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Bube, Dame, König. Fabian Vogt
Читать онлайн.Название Bube, Dame, König
Год выпуска 0
isbn 9783865064486
Автор произведения Fabian Vogt
Издательство Автор
Die Flüche hallten in dem kleinen Zimmer nach. Keiner sagte etwas. Jizchak kam von der Treppe und setzte sich auf den Stuhl, von dem Isabelle ihr Kleid genommen hatte. Sanft sagte er: »Ihr kennt ihn wirklich nicht. Wie Ihr ihn beschreibt … so ist der König nie gewesen!«
Lord Kilmarnok zog die Nase hoch, da er es nicht wagte, zu seinem Taschentuch zu greifen: »König! Ich höre immer nur König! Dass ich nicht lache. Ein aufgeblasener Popanz ist er, sonst nichts. Wer hat ihn denn jemals ernst genommen? Keiner. Man hat ihn ausgelacht. Ganz Europa hat sich über ihn amüsiert. Er war das Gespött aller Höfe dieser Welt.«
Er beugte sich vor: »Kennt Ihr die berühmte holländische Karikatur von ihm? Da sieht man ihn auf langen Stelzen, wie er verzweifelt versucht, eine über ihm hängende Krone zu erreichen. Aber er kam nicht dran. Nicht einmal mit diesen langen Dingern unter den Füßen. Er hatte einfach nicht das Format zu einem Herrscher. Er ist einfach ein Stück Unrat!«
Verächtlich spie Kilmarnok neben sich auf den Boden. Isabelle strich sich die Haare aus dem Gesicht: »Nun, zumindest hat er wesentlich bessere Manieren als Ihr! – Ich glaube, dass Ihr keine Ahnung habt, wovon Ihr eigentlich sprecht und was für ein Mensch er ist.« Ihre Züge entspannten sich: »Der König ist herzlich und voller Leidenschaft für das Leben. Er kann so ... so begeisternd sein. Und er war immer großzügig. Er hat damals sogar meine Taufe bezahlt, als mein Vater kein Geld besaß. Er ist ..., nun, er war ein edler Mann.«
Der Körper des Adligen zuckte unkontrolliert. Nur langsam gewann er die Beherrschung zurück. Für einen Moment rührte er sich nicht mehr, dann fragte er lauernd:
»Wieso: ›Er war‹?«
Jizchak riss den zerfetzten Ärmel seines Hemdes ab, um die Wunde zu verbinden. Mit zusammengebissenen Zähnen murmelte er: »Der König liegt im Sterben. Sie haben ihn aus dem Gefängnis entlassen, weil sie nicht für seine Beerdigung aufkommen wollen. Der Arzt hat gesagt, dass er höchstens noch eine Woche zu leben hat. Lasst ihm diese Woche. Sie würde Euren Hass nicht mindern.«
Lord Kilmarnok stützte sich erneut auf, als wolle er sich erheben. Philipp zuckte nach vorne, doch Isabelle hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Als der Adlige aufgestanden war, richtete er seine Kleider und strich den Stoff glatt. Scharf fragte er: »Warum? Warum sollte ich das tun? Warum sollte ich diesem Haufen Dreck etwas gönnen?«
Isabelle strich ihrer Tochter, die sich immer noch an sie schmiegte, beruhigend über das Haar: »Warum? Mein Gott, was wollt Ihr eigentlich? Der König kann niemandem mehr etwas tun. Er ist schwer krank und halluziniert die meiste Zeit. Ja, er erkennt nicht einmal mehr die Menschen um sich herum. Er nennt selbst mich andauernd mit fremden Namen. Bringt es Eurer Ehre irgendetwas, wenn Ihr einen wirren alten Mann tötet?«
Auf der Straße fuhr eine Kutsche vorbei, und das kreischende Geräusch der Räder erfüllte das Haus und schnitt jedes Wort ab. Lord Kilmarnok ließ seinen Blick langsam durch den Raum schweifen, während er sein schmerzendes Kinn rieb. Direkt unter dem Fenster des schmalen Zimmers stand ein großer Schneidertisch, der mit einer dünnen Staubschicht bedeckt war. Deutlich war an einer Stelle der Abdruck einer Schere zu erkennen, die jemand weggenommen hatte. In dem kleinen Kamin, der schmucklos in die Wand eingelassen war, brannte ein mageres Feuer. An der Rückwand aber, an der die junge Frau gearbeitet hatte, gingen zwei Türen ab, die zwischen den angebrachten Papierbögen wie die Augen eines schlafenden Riesen in den Raum ragten. Als nähme er seine Umgebung erst jetzt richtig wahr, fragte der Eindringling, indem er auf die Wand zeigte: »Was ist das hier?«
