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residierten in Paris auch die bedeutendsten Kunsthändler der Welt.

      Die Olympischen Spiele von 1924 brachten der Stadt die Aufmerksamkeit breiter Schichten. Kubismus, Dadaismus und Surrealismus waren dagegen Produkte einer flirrenden, skandalträchtigen Gegenkultur. Man Ray, Marcel Duchamp oder Salvador Dalí verstörten das Bürgertum nicht allein mit ihrer Kunst, sondern auch mit ihrem exzentrischen Lebensstil. Nicht zuletzt festigte Paris in diesem Jahrzehnt seinen Status als Modestadt Nummer eins. Gabrielle „Coco“ Chanel dominierte die Laufstege zunächst unangefochten. Sie stand für schlichte Eleganz, kombiniert mit hoher Handwerkskunst. 1921 brachte sie das Parfüm Chanel Nº 5 auf den Markt, ein ebenso revolutionärer wie luxuriöser Duft, die olfaktorische Signatur des anbrechenden Jahrzehnts und ein Produkt wie für die Ewigkeit.

      Als die 32-jährige Elsa Schiaparelli 1922 nach Paris kam, um sich dort niederzulassen, war sie ein Niemand. Doch die geschiedene und nun alleinerziehende Mutter einer Tochter wollte hier und nirgends sonst Furore machen. Sie sah sich als Künstlerpersönlichkeit, obwohl sie keine Kunsthochschule von innen gesehen hatte. Sie sollte sich anschicken, mit ihrer Mode keiner geringeren als Coco Chanel Konkurrenz zu machen, obwohl sie nie eine Schneiderlehre absolviert hatte. Elsa Schiaparelli entwickelte eine Vision, von der sie hundertprozentig überzeugt war: Sie wollte die Ästhetik der künstlerischen Avantgarde in die Welt der Mode überführen. Der alles beherrschende Stil des Hauses Chanel galt ihr als spießig und langweilig. Die Italienerin träumte von einer Mode, die so irritierend, so bunt, provokativ und gleichzeitig verspielt war wie die Kunstaktionen der Surrealisten. Die Provokation war gleichzeitig ihre vielleicht einzige Chance auf Sichtbarkeit. Trotz – oder gerade wegen – nur 1,50 Meter Körpergröße musste sie sich selbstbewusst als neue Größe der Modewelt präsentieren: Erst Schein, dann Sein. Doch woher kam diese Frau überhaupt?

      GEFAKTE OHNMACHT VOR DEM ALTAR

      Elsa Schiaparelli hatte ein Elternhaus, um das sie viele beneiden durften: Die Mutter entstammte altem neapolitanischen Adel, der Vater war ein angesehener und wohlhabender Professor für Orientalistik, der Onkel ein bekannter Astronom. Man lebte in einem römischen Palazzo. Der Bildungsbürgertochter mit Geld im Rücken hätten sich Türen geöffnet, die für Arbeiterkinder noch auf Jahrzehnte fest verschlossen blieben. Doch sie hatte schon als Kind nichts als Verachtung für ihr konservativ-katholisches Elternhaus übrig. Wo sie nur konnte, brüskierte sie ihre Eltern. Mit acht Jahren, bei ihrer Erstkommunion, trat sie vor den Priester und stöhnte theatralisch: „Ich habe Unzucht getrieben!“ Anschließend fakte sie eine Ohnmacht und sank graziös zu Boden. Sogar ihr Vorname war ihr zu spießig, weshalb sie sich lieber „Schiap“ nannte. Den Eltern reichte es, als sie bei ihrer vorpubertären Tochter hoch-erotische Gedichte fanden, die sie auch noch selbst verfasst hatte. Elsa kam in ein strenges Schweizer Internat. Sie trat so lange in den Hungerstreik, bis sie zu ihren Eltern zurückgeschickt wurde. Dort sprang sie mit einem Regenschirm als Fallschirm aus dem Fenster, übrigens ein gängiges Motiv zeitgenössischer Karikaturen. Damit brachte sie sich beinahe um, denn ihre Fantasie herrschte keineswegs über die Materie. Endlich volljährig zog Schiaparelli nach London und entging so der Ehe mit einem reichen Russen, den ihre Eltern für sie erwählt hatten. Sie arbeitete als Kindermädchen in vornehmen Haushalten und hielt sich damit über Wasser. Eines Abends besuchte sie den Vortrag eines Hochstaplers und Selbstdarstellers, der als Willem de Wendt auftrat, bei anderer Gelegenheit aber auch die Pseudonyme Willie Wendt oder Wilhelm de Kerlor verwendete, wenn er sich nicht gerade als den „weltberühmten Dr. W. de Kerlor“ ankündigte. Die 23-Jährige war schock-verliebt und verlobte sich bereits am nächsten Tag. Kurze Zeit später fand die Hochzeit statt. Schiaparelli unterstützte ihren Ehemann, der als Prophet und Wahrsager auftrat, bis die Behörden ihn wegen illegaler Geschäftspraktiken anklagten. Das Paar floh zunächst an die Côte d’Azur und im Frühjahr 1916 schließlich nach New York. Zwischenzeitlich hatte es Elsa Schiaparelli hinbekommen, dass ihre Eltern ihr regelmäßig finanziell unter die Arme griffen. Ob aus Liebe, aus Mitleid oder um Schlimmeres zu verhindern, ist nicht bekannt.

