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wird anders aussehen als ethisches Nachdenken über den Alltag in einem räumlich ganz anders strukturierten Gebilde. Diese äußeren Dinge wirken sich auch auf die Krankenhauskultur aus. Diese wiederum hat mit Aspekten wie Grüßen und Anrede (Duzen, Siezen, Umgang mit Titeln) zu tun, mit Formen der Höflichkeit und Rücksichtnahme und mit Strukturen eines Gemeinschaftslebens (Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfeiern, Betriebsausflug, gemeinsame Fortbildungen). Es ist ethisch nicht unerheblich, welche Kultur sich herausbildet und wie Kultur weitergegeben und gepflegt wird.

      Das Buch widmet sich drei großen Aspekten einer Krankenhausethik für den Alltag: erstens einer „Ethik für Menschen“ – einer Alltagsethik mit besonderem Blick auf die Bedürfnisse und die Eigenart eines Krankenhauses; zweitens der Institution Krankenhaus mit ihren ethischen Herausforderungen als menschlichem Krankenhaus und der Frage nach „happy hospitals“; drittens explizit den Menschen, die in einem Krankenhaus arbeiten, mit ihren Rollen und Beziehungen.

      Es will also zum Nachdenken über eine kleine Ethik des Krankenhausalltags einladen. Nur diese Einladung, verbunden mit Hinweisen auf wichtige Fragen und Aspekte sowie einem Angebot an Begriffen und sprachlichen Unterscheidungen, kann dieses Buch unterbreiten.

      der Blick auf den Alltag

      „Schwieriger zu ertragen sind die Nächte. Während der Untersuchungen gelingt es mir ganz gut, eine gewisse Distanz zur Krankheit und meinen Problemen zu halten. Die nüchternsachliche Atmosphäre, in der sich die Untersuchungen abwickeln, und das rein klinische Interesse, mit dem ‚mein Fall‘ betrachtet wird, tötet jede weitere Gefühlsregung sofort ab. Des ungeachtet ist die Schutzhaut, die mich davor bewahrt, in wilde Panik auszubrechen, papierdünn und äußerst verletzlich, und es gibt Stunden, während ich im Zimmer liege und auf den nächsten Test warte, da erfüllt mich schwärzeste Hoffnungslosigkeit, und ich fühle mich hundeelend und wirklich sehr einsam. Nachts wird es dann noch schlimmer. Dann denke ich an all die vielen anderen, denke an all das Elend, das dieser riesige Betonklotz in sich birgt, und dann kann ich mit einem Mal beten. […] Ich habe Zeit, an mir zu arbeiten und meine Erkenntnisse so zu formulieren, dass ich sie [meine Freundin Annuska, Anmerkung], die aus der Hetze des Alltags heraus an mein Bett eilt, nicht mit Klagen zu empfangen brauche, sondern ihr tragen helfe.“9

      Die Nacht in einem Krankenhaus – andere Geräusche, andere Gerüche, andere Erwartungen; eine eigene Welt.10 Es ist nicht nur die Welt des Sachlichen und des Professionellen, die Welt der Expertise und der kundigen Handgriffe, die Welt der Technologie und der chemischen Prozesse, die durch Medikamente gesteuert werden. Es ist nicht nur die Welt von Heilung und Sorge, Behandlung und Pflege. Es ist auch eine Welt von Angst und Unsicherheit, eine Welt von Verletzlichkeit und Gefühlen, eine Welt von Einsamkeit und neu erwachter Gottessehnsucht, eine Welt von Schmerz und einer neuen Kultur von Freundschaft. Die Nacht ist eine besondere Zeit; in der Nacht verschieben sich die Proportionen, manche Probleme werden ungemein groß. In der Nacht zeigt sich ein anderer Rhythmus, ein anderes Regelwerk. Tiziano Terzani nutzte die Nacht nach der Krebsdiagnose in der Klinik, um nachzudenken:

      „Noch eine weitere Nacht verbrachte ich allein in der Klinik und hatte so viel Zeit nachzudenken. Ich überlegte, wie viele andere Menschen wohl vor mir in diesen Räumlichkeiten mit ähnlichen Mitteilungen konfrontiert worden waren, und empfand diese Gesellschaft irgendwie als Ermutigung.“11

      Die Nacht als Raum des Denkens und Nachdenkens, die Nacht als Zeit der Kontemplation. Erving Goffman hat sich in seinen Studien über Institutionen immer auch gerade für deren „Unterseite“ interessiert, für das, was hinter der Bühne des Geschehens, abseits des grellen Tageslichts geschieht. So sind denn auch die Nächte in einem Krankenhaus einen besonderen Blick wert. Jerome Lowenstein beschreibt in einem Band über seine Erfahrungen als Arzt die Mitternachtsmahlzeit, die die in einem Krankenhaus im Zuge ihrer Ausbildung tätigen Ärzte gemeinsam einnahmen.12 Diese mitternächtlichen Begegnungen dienten nicht nur dem Verzehr von Überresten aus der Cafeteria, sondern vor allem auch dem Austausch, der gegenseitigen Unterstützung, der Bildung eines Gemeinschaftsgefühls. Auch in diesem Sinne kann sich ein Blick auf die Nacht in einem Krankenhaus lohnen; dieser Blick könnte zu einer „kleinen Ethik der Krankenhausnacht“ führen.