Isabelle ging an ihm vorbei und stellte sich schützend vor die Wand. Mit einem ironischen Unterton sagte sie: »Das? Ihr solltet eigentlich wissen, was das ist. Oder kommt Ihr von so weit vom Land, dass Ihr die neusten Moden dort gar nicht erst kennen lernt? Das, was Ihr hier seht, heißt Tapete.« Ihr Blick war mit einem Mal voller Stolz: »Falls Ihr es tatsächlich noch nicht mitbekommen habt: Die Zeiten der bemalten Räume und des Stucks sind vorbei. Darin sind sich alle Experten einig: Es bricht eine neue Epoche heran. Bald wird man in allen Häusern der Reichen die Wände mit bemalten Stoffen behängen. Und ich werde ihnen die Muster dafür liefern.«
Lord Kilmarnok zog verwundert die Oberlippe hoch. Dann sagte er mit leicht nasaler Stimme: »Welcher Edelmann wird von einer einfachen Arbeiterin ein Muster kaufen wollen?«
Die junge Frau wandte sich angewidert ab. Schascha aber schoss aus der Ecke, in der sie sich ängstlich verkrochen hatte, hervor, stellte sich vor dem Adligen auf die Zehenspitzen und gab ihm mit ihrer winzigen Hand eine Ohrfeige. Dann huschte sie blitzschnell zu ihrer Mutter zurück, um sich hinter ihr zu verstecken. Mehr verblüfft als erschreckt trat der Lord einen Schritt zurück. Dann hob er, verärgert über seine Irritation, die Hände. Philipp näherte sich dem Mann drohend, so als sei er für einen Anlass zum Verprügeln des Eindringlings dankbar, doch Isabelle hielt ihn wieder zurück: »Lass! Da sieht man nur, dass Geld keine Garantie für wirklichen Adel ist. Der Kerl ist vielleicht fein angezogen, aber er hat die Manieren eines Bauern und die Seele eines Unteroffiziers. Wer andere erniedrigen muss, ist immer selbst von Zweifeln zerfressen. Wir sollten ihn bedauern.«
Erbost zog der Zurechtgewiesene seine Jacke gerade und wollte eben zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, als hinter der linken Tür ein verzweifelter Ruf erschallte: »Julia!«
Ehe einer der Anwesenden reagieren konnte, sprang Lord Kilmarnok an Isabelle vorbei, ergriff die Klinke und stürmte in die Kammer: »Wo ist das Schwein?«
Durch die Türöffnung kam ein schwacher Lichtschimmer, in dem sich der Rücken des Adligen deutlich abzeichnete. Konzentriert versuchte er, in aller Eile das Halbdunkel mit seinen Blicken zu durchdringen. Während die übrigen Anwesenden wie versteinert auf Lord Kilmarnok starrten, griff dieser zu einem Messer, das er am Hosenbund verborgen hatte, und hielt es vor sich. Kurz spiegelten sich die schwachen Lichter der Fenster in der Klinge, bevor er sie hob. Schascha heulte auf, als der Mann mit festen Schritten in dem Raum verschwand.
Zwei Sekunden später taumelte er zusammengekrümmt rückwärts wieder heraus und hielt sich den Bauch. Hinter ihm erschien Albrecht, der Großvater des Mädchens, und reckte strahlend einen Schürhaken in die Luft. Seine Augen folgten dem Metall, als hielte er ein Schwert in der Hand: »Ich wusste, dass Genua wieder Mörder schicken würde. Sie können es einfach nicht lassen. Und als ich den Schuss gehört habe, war ich bereit. Lang lebe der König.«
Albrecht salutierte militärisch korrekt und hüpfte dabei vor Freude leicht in die Luft. Seine Begeisterung steckte die anderen an. Isabelle nahm ihrem Vater den Schürhaken aus der Hand, mit dem der halb Blinde im Raum herumfuchtelte. Sie besann sich und sagte leise: »Lang lebe der König. Wie schön das klingt. Du weißt, dass er nicht mehr lang leben wird. Und das liegt nicht an solchen Trotteln wie diesem hier, sondern an der mangelnden Gesundheit seiner Majestät.«
Albrecht schaute mitleidig auf den um Atem ringenden Lord, dem Philipp gerade die Hände fesselte. Dann schüttelte er sich und nickte widerwillig: »Geh rein, Isabelle, er will dich sehen! Wir kümmern uns um diesen Kerl.«
Die junge Frau trat zu ihrer Tochter und begann, auch ihr die Spuren des Kleisters von den Kleidern zu streichen. Trocken erwiderte sie: »Der König will nicht mich, er will irgendeine Julia sehen. Und ich habe keine Lust, eine andere Frau für ihn zu spielen.«
Albrecht starrte sie verwundert an. Offensichtlich hatte er nicht mit einem Widerspruch seiner Tochter gerechnet. Er kratzte sich nachdenklich am Hals: »Isabelle. Du bist für ihn diese Julia.