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      »Berlin erobern – vielleicht mit meinen Jonglierkünsten?« Er schaffte es immerhin, drei leere Weinflaschen durch die Luft zu wirbeln und vor seiner Nase kreisen zu lassen, wenn auch nur selten, ohne dass sie irgendwann zu Boden fielen und zerschellten.

      »Mit deiner Kenntnis von guten Weinen.«

      Berthold Kempinski kaute an seinem Rinderbraten und geriet wieder ins Wanken. »Und wenn ich nun doch in Breslau bleibe und wir zusehen, dass wir zum Weinhandel noch ein eigenes Restaurant aufmachen?«

      Sein Bruder reagierte abwehrend. »Nur über meine Leiche.«

      Berthold Kempinski lachte. »Das machte nur Sinn, wenn wir Krojanke hätten und dich fein portioniert auf den Teller bringen könnten.«

      »Verschone mich bitte mit deinem schwarzen Humor!«

      Sie stritten sich noch eine Weile, doch schließlich setzte sich Berthold Kempinski hin und schrieb einen Brief an Caspar Sprotte, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt war. Könne er ihn nicht vom Bahnhof abholen, er wolle sich einmal in der Hauptstadt umsehen, ob es sich lohne, dort eine eigene Weinhandlung zu eröffnen.

      Die Antwort kam prompt. Immer her mit Dir, ich freue mich schon darauf, Dich zu umarmen.

      Caspar Sprotte hatte sich gern als Cicerone angeboten und sich schon lange vor Berthold Kempinskis Eintreffen in Berlin in der Szene kundig gemacht, so dass er den Breslauer nun zu den wichtigsten Ladenlokalen führen konnte, in denen man Wein kaufen und verkosten konnte.

      »Beginnen müssen wir unbedingt mit Habel«, sagte er, als sie sich an einem eher trüben Oktobertag auf den Weg durch die Innenstadt machten. »Denn: Was dem Kain der Abel,/ ist dem Kenner edler Weine hier in Berlin der Habel.«

      Die Weinhandlung der Königlichen Hoflieferanten Gebrüder Habel war bereits 1779 gegründet worden. Johann Simon und Johann Georg Habel waren aus der Gegend von Rothenburg ob der Tauber an die Spree gekommen. Die Söhne hatte das Anwesen Unter den Linden 30 gekauft und 1784 neben der Weinhandlung eine Weinstube eröffnet. Die Hintergebäude reichten bis zur Rosmarinstraße. 1801 hatte man alles umbauen lassen.

      »Und Johann Simon Habel ist sogar 42 Jahre lang Kellermeister Friedrichs des Großen gewesen«, sagte Sprotte. »Von den beiden anderen beiden Preußenkönigen ganz zu schweigen, den Friedrich Wilhelmen II. und III.«

      »Damit kann ich leider nicht dienen.« Berthold Kempinski seufzte.

      Sprotte nickte. »Ich fürchte, auch nicht mit der Alt-Berliner Behaglichkeit, welche die Leute an Habel so schätzen. Die alten Kachelöfen, die Bilder aus dem Hof-, Theater- und Volksleben.«

      Berthold Kempinski registrierte, dass ihm immer bänger wurde. Da hatte er sich, angetrieben von Helene, vorgenommen, Berlin im Handstreich zu erobern – und stand nun mit Pfeil und Bogen vor hohen Festungsmauern.

      »Warum haben wir ausgerechnet mit Habel beginnen müssen?«, hielt er Sprotte vor.

      Der Freund lachte. »Das habe ich bei Machiavelli gelesen, dass man immer mit den größten Grausamkeiten beginnen soll.« Erst jetzt begriff er, dass jede schon bestehende Weinhandlung, in die er Berthold führte, ein schwerer Schlag war, den der Mann aus der Provinz erst einmal verdauen musste. »Biegen wir dennoch ab in die Charlottenstraße zu Lutter & Wegner.«

      Über diese Berliner Institution wusste er zu berichten, dass sie schon 1806 vom Kaufmann und Weinhändler Sigismund Trenck begründet worden war, und zwar in einem wunderschönen klassizistischen Gebäude, das kein Geringerer als Carl Gontard entworfen hatte. Fünf Jahre später war das Geschäft dann von Christoph Lutter und August Friedrich Wegner übernommen worden. In den Kellergewölben hatten Berühmtheiten wie die Dichter E. T. A. Hoffmann, Heinrich Heine und Theodor Körner und der Schauspieler Ludwig Devrient zu ergründen versucht, wie viel Wahrheit im Wein zu finden war.

      Wieder war Berthold Kempinski so beeindruckt, dass es ihm fast den Atem nahm. Als er dann aber mit Caspar Sprotte in einem der Gewölbe saß, dessen Wände Handzeichnungen E. T. A. Hoffmanns zierten, hatte er sich schon wieder gefangen.

