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Seine Frau Dorothea, eine geborene Schultze, entstammte einer Pfarrersfamilie. 1775 waren sie die Ehe miteinander eingegangen. Zwei Kinder hatte der Herr ihnen geschenkt: am 20. Mai 1776 die Tochter Elisabeth Maria Anna und am 11. August 1778 den Sohn Friedrich Ludwig.

      Die herausragendsten Ahnen waren von mehr oder minder begabten Künstlern porträtiert worden und hingen nun in Öl im Flur des Pfarrhauses. Alexander Friedrich Jahn ließ kaum eine Gelegenheit aus, sie seinen Kindern näherzubringen. »Das hier ist Magnus Jahn, Rathsherr zu Havelberg. Der Ort macht als alte Bischofsstadt schon eine Menge her. Das Gemälde muss Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Daneben haben wir, etwas später, Arnoldus Jahn, Richter in Plattenburg, und Christopherus Jahn, den ersten Prediger in unserer Familie, euren Urgroßvater. Gelebt hat er von 1676 bis 1755. Rechts außen hängt euer Großvater, Christoph Friedrich Jahn, 1713 bis 1763, auch er Pfarrer in der Prignitz, im Dorfe Vehlin.«

      Sosehr der junge Friedrich Ludwig auch beeindruckt war, ihm kam doch der Gedanke, dass alle seine Vorfahren recht eigentlich kleine Lichter gewesen waren und nur in gottverlassenen Nestern gesessen hatten. Keiner war nach Potsdam oder gar nach Berlin an den Hof des Königs gerufen worden, geschweige denn nach Wien, wo der Kaiser residierte. Es schmerzte ihn ein wenig, dass es keinem seiner Ahnen gelungen war, sich in der großen weiten Welt einen Namen zu machen.

      Der Vater hätte das Zeug dazu gehabt. Er hatte in Halle studiert und in Berlin, in der Nikolaikirche sogar, mit Bravour seine Probepredigt gehalten. Doch dann war er nach Lanz gegangen, froh und glücklich darüber, nun als wohlbestallter lutherischer Prediger eine Familie gründen zu können. Stark war er, außerdem ein hervorragender Kanzelredner und hochgebildet. Tagelang konnte er über theologischen Fragen brüten. Er liebte aber auch das Landleben, baute Hopfen an und züchtete Schafe. Friedrich Ludwig bewunderte ihn, auch wenn er ihn gern als Domprediger oder Bischof gesehen hätte.

      Die Mutter, Dorothea Sophia, stammte aus dem nahen Lenzerwische. Sie war derb und bieder, stark im Glauben und streng in ihren Moralvorstellungen. Zeitlebens redete sie ihren Mann mit »Ihr« an, trug Kleider aus selbstgesponnenen Stoffen und lief wie eine Bäuerin durchs Dorf. Friedrich Ludwig litt unter ihrer Härte, nie nahm sie ihn in den Arm. Andererseits verteidigte sie ihn ohne Wenn und Aber, wenn er Streit mit anderen Jungen hatte. Dann konnte sie zur Furie werden. Auch half sie allen, die in Not geraten waren. Und sie hatte ihm früh, schon als er vier Jahre alt gewesen war, das Schreiben und Lesen beigebracht. »Deine Fibel sei die Bibel!«, so ihre Devise. »Fritz, was heißt das hier?«

      »Der … der … elfte Salm.«

      »Psalm! Mit P, wie beim Pferd. Salm ist ein anderes Wort für Lachs. Lies das, was ich unterstrichen habe!«

      »Der Herr … prüft den Ge-rech-ten; seine Seele hasst den Gott-lo-sen und die ger-ne fre-veln.« Mühsam brachte Friedrich Ludwig die Wörter zusammen.

      »Nicht so stockend! Weiter!«

      »Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitze, Feuer und Schwefel …«

      »Das merke dir fürs Leben!«

      Er folgte diesem Rat. Und dank der harten Schule seiner Mutter konnte er später immer mit Bibelzitaten glänzen.

      Über Lanz war nicht viel zu sagen. Es handelte sich um ein Runddorf, in dem sage und schreibe 335 Einwohner lebten. Bis zur Elbe hatte man rund drei Kilometer zu laufen, bis nach Lenzen, dem nächstgrößten Städtchen im Westen, neun Kilometer. Bis Wittenberge im Südosten war es mehr als doppelt so weit. Die Bauern in der Gegend profitierten vom Hopfenanbau, der ihnen recht viel Geld einbrachte. Als reichster Hopfenbauer galt Germanus Pulvermacher, mit dessen ältestem Sohn Philipp Friedrich Ludwig Jahn eng befreundet war.

