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Ernst Haberkern und Oliver Ohmann über mich zu Papier gebracht haben, reicht völlig aus und kann von Ihnen auf keinen Fall übertroffen werden«, teilte mir Jahn mit.

      »Ich werde Ihre Geschichte ganz anders gestalten, denn ich bin ein echter Romanschreiber und lege Wert auf Spannung und Unterhaltung, das heißt, ohne ein bisschen Hollywood will und kann ich nicht auskommen. Was in einer wissenschaftlichen Abhandlung vielleicht zwei Zeilen ergäbe, wird bei mir zu einer filmreifen Szene von mehreren Seiten Länge.«

      Jetzt wurde es gleißend hell vor meinen Augen, und ich fühlte mich in ein griechisches Theater versetzt. Links und rechts von Jahn zogen zwei Gruppen von Chorleuten auf, in der griechischen Antike Choreuten genannt. Die Hauptdarsteller waren Jahn und ich.

      Das Stück begann. Der sogenannte Turnvater ergriff als Erster das Wort, dröhnend und voller Pathos. »Es wird ein anderes Zeitalter für Deutschland kommen, und ein echtes Deutschtum wird wieder aufblühen. Wir werden schöne Träume verwirklicht finden und endlich aus jahrelangem Schlummer erwachen.«

      Der Chor der Jahn-Gegner, der gekleidet war, als komme er gerade von einer Demonstration der Linken zum 1. Mai, sang daraufhin ein vom nationalsozialistischen Regime wie auch der SED-Diktatur missbrauchtes Weihnachtslied: »Es ist für uns eine Zeit angekommen/​sie bringt uns eine große Freud.«

      Der Anführer des Chores trat vor, entbot den Deutschen Gruß und brüllte dabei: »Heil Hitler!«

      Der Chor der Jahn-Freunde, erschienen in klassischer weißer Turnkleidung, konterte mit dem Lied der Deutschen, verfasst von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf der Insel Helgoland, die damals zu Großbritannien gehörte.

       Deutschland, Deutschland über alles,

       über alles in der Welt,

       wenn es stets zu Schutz und Trutze

       brüderlich zusammen hält.

      Der Riegenführer wollte noch etwas richtigstellen. »Deutschlands Einheit war für Jahn der Traum seines erwachenden Lebens, das Morgenrot seiner Jugend, der Sonnenschein seiner Manneskraft und der Abendstern, der ihm zur ewigen Ruhe gewinkt hat.«

      »Von wegen Deutschland!«, kam es von den Gegnern Jahns. »Ein preußisch-deutsches Erbkaisertum hat er angestrebt. Wir, die Republikaner, Arbeiter und Thronvernichter, wir rufen dir zu: Hinweg mit dir, Friedrich Ludwig Jahn, du elender Demokratenfresser!«

      »Ach was!«, rief der Chor der Jahn-Befürworter. »Die Feinde Jahns waren die eigentlichen Demokratenfresser der Metternichzeit. Sie haben ihn jahrelang in Festungshaft gehalten und in die Verbannung geschickt – als Dank dafür, dass er die deutsche Jugend mit seinen Leibesübungen wehrhaft gemacht hat und Deutschland so die Befreiungskriege gegen Napoleon gewinnen konnte.«

      Der Chor der Jahn-Gegner lachte schallend. »Womit er allen Demokraten einen Bärendienst erwiesen hat, denn die Franzosen haben Europa fortschrittliche Ideen gebracht, nach ihnen kam aber eine finstere Zeit.« Er stimmte nun die Marseillaise an.

       Allons enfants de la Patrie,

       le jour de gloire est arrivé!

       Contre nous de la tyrannie,

       l’étendard sanglant est levé.

      Jahn hielt sich die Ohren zu und war entsetzt. »Mein Gott, das mir! Es ist die reinste Folter für mich, Französisch zu hören.«

      Auch die Jahn-Freunde reagierten mit Abscheu und Empörung auf die französische Nationalhymne. »Es ist schäbig von euch, ihn so zu verspotten. Er war gutmütig, zart gegenüber dem anderen Geschlecht, und er besaß einen ausