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sei. Er habe Blessuren im Gesicht und könne erst am nächsten Tag vernommen werden.

      Seit Anfang 1933 ärgerte sich Kappe schwarz und wünschte einigen im Präsidium die Krätze an den Hals, wenn er einen Fall zu bearbeiten hatte, in dem die SA eine Rolle spielte. Er hatte sich sein Bild von den Mitgliedern dieser NS-Organisation gemacht. Man kam daran einfach nicht vorbei. Wie viele seiner Kollegen schaute auch Kappe nur noch verlegen zur Seite, wenn es um die SA ging. Hunderte von denen waren nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und nach dem Putsch der Reichsregierung gegen die preußische Landesregierung zu sogenannten Hilfspolizisten ernannt worden. Die Männer blieben SA-Mitglieder, wurden aber notdürftig als Polizisten verkleidet. Die SA-Feldpolizei war eine Sondereinheit, die die reguläre Polizei bei ihrem Kampf gegen die «staatsfeindlichen Kräfte» verstärken und unterstützen sollte.

      Tatsächlich machte die SA, was sie wollte. Sie richtete Gefängnisse und Folterlager ein. Zum Beispiel in der General-Pape-Straße. Das Pankower Gefängnis war von der SA kurzerhand umfunktioniert worden. Seitdem hieß es Karl-Ernst-Haus, nach dem sadistischen Berliner SA-Chef benannt. Das Columbiahaus in Kreuzberg wurde die schlimmste SA-Folterstätte. Später übernahm die SS das Haus und setzte fort, was die SA begonnen hatte. Daneben existierten in Kneipen und anderen SA-Treffpunkten viele kleinere Folterstätten. Die SA verhaftete zeitweise, wen sie wollte, quälte ihre Opfer, wo und wann sie wollte, ermordete sie schließlich und verscharrte sie irgendwo. Die Schutzpolizei konnte nichts tun. Die Mordkommission der Berliner Polizei stand am Ende oft vor dem, was äußerlich kaum noch einem Menschen glich.

      Offiziell durfte die SA das alles natürlich nicht. Nicht einmal mehr verhaften durfte sie. Reichsinnenminister Frick hatte am 12. April 1934 angeordnet, dass die SA selbst keine Verhaftungen mehr vornehmen, sondern nur noch Schutzhaft anregen dürfe. Vor allem dann, wenn ein Verdächtiger durch staatsfeindliche Äußerungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Kappe grunzte. So ein Quatsch! Und was war mit der SS? Nur Dumme ließen sich durch einen Frick-Erlass täuschen.

      Anfangs war Kappe nur neugierig stehengeblieben, wenn SA-Mitglieder, ihre Lieder grölend, auf Lastwagen durch die Stadt fuhren. Er konnte vom Rand der Straße her riechen, dass viele besoffen waren – so besoffen, dass sie Vater und Mutter nicht mehr erkannt hätten. Grinsend saßen sie auf den schaukelnden Ladeflächen, ihre Gewehre zwischen den Schenkeln, die Sturmriemen festgezogen. Wenn der Wagen hielt und die Männer heruntersprangen, wichen die Menschen unwillkürlich zurück. Kinder wurden von der Straße geholt, Rollläden runtergelassen. Das Straßenleben erstarb. Später bog Kappe sofort ab, wenn er solche Wagen kommen hörte.

      Manchmal hatte er den unbestimmten Eindruck, dass neben den aufmarschierenden Scharen der SA, neben denen der Jungen und Mädchen, der Lehrer mit dem Parteiabzeichen, der braunen Beamten, der Landwirte und Krämer noch eine andere Armee marschierte. Wenn der offizielle NS-Staat die Berliner Wilhelmstraße hinauf- oder hinuntergezogen war, über den Horst-Wessel-Platz zum Fehrbelliner Platz, glaubte Kappe ein leises Echo auf deren Tschingderassabum zu hören. Das drang aus irgendeiner Parallelstraße, auf der schweigend, grau und lautlos eine andere Schar zog: die SS und der Sicherheitsdienst, auch SD genannt.

      Es schüttelte Kappe, wenn er denen begegnete. Die Mitarbeiter des SD waren meist arbeitslose NSDAP-Mitglieder, die der SS beigetreten waren. Judenhasser aus dem Staatsdienst, auch aus dem Polizeikorps, die sich das Parteiabzeichen der Braunen hatten anstecken lassen. «Arische» Jünglinge. Sadisten. Hasser der Republik. Gegner jeglicher Verständigung mit anderen Völkern. Bedenkenlose Aufsteiger. Viele gingen keinem Dreck aus dem Weg, weil sie mit den Nationalsozialisten aufsteigen wollten. Manche von denen waren ebenso intelligent wie gewissenlos und besaßen geschliffene Umgangsformen. Und allmählich wuchs dieses Volk in die reguläre Polizei hinein.

      Die Beamten der Mordinspektion waren Fußsoldaten. Sie kamen aus allen Schichten des Volkes – mit und ohne Latinum. Es kam in den Mordkommissionen auf Ausdauer, auf Intelligenz, auf Menschenkenntnis an. Wer seinen Kopf wie ein Lexikon der menschlichen Natur zu gebrauchen wusste, der war hier richtig. Das war keine Arbeit für Menschen, die ihre Füße lieber in Schühchen für den Sonntagnachmittag-Ausflug steckten statt in Stiefel mit dicken Sohlen.

      Der SD, das war Angst und Schrecken, Schweiß und Erbrochenes, Blut und lädierte Knochen. Alles versteckt hinter dicken Mauern. Der Satz «Kommen Sie mit!» wirkte am besten nachts, wenn man jemanden aus dem Schlaf gerissen hatte. Wer solch einem Befehl nicht freiwillig folgte, den erwartete die Hölle.

      Auf diesem Terrain musste sich Kappe nun bewegen. Er tat das, was ein guter Kriminalist tat, wenn er in unklare Situationen Klarheit bringen wollte: nachschauen, was die Akten hergeben. Also rief er Trude Steiner an, Sekretärin der Mordinspektion und Vertraute von Ernst Gennat. Er schilderte ihr die Situation und bat darum, ihm die Fälle zukommen zu lassen, in deren Ermittlungen sich die SA eingemischt hatte.

      «Diese Informationen können Sie haben», antwortete Trude Steiner. «Sie brauchen lediglich vorbeizuschauen. Es liegt alles bereits parat.»

      Kappe zögerte. Wieso lagen solche Informationen schon bereit?

      «Nur zu. Das hat Herr Gennat bereits vor Wochen veranlasst.

      Der ist ja nicht von gestern. Und Sie stehen auf der sehr kurzen Liste der Leute, die Einblick haben dürfen. Sie fertigen keine Abschriften an, geben nichts aus der Hand. Sie bestätigen mir durch Ihre Unterschrift bei der Rückgabe, dass Sie keine Regel verletzt haben. Kann ich mich darauf verlassen?»

      «Selbstverständlich», antwortete Kappe.

      Wenige Minuten später hatte er einen Aktendeckel in der Hand, der zugeklebt war. Auf dem Verschlussstreifen standen Name und Datum. Kriminalrat Arthur Nebe hatte diese Unterlagen zuletzt in der Hand gehabt. Im Präsidium wurde erzählt, Hermann Göring halte die Hand über den gelernten Berliner Polizisten. Nebe sei für die Geheime Staatspolizei, für die preußische Gestapo tätig. Welche Aufgaben er im Einzelnen hatte, das wusste offenbar keiner.

      Kappe löste den Streifen und öffnete die Mappe, um einige der Fälle zu entnehmen.

      Fall eins: Mord an einem kommunistischen Bezirksverordneten. Das Bild des Ermordeten zeigte ein mageres Gesicht, volles Haar, eindringliche Augen. Er trug ein knautschiges Hemd und eine Jacke in einem undefinierbaren Grau. Motorenschlosser in einem Flugzeugwerk der AEG. Ein Allerweltsgesicht. Auch die Mörder waren auf Photopapier gebannt worden. Alle trugen die obligatorische Kappe, Hemd und den kurzen Schlips. Der Sturmriemen lief quer über die Brust.

      Der Bezirksverordnete war aus dem Haus getreten, in dem er mit seiner Familie wohnte. Vor dem Haus hatte sich ein SA-Mann aufgepflanzt, eine Holzlatte mit einem daran genagelten Schild in der Hand. Darauf stand: Hier wohnt ein Volksfeind. Ein kurzer Wortwechsel – und dann mehrere Schüsse, die den Bezirksverordneten töteten. Zufällig waren Schutzpolizisten in der Nähe. Sie verhafteten die beiden SA-Männer. Die kamen in Zellen des Präsidiums, der sogenannten roten Burg. Zwei Tage später wurden sie auf schriftliche Anweisung des preußischen Innenministers Göring wieder aus der Haft entlassen.

      Fall zwei: Mord an einem Betriebsrat. Wieder waren Opfer und Mörder photographiert worden. Die Mörder hatten gestanden. Dennoch waren sie auf Veranlassung des preußischen Innenministeriums aus der Haft entlassen worden.

      So reihte sich ein Fall an den anderen. Wie elektrisiert las Kappe schließlich folgende Schilderung:

      Mehrere SA-Mitglieder des Spandauer Sturms hatten sich derart zerstritten, dass sie schließlich ihren Konflikt handgreiflich lösten. Dabei kamen zwei SA-Männer um. Da die Spandauer SA-Mitglieder ihre Gelage stets in Gesellschaft von Gästen abhielten, kam ein Obertruppführer auf den Gedanken, die Tötung der beiden SA-Kollegen einem völlig betrunkenen Gast anzuhängen. Dieser wurde mit Kaltwassergüssen aus seinem Rausch gerissen und mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe zwei SA-Leute erschlagen. Als der Beschuldigte sich zu wehren begann, wurde er erschossen. In einem Schriftstück wurde festgehalten, dass er sich gegen seine Festsetzung gewehrt habe. Als er die Flucht ergreifen wollte, sei er von aufmerksamen Hilfspolizisten erschossen worden.

      Das Schriftstück war vom Kollegen Teichmüller unterzeichnet. Der arbeitete für die Politische Polizei und war Kappe von einem früheren Fall bekannt.

      Er

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