      In New York eröffnete William de Kerlor – oder wie auch immer sein richtiger Name lautete – ein „Büro“ für Parapsychologie und übersinnliche Beratung. Prompt wurde er vom FBI beobachtet. Unmittelbar nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Maria Luisa ließ de Kerlor seine Frau sitzen und brannte mit einer Tänzerin durch. Die gedemütigte Schiaparelli freundete sich mit Gabrielle Picabia an, der Frau des Dadaisten und Surrealisten Francis Picabia. So fand sie nicht nur eine emotionale Stütze, sondern auch Zugang zu Kreisen der künstlerischen Avantgarde. Sie lernte Man Ray, Marcel Duchamps und Alfred Stieglitz kennen. Nach ihrer Scheidung und einer kurzen, unglücklichen Affäre übersiedelte sie schließlich 1922 nach Paris.

      Mit dem Geld ihrer Mutter bezog Elsa Schiaparelli eine großzügige Wohnung in einem angesagten Viertel, inklusive Diener, Koch und Hausmädchen. Als geschiedene Gattin eines Hochstaplers wusste sie eben, wie man Menschen beeindruckt – auch wenn nichts dahinter ist. Noch nichts dahinter ist, muss in ihrem Fall ergänzt werden. Denn noch war sie auf der Suche nach etwas, womit sie berühmt werden konnte. Sie war offensichtlich überzeugt davon, bald fündig zu werden. Kurze Zeit half sie Man Ray bei der Herausgabe einer erfolglosen Kunstzeitschrift. Aber die bildende Kunst – nein, die war es einfach nicht. Als sie den Modeschöpfer Paul Poiret kennenlernte, passierte es dann: Ihre Leidenschaft für die Mode entflammte – und es war alles andere als ein Strohfeuer. Mit Mitte 30 wusste Schiaparelli nun endlich, was sie werden wollte: Modeschöpferin. Dieser Plan war ungefähr so erfolgversprechend, wie mit einem Regenschirm als Fallschirm der Schwerkraft trotzen zu wollen. Doch immerhin wurde Paul Poiret für die nächsten Jahre ihr Mentor.

      DER SCHWARZE PULLOVER MIT DER WEISSEN SCHLEIFE

      Irgendwann hatte Elsa Schiaparelli eine kleine Kollektion. Doch wen interessierte das? Frauen, die Kleider nähten oder Pullover strickten und ihre Freundinnen damit beglückten, gab es viele. Keine davon war berühmt. Modeschöpfer? Das war, wer Filmdiven und Fürstinnen mit seinen Roben ausstattete und seine aktuelle Kollektion in der Zeitschrift „Vogue“ abgebildet sah. Elsa Schiaparellis Bekanntenkreis mag illustrer gewesen sein als der einer strickenden Oma. Schließlich bewegte sie sich in der Pariser Avantgarde. Doch für einen Durchbruch als Modeschöpferin brauchte es mehr als eine Gabrielle Picabia in einem von Sciaparelli gestrickten Schal. Die „Vogue“ entschied, wer dazugehörte und wer nicht. Schiaparelli zeigte sich in ihren Kreationen regelmäßig am Rande von Modenschauen. Doch niemand tat ihr dort den Gefallen, sie zu entdecken. In ihrer großbürgerlichen Wohnung hätte sie nur zu gern die Damen der Gesellschaft empfangen. Doch keine erschien. Da schmiedete sie im November 1927 einen verwegenen Plan. Sie beabsichtigte, dort einen krachenden Auftritt hinzulegen, wo die Meinungsmacher der Modewelt samt einiger der besten Kundinnen der großen Modehäuser versammelt waren: beim legendären Diner des Chefredakteurs der „Vogue“. Wie sie an die Einladung gekommen ist oder ob sie überhaupt eine hatte, ist nicht überliefert.

      Elsa Schiaparelli kam jedenfalls absichtlich zu spät. Die Herrschaften saßen bereits an der festlich gedeckten Tafel und speisten. Plötzlich flog die Tür auf. Mit entschuldigender Miene blickte ein Diener noch kurz in Richtung des Gastgebers. Da betrat Elsa Schiaparelli auch schon den Raum. Nein, sie betrat eine Bühne. Doch nicht sie war die Hauptdarstellerin, sondern ihr Pullover. Es war ein schwarzer Pullover mit einer eingestrickten weißen Schleife. So einen Pullover hatte Paris noch nicht gesehen: Er war frech und doch elegant. Ein Blickfang und gleichzeitig ein Augenschmeichler. Vor allem aber ließ er einen Stil erkennen, der sich von der gepflegten Langeweile der Coco Chanel mehr als deutlich unterschied. Ich gebe zu: Bei den Details dieser Szene spekuliere ich ein wenig. Ich war natürlich nicht dabei und es gibt auch keine Bild- oder Tondokumente. Wenn wir uns allerdings vor Augen führen, dass allein dieser Auftritt für die Schiaparelli den Durchbruch zur zweiten maßgeblichen Größe der damaligen Modewelt bedeutete, dann kann es nur ein gigantischer Fake gewesen sein. Elsa Schiaparelli muss mit einem Selbstbewusstsein in die Dinnerparty geplatzt sein, als sei sie bereits ein Star der Schneiderkunst.

      Anders sind die Folgen dieses Abends jedenfalls kaum erklärbar. Die anwesenden Damen waren nämlich derart enthusiasmiert, dass fast alle so schnell wie möglich einen dieser Pullover haben wollten. In den nächsten Tagen

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