denn wer mal auf dem Pflaster saß, der weiß, wie weh das tut, sagt man in Altona.› Dabei hat er gegrinst.»

      In diesem Moment betrat Kappe die Wohnung. «Klara, wo ist mein Besuch?»

      «Dein Besuch ist auch mein Besuch», rief sie laut. «Dein Bruder ist hier.»

      «Schön, dass du Zeit hattest, mal vorbeizukommen, Oskar. Was treibt dich denn hierher?», fragte Kappe.

      Oskar schaute ihn nachdenklich an. Dann erzählte er ihm die Begebenheit mit der SA.

      Kappe nahm den Vorfall nicht auf die leichte Schulter. «Dieser Tage ist ein Zeuge vor Gericht zu drei Tagen Haft verurteilt worden, weil er es abgelehnt hat, im Gerichtssaal den Arm zum Deutschen Gruß zu heben. Stand in der Mottenpost.»

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