      »Das sieht ja hier aus wie in den Kasematten der Festung Küstrin«, sagte er. »Oder wie zu Hause in meinem Kohlenkeller.«

      Sprotte lachte. »Die Kunst besteht eben darin, den Leuten weiszumachen, dass das ein ganz besonderes Erlebnis sei.«

      »Ein bisschen gehobener hätte ich’s schon gern«, bekannte Kempinski, »so vom Ambiente her.«

      Da gefiel ihm Trarbach in der Behrenstraße 51 schon besser, obwohl ihm das Etablissement zu klein erschien. Der Kellner erzählte ihnen, dass man an einen Neubau denke. Berthold Kempinski freute sich, als er das hörte, denn das war der Beweis, dass die Berliner Weide noch lange nicht abgegrast war. Die empfohlenen Weine von der Ahr und der Mosel fand er so vorzüglich, dass er für Sprotte und sich einen Schoppen nach dem anderen bestellte. Die Folge war, dass sie ihren Rundgang erst am Abend des nächsten Tages fortsetzen konnten.

      Diesmal begannen sie bei F. W. Borchardt in der Französischen Straße 48. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehend, mussten sie eine Weile nachdenken, wann die Firma denn wirklich gegründet worden war, denn oben am Sims stand MDCCCLIII. Schließlich einigten sie sich auf 1853.

      »Klein, aber fein«, fasste Sprotte seine Erkenntnisse über F. W. Borchardt zusammen. »Zuweilen geruht der Kronprinz hier nach einem Theaterbesuch in einem der Nebensäle zu soupieren, die Garde-Kavallerie feiert hier, und die älteren Herren des vornehmen Landadels schauen vorbei, wenn sie nach Berlin kommen. Wer ein Gourmet ist, kann sich mit dem Ober beraten und sich jedes gewünschte Gericht extra zubereiten lassen.«

      »Gut, fühle mich als Berthold von Kempinski, Großgrundbesitzer aus Raschkow, und bestelle mir Schlesisches Himmelreich.«

      So geschah es dann auch, und er war von allem überaus beeindruckt.

      »Na, willst du Borchardt kopieren?«, fragte Spotte.

      Berthold Kempinski zögerte mit einer Antwort. »Nein, das ist mir für den Anfang alles eine Nummer zu groß, aber am Ende könnte das schon stehen: die Weinhandlung in Verbindung mit einem Restaurant und einem Delikatessengeschäft. Aber um da hinzukommen, braucht man Jahrzehnte.«

      Sprotte lachte. »Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen, und wo und wie willst du denn anfangen?«

      »Auf alle Fälle bald, denn wenn die Millionen aus Frankreich erst da sind und ausgegeben werden, muss man zur Stelle sein. Und wo? Auf alle Fälle irgendwo im Bereich Friedrichstraße, Leipziger Straße.«

      »Warum nicht am Potsdamer Bahnhof, wenn der nächstes Jahr eröffnet wird, warum nicht am Hackeschen Markt?«, fragte Sprotte. »Ich habe noch zwei gute Adressen, aber da musst du ein paar Groschen für eine Droschke lockermachen, so weit latsche ich nicht durch die Stadt.«

      Berthold Kempinski nickte, und so fuhren sie zunächst zu den Weinstuben Frederich in der Eichhornstraße 3. Die war zwischen der Potsdamer und der Linkstraße gelegen und stieß an ihrem östlichen Ende an das ausgedehnte Bahngelände.

      »Das wäre schon eher meine Hutnummer«, sagte Kempinski, als sie an Ort und Stelle angekommen waren, denn gemessen an Habel und Borchardt wirkte das Haus Frederich mit seiner niedrigen Firsthöhe und dem schlichten Stil ziemlich bescheiden.

      »Adolf Menzel soll hier verkehren«, sagte Sprotte.

      »Ja, schön und gut«, Berthold Kempinski wiegte den Kopf hin und her, »aber so unmittelbar neben einem Bahnhof, da hat man zu viel Laufkundschaft und keine Stammkunden, und die garantieren einem das Überleben.«

      »Dann auf zum Hackeschen Markt!«

      Staud’s Weinstuben, seine letzte Adresse, lag am Zwirngraben 2 und war über die Neue Promenade zu erreichen.

      »Manche kommen nur zu Franz Staud, um Berlins schmalstes Haus zu bewundern. Das liegt direkt daneben, zweieinhalb Stockwerke hoch, aber nur so breit, dass gerade mal Platz für ein Fenster je Etage vorhanden ist.«

      Auch Berthold Kempinski staunte

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