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      Jan Eik

      Der Berliner Jargon

      Mit einem Vorwort von

       Jutta Voigt

      Jaron Verlag

      Originalausgabe

      2. Auflage 2012

      © 2008 Jaron Verlag GmbH, Berlin

      Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

       www.jaron-verlag.de

      Umschlaggestaltung: Jaron Verlag GmbH, Berlin

      Satz: LVD GmbH, Berlin

      ISBN 9783955521868

      Inhalt

       Cover

       Titel

       Impressum

       Jutta Voigt Über das Verschwinden des Berliner Dialekts

       Das Berlinische an sich und als solches Dialekt und Vorurteil

       Aus Glogau, Gardelegen und Radeburg Alles waschechte Berliner

       Von »acheln« bis »ssappendusta« Die berlinische Aussprache

       »Meen’ Se mir?« Grammatik und Akkudativ

       »Breejenklütrich, aba mit ’n Wuppdich« Der Berliner Wortschatz

       Zwischen Wannsee und Herzberje Betonung frei nach Schnauze?

       »Hungerharke« und »Renommierpimmel« Berlins angeblicher Volksmund

       Bescheidenheit ist eine Zier Berlinische Redewendungen und Reime

       Literaturauswahl

      Jutta Voigt

       Über das Verschwinden des

       Berliner Dialekts

      In der Berliner Gesellschaft zu berlinern ist, als würde man mit dem Hummerbesteck seine Frisur richten. »Haste ma ’n Euro?« – mit der allseits bekannten Losung der Loser scheint für die Verächter des Berliner Idioms alles gesagt zu sein: Der Berliner Dialekt ist die Sprache der Armen, der Verlierer, der Hinterhöfe. Wer berlinert, hat nichts zu melden außer seinen Namen auf den Fluren der Arbeitsämter und Sozialhilfestellen. Wer was zu sagen hat, berlinert nicht, der hat Abitur, Aktien und einen Arbeitsplatz, der bucht sein Flugticket auf Englisch und ist auch sonst fatal global. Berliner Dialekt ist was für Taxifahrer oder Türken aus Kreuzberg. Wer seinen Kindern was Gutes tun wollte, hat ihnen verboten zu berlinern. Man trifft in dieser Stadt Leute, die in Berlin geboren wurden, aber ebenso gut sonst wo zur Welt gekommen sein könnten. Kein Zungenschlag erinnert mehr an die raue Melodie der Straßen ihrer Kindheit. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder, vor allem aber: Sprich nicht ihre Sprache! Auch Hamburger, Kölner oder Stuttgarter reden, sofern beruflich aufgestiegen, makellos steriles Hochdeutsch. Stoßen sie in der Hauptstadt auf Menschen, die berlinern, meinen sie, in der Gosse gelandet zu sein. Der Schein trügt.

      Die Mauer hatte Berlin nicht nur in Ost und West geteilt, nicht nur ideologisch, ökonomisch und mental, sondern auch sprachlich: In Westberlin, der Frontstadt, aus der sich die großen Industrie-Unternehmen AEG, Borsig und Siemens verabschiedet hatten und mit ihnen die dazugehörigen Arbeiter, wurde am Ende der Mauerjahre mehr geschwäbelt als berlinert. Der Großstadt-Jargon hatte entweder dörflicher Mundart Platz gemacht oder einem Hochdeutsch, durch das der heimische Dialekt schimmerte wie ein Dreckrand, den es wegzuschrubben galt – wozu hatte man den General im Haus. Als eine Freundin, die in den 1980er Jahren nach Westberlin ausgereist war, sich dort bei einem Filmvertrieb bewarb, gab man ihr zu verstehen, dass sie sich erst einmal ihren Dialekt abgewöhnen solle.

      Berlinert wurde nur noch ganz unten, in Wedding und Neukölln. Und im Osten.

      In der Hauptstadt der DDR erfasste der Berliner Dialekt alle Schichten, die gebildeten wie die ungebildeten – hier berlinerte der Bauarbeiter wie der Bildhauer, der Professor wie der Straßenbauer, die Schauspielerin wie die Verkäuferin. Unterschiede gab es nur in der Grammatik. Die Intellektuellen verzichteten bei aller Solidarisierung mit den Helden der Arbeit nicht auf die richtige Anwendung der Fälle. Berliner Dialekt zu sprechen war so staatstragend wie subversiv. Staatstragend, weil es sich um die Idee einer Diktatur des Proletariats handelte. Somit war das Mundwerk der kleinen Leute allgemeiner Konsens. Gefallen haben kann das bilderreiche, konkrete Berliner Idiom den gern ins Abstrakte flüchtenden Genossen nicht. Sie waren ja Aufsteiger und wollten was Besseres darstellen. Eine ursprüngliche Sprache hätte ihnen eigentlich verdächtig sein müssen. Doch konnte man der führenden Klasse schlecht das Maul verbieten, jedenfalls was die Mundart betraf, da gab es Schlimmeres, was verhütet werden musste.

      Subversiv wirkte der Berliner Dialekt, weil das Berlin des Ostens fast ausschließlich von Sachsen regiert wurde, angefangen vom Stimm-Eunuchen Walter Ulbricht, endend bei den Parteisekretären aus Erfurt und Suhl, die geholt wurden, um Berliner Großbetrieben und Akademien den wahren Sozialismus beizubringen. Die Berliner wehrten sich gegen die sächsische Invasion – Berlinern war die Rebellion der Nüchternheit gegen die Phrase, der Triumph der Realität über die Schönfärberei, ein linguistischer Protest gegen die Bonzen aus Sachsen.

      Das angeborene Bedürfnis des Berliners, Bedeutungsblasen zu schrumpfen, die Dinge zu erden und auf ihr wahres Maß zurechtzustutzen, konnte pseudosozialistische Propagandisten in arge Verlegenheit bringen.

      Auch heute ist das Berlinische bestens geeignet, die Mehr-Schein-als-Sein-Welt ohne Fisematenten vom Kopf auf die Füße zu stellen. Hamse’s nich ne Nummer kleiner?, fragt der Berliner, wenn ihm was allzu aufgepustet daherkommt, wenn eine Politiker-Pose vor Pathos zu platzen droht – seine Aversion gegen schwindelnde Höhen ist bekannt. »Von der Idee spricht der Berliner nur, wenn er etwas ganz, ganz besonders Winziges meint« (Walter Benjamin): Könnse den Wein bitte ’ne Idee kühler servieren?

      Der Hang zum Konkreten war schon immer eine Eigenart der Bewohner dieser Stadt. Als die Nazis kamen, tat der Maler Max Liebermann, Präsident der Preußischen Akademie der Künste, seinen bekannten Ausspruch: »Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte« – genauer geht’s nicht.

      Als die Mauer fiel, strömten Hunderttausende Ostberliner mit dem Ruf »Wahnsinn, Mann!« nach Westberlin. Wäre dort mehr berlinert worden, hätte sich das Zusammenwachsen der beiden Stadthälften einfacher gestaltet. Die Teilung der Sprache enttäuschte, man wähnte sich nah und wurde sich fremd. Man wunderte sich im Westteil der Stadt, »dass sogar gutgekleidete, also der sozialen Oberschicht zugehörige Ostberliner deutlich Mundart sprechen«. Im Ostteil wunderte man sich, dass in Schöneberg »keen Aas berlinert«.

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