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Bube, Dame, König. Fabian Vogt
Читать онлайн.Название Bube, Dame, König
Год выпуска 0
isbn 9783865064486
Автор произведения Fabian Vogt
Издательство Автор
Felix schluckte elegant einen Kommentar hinunter. Dann fragte er unterwürfig zweifelnd: »Einen Spielzeugkinderwagen? Habe ich Euch richtig verstanden, Eure Lordschaft?«
Der Adlige lächelte: »Ja, ich habe etwas versprochen und es nicht gehalten. Ich möchte nicht, dass das Kind von mir enttäuscht ist. Es ist schrecklich, enttäuscht zu werden.«
Der gut gekleidete Mann empfand beim Anblick der brennenden Bauten auf einmal eine tiefe Zufriedenheit, auch wenn ihm die Hitze Tränen in die Augen trieb. Das Schicksal hatte für ihn entschieden und ihm die Qualen eines langen, zögerlichen Nachdenkens abgenommen: Es würde Tage dauern, bis zumindest eine der zerstörten Brücken wieder passierbar sein würde. Die Fähren auf der Themse fuhren sonntags nicht und wären für sein Reisegepäck ohnehin zu klein gewesen. So konnte er, ob er wollte oder nicht, frühestens am nächsten Morgen auf die andere Seite gelangen, um die Heimreise anzutreten. Zumindest an diesem Abend würde er sich daher mit der Frau treffen, um von ihr etwas über die Geschichte seines verhassten Feindes zu hören. Und jetzt, da es keinen Ausweg gab, war er bereit, die Begegnung zu riskieren. »Es ist verrückt«, dachte er, »weil die Entscheidung gefällt ist, kann ich mit ihr leben. Als ich sie selbst hätte fällen sollen, bin ich vor ihr davongelaufen.«
Der Lord drehte seinem Diener den Rücken zu und ließ sich in den Mantel helfen, der durch den permanenten Funkenflug an einigen Stellen kleine Brandlöcher bekommen hatte. Er klang entspannt, als er seine Anweisungen gab: »Du kannst die Koffer wieder auspa cken, Felix. Da die Brücke zerstört ist, können wir ohnehin nicht nach Hause fahren. Wir bleiben also auf jeden Fall bis morgen hier.«
Der Diener wischte einen glimmenden Punkt, der sich gerade auf dem feinen Stoff niedergelassen hatte, von der Schulter des Adligen. Er musterte seinen Herrn einen Atemzug lang und sagte dann verhalten: »Eure Lordschaft, Ihr habt sicher nur vergessen, dass London seit einigen Jahren eine zweite Brücke hat. Die Westminsterbridge ist nun wahrhaftig kein großer Umweg. Wir können also sehr wohl fahren. Die Kutsche müsste sogar schon eingetroffen sein.«
Lord Kilmarnok schaute auf seinen Bediensteten und verfluchte ihn innerlich. Gleichzeitig wusste er, dass sich das Ja zu einer Begegnung mit der Tochter des Schneiders in ihm festgesetzt hatte wie der Angelhaken in einem Fisch. Es jetzt noch zu entfernen, würde unnötige Wunden hinterlassen. Abgesehen davon empfand er die Entscheidung, nachdem er sie innerlich getroffen hatte, plötzlich als konsequent und klar, so klar, dass er nicht einmal gewillt war, über eine Änderung des Plans nachzudenken: »Wir bleiben hier. Es geht nicht anders.«
Er wandte sich um und ging mit festem Schritt Richtung Soho. Felix sah ihm unschlüssig hinterher. Schließlich lief er schimpfend zurück zum Gasthaus.
In der Little Chapel Street hing der Mond schläfrig in den Bäumen und beobachtete zwei Katzen, die seit Stunden umeinander herumstrichen. Obwohl die Bewohner der Häuser verpflichtet waren, die Straße vor ihrer Tür von 18 bis 23 Uhr zu beleuchten, lag alles im Dunkeln. Wer in Soho wohnte, war meist froh, wenn er die Miete auf bringen konnte, Geld für kostspielige Brennstoffe besaß er nicht. Der leichte Wind, der die Häuserschlucht entlangzog, brachte die Schilder der Handwerker über den Eingängen der Werkstätten zum Schwingen und das Aneinanderreiben der Kettenglieder erfüllte die Luft mit einem stetigen Seufzen. Gegen neunzehn Uhr tauchten wie jeden Abend die roten Laternen der Latrinenleerer das Viertel in ein warmes Licht, das mit dem süßlich-schweren Gestank der Exkremente um die Aufmerksamkeit der Anwohner buhlte, bis es träge Richtung Leicester Square davonschlich.
Lord Kilmarnok zog angewidert die Nase hoch, als er wenig später die Gasse betrat und sich dem Haus mit der Nummer 5 näherte. Vor den Stufen zum Eingang hielt er einen Augenblick inne, dann schüttelte er energisch den Kopf, stieg hinauf und klopfte. Die Tür war nur angelehnt und sprang von selbst auf. Vorsichtig blickte der Adlige in das hell erleuchtete Innere.