      Gern liefen sie beide zur Elbe, genauer gesagt, Friedrich Ludwig überredete Philipp dazu, denn schon früh ließ er einen Wandertrieb erkennen, den sein Vater als angeboren zu bezeichnen pflegte. Abenteuerlust und ein Hang zum Träumen kamen hinzu.

      »Wenn ich jetzt ein Boot hätte, würde ich damit nach Hamburg fahren«, sagte Friedrich Ludwig Jahn.

      »Weißt du, wer in Hamburg König ist?«, fragte Philipp Pulvermacher.

      Jahn überlegte. »Mein Vater sagt, da geben die Pfeffersäcke den Ton an.«

      »Philipp I. aus dem Hause Pfeffersack. Ich verstehe, was bei uns die Hohenzollern sind, das sind bei denen die Pfeffersäcke.«

      »Unsinn!«, kommentierte Jahn.

      »Wieso Unsinn? Bei uns in der Prignitz haben wir doch sogar Gänse, die so was wie Fürsten sind.« Er meinte die Familie Gans Edle Herren zu Putlitz, die dem märkischen Uradel angehörte.

      Jahn wechselte das Thema und zeigte auf die leere Rotweinflasche, die er von seinem Vater stibitzt hatte. »Darin war der Messwein.«

      »Zum Messen nimmt man einen Zollstock und keinen Wein«, stellte Pulvermacher fest. »Der ist doch viel zu schade dazu.«

      »Wenn du mich für dumm verkaufen willst, dann setzt es was!« Jahn hielt die Weinflasche vor sich wie ein Schwert.

      »So etwas würde ich nie tun!«, versicherte Pulvermacher.

      »Das will ich dir auch geraten haben.« Jahn überlegte. »Wir verschicken eine Flaschenpost.«

      Pulvermacher nickte. »Auf den Zettel schreiben wir: Kommt alle am Sonntag in die Kirche, da predigt mein Vater Alexander Friedrich Jahn!«

      Wieder holte Jahn aus. »Noch ein Wort … «

      Pulvermacher duckte sich unwillkürlich, denn er wusste, dass der Freund sehr jähzornig werden konnte. Das hatte er von seiner Mutter geerbt. »Entschuldige bitte!«

      Jahn holte einen Bleistift und ein Stück Papier hervor. Dann schrieb er:

       Wier sitzen auf einer einsammen Inßel bei Lenzen fesst. Retet unß!

      Nachdem sie die Flaschenpost ins Wasser geworfen hatten, setzten sie sich auf die Uferböschung und hofften, dass bald ein Schiff vorüberkommen würde.

      Was aber aus Richtung Schnackenburg angeschwommen kam, war ein Mensch. »Den muss ich rausfischen!«, schrie Jahn.

      Wieder konnte Philipp Pulvermacher nicht anders als zu spotten. »Selbstverständlich, du als Menschenfischer! Der ist doch längst tot.«

      »Das weißt du doch gar nicht!« Damit sprang Jahn in die Elbe. Das Ufer war meist flach, weshalb er dachte, einen Rettungsversuch wagen zu können Er geriet aber in eine Senkung, welche die Strömung ausgespült hatte, und war im Nu untergegangen. Schwimmen konnte er nicht. Aber er kam noch einmal kurz nach oben. »Hilfe, ich ertrinke!«

      »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. So steht es im Brief des Paulus an die Römer, und deshalb können wir gewiss sein, dass es der Herr selbst war, der uns einst unseren verstorbenen König geschenkt hat.«

      Am 17. August 1786, einem Montag, war Friedrich II. von Preußen, auch bekannt als Friedrich der Große oder der Alte Fritz, in Sanssouci verstorben. Selbstverständlich hatte Alexander Friedrich Jahn am darauffolgenden Sonntag in seiner Predigt auf dieses Ereignis einzugehen. Zuerst ließ er die Gemeinde singen, um danach an die erste Zeile des Liedtextes anzuknüpfen.

       Nun danket alle Gott

       mit Herzen, Mund und Händen,

       der große Dinge tut

       an uns und allen Enden,

       der uns von Mutter Leib

       und Kindesbeinen an

       unzählig viel zu gut

       und noch jetzund getan.

      »Nun danket Gott alle für diesen König, der so viel Gutes getan hat in Preußen.

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