      Im Folgenden soll also über Konturen einer „kleinen Ethik“ für ein Krankenhaus nachgedacht werden. Dabei wollen wir uns zuerst über den Begriff „Ethik“ Gedanken machen, dann über die Begriffe „Alltag“ und „Gesundheit“, um zuletzt ein kleines Wörterbuch vorzustellen, das Begriffe enthält, die für ein Nachdenken über ethische Fragen im Krankenhausalltag von Bedeutung sind.

      Wir haben es hier nicht mit „sauberen Idealsituationen“ zu tun, wie sie am Schreibtisch oder im Lehnstuhl (als sogenannte „armchair ethics“) entworfen werden, sondern mit echten Lebenssituationen, die entsprechend „unaufgeräumt“ sind. Der amerikanische Medizinanthropologe Arthur Kleinman hat den professionellen Ethiker/​inne/​n nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, immer wieder Ethik für eine ideale Welt zu betreiben. Das Leben ernst zu nehmen bedeute, es zu sehen, wie es ist – „messy“.13 Oder in den Worten des protestantischen Theologen Reiner Anselm: „Ethik entsteht nicht in der dünnen Luft der Theorie, sondern ihr Ort ist die stickige Atmosphäre konkreter Konflikte. Sie ist gebunden an konkrete Orte der Entscheidung.“14 In diesem Bereich stickiger Atmosphäre und moralischer Luftverschmutzung bewegt sich die ethische Reflexion für den Alltag. Orte von Verletzlichkeit und Krankheit, wie sie Krankenhäuser darstellen, sind denn auch Orte, die für die Ethik besonders wichtig sind. Orte des Krankseins sind Orte der Ethik.15

      In Gesprächen mit Müttern, die mit ihren Kindern Krankenhausaufenthalte absolvierten, hörten wir Sätze wie: „Äußerlichkeiten sind wichtig, wie du dich kleidest, ob du dich schminkst. Das hat einen Einfluss darauf, wie man dich im Krankenhaus behandelt“, oder: „Es macht einen Unterschied, ob der Titel auf der E-Card eingetragen ist oder nicht, man geht mit dir anders um, wenn du einen akademischen Titel hast“, oder: „Manche Eltern haben ganz unverschämte Ansprüche, gerade auch, wenn es um die Kinder geht. Da tut mir manchmal das Personal leid“, oder: „Das Wichtigste sind wohl Wertschätzung und Höflichkeit. Wie man behandelt wird. Wenn du deinerseits dem Personal höflich begegnest und Wertschätzung entgegenbringst, wirst du auch eher höflich behandelt werden.“

      Bleiben wir beim Stichwort „Höflichkeit“: Der deutsche Sprachwissenschaftler Harald Weinrich hat die Höflichkeit als die entscheidende Tugend des öffentlichen Lebens beschrieben, als Grundpfeiler von Gesprächskultur und Demokratie. Dabei ist Höflichkeit eine Form der Gesprächsführung, die das Gebot der maximal effizienten Informationsübertragung bremst, mit Konjunktiven, Adjektiven und indirekten Formulierungen arbeitet, sich dem Gegenüber behutsam nähern lässt und nicht allein am „Was“ des Inhalts, sondern auch am „Wie“ des Stils interessiert ist. Höflichkeit im Krankenhaus ist eine ethische Frage, die auch mit den angesprochenen Details zu tun hat. Höflichkeit ist dabei eine Sache des einzelnen Menschen, aber auch eine Frage der Arbeitskultur. Hier kann eine Person das Klima nachträglich beeinflussen. Studien zur Arbeitsplatzzufriedenheit betonen immer wieder die Bedeutung des Betriebsklimas, das nicht zuletzt mit Aspekten des höflichen Umgangstons zu tun hat.

       Ethik: das Nachdenken über das Gute

      Hier zeichnen sich Aspekte ab, bei denen man an einer kleinen Ethik für ein Krankenhaus bauen könnte. Immer wieder geht es bei solchen Überlegungen um den richtigen Umgang. In einem Interview erzählte eine Krankenschwester, die auf der Intensivstation arbeitet:

      „Ein heikles Thema sind auch Alkoholiker und Drogenkranke. Da muss ich mich auch zusammennehmen. Ich sage mir immer vor, jeder Alkoholiker habe einfach auch eine Vorgeschichte und es ist jetzt nicht dem sein Ermessen, dass er das jetzt wollte. Sondern der wird auch anders reingeschlittert sein, aber man tut sich bei Alkoholikern sehr schwer in der Betreuung, weil die teilweise extrem ungehalten sind, und die sind meisten auch im Entzug, aber das ist mehr lindernd als bessermachend. Und wir bekommen recht viele Alkoholiker, auf der internen Seite. Da haben wir schon einigen ein paar Wochen aus dem Leben rausgeholt. Aber du weißt ganz genau, du hackelst da voll rein, und der geht

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