Einen Augenblick war er überzeugt, sich in der Tür geirrt zu haben, denn er erkannte den Raum nicht wieder. Er wollte sich schon, eine Entschuldigung murmelnd, zurückziehen, als er plötzlich die junge Frau entdeckte, die wieder vor der hinteren Wand kniete und Bögen mit Mustern anbrachte. Die Farben dieser Blätter waren so verschieden von denen des Morgens, dass sich die gesamte Atmos phäre des Raumes verändert hatte. Diesmal hatte die Künstlerin ein warmes Blau gewählt, auf dem zarte weiße Linien die Wellen andeuteten, zwischen denen kleine Ruderboote ihre Bahn zogen. Auf den ersten Blick schienen dem Ankömmling die kleinen Kähne mit ihren weit nach hinten gelehnten Ruderern alle identisch zu sein, bis er erkannte, dass im hellen Fond jedes Bootes andere Menschen saßen: einmal ein verliebtes, kosendes Pärchen, einmal zwei streitlustige Alte, dazwischen ein in der Bewegung erstarrtes Geigenquartett, eine stillende Mutter oder ein steif thronender Soldat mit ordenübersäter Brust. Wie ein Bilderbuch eröffnete die Wand den Einblick in eine winzige, verlockende Welt und weckte die Sehnsucht, die vielfältigen Geschichten der farbenfrohen Personen kennen zu lernen. Und während am Mittag der Raum mit der Pflanzentapete wie eine wohlige Höhle gewirkt hatte, schien er nun weiter und größer. Lord Kilmarnok war es, als betrete er eine Uferpromenade, während er die Türschwelle überschritt.
Die junge Frau hatte das Quietschen der Tür gehört. Sie legte ihren Pinsel zur Seite und drehte sich um. Verwundert sagte sie: »Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr tatsächlich kommt!«
Der Mann trat langsam ein und versuchte, seine Sinne an den neuen Anblick zu gewöhnen: »Ich auch nicht! Aber jetzt bin ich hier.«
Er schloss die Tür hinter sich und legte zwei Pakete, ein langes und ein breites, auf den Schneidertisch, bevor er sich der Frau näherte, die sich erhob und demonstrativ zwischen ihm und der Kammer Aufstellung nahm. Der Adlige sah sich suchend um: »Wo sind die anderen?«
Isabelle, die diesmal einen einfachen Rock über dem Mieder trug, rührte sich nicht. Ihre Worte abwägend, sagte sie: »Bei der brennenden Brücke. Dort scheint sich ja die ganze Stadt zu versammeln. Jedenfalls wollten mein Vater und Jizchak das einzigartige Schauspiel nicht verpassen. Kaum war der rote Glanz am Himmel, sind sie losgerannt. Philipp …« Ihre Stimme zitterte leicht: »… wird jeden Augenblick zurück sein, und meine Tochter ist gerade nach Hause gekommen. Sie wäscht sich.« Scharf fügte sie hinzu: »Ihr solltet aber trotzdem nicht auf dumme Gedanken kommen! Ihr müss tet mich töten, um zu ihm zu gelangen!«
Jetzt erst entdeckte Lord Kilmarnok die blitzende Schere in ihrer Hand. Obwohl er spürte, dass die Nähe des ihm so verhassten Mannes ihn tatsächlich unruhig werden ließ, versuchte er zu lächeln. Es misslang. Schnell versteckte er sein Gesicht hinter einem seidenen Taschentuch und sagte verschnupft: »Ich bin vor allem gekommen, um mich zu entschuldigen. Ich kann mir vorstellen, was du nach diesem Tag von mir denkst. Ich habe mich wie ein Verrückter benommen – aber ich will nicht, dass du mich verachtest.« Er hielt ihren prüfenden Blicken stand: »Tatsächlich möchte ich diesen Widerling immer noch umbringen, aber gerade jemand, der einen unehrenhaften Menschen beseitigen möchte, sollte sich dabei selbst ehrenhaft benehmen. Mein Auftreten heute Mittag war äußerst verwerflich, und ich bitte dich um Vergebung.«
»Bitte geht!«
»Erst, wenn du meine Entschuldigung angenommen hast.«
Mit hochgezogenen Brauen sah der Lord Isabelle direkt in die Augen, verbeugte sich dann tief und wandte dabei die Augen bewusst zum Boden, bevor er sich wieder aufrichtete. Die dunkelhaarige Frau musste unwillkürlich lächeln, weil zum ersten Mal in ihrem Leben jemand vor ihr eine Verbeugung gemacht hatte. Dann fing sie plötzlich an, wie ein kleines Mädchen zu kichern. Irritiert runzelte Lord Kilmarnok die Stirn, unsicher darüber, wie er ihre Reaktion deuten solle. Zudem kam sie mit gezückter Schere auf ihn zu. Die erheiterte Frau aber griff zu ihrem Zeichenblock, der auf einem Stuhl lag, und zog den verwunderten Mann ins Licht. Sie musterte neugierig seine Gesichtszüge und sagte: »Ihr seht gruselig aus. Ihr wart offensichtlich auch beim Feuer. Vielleicht hättet Ihr Euch waschen sollen, bevor Ihr hierher kommt. Obwohl: Das Muster auf Eurem Gesicht gefällt mir.«
Mit wenigen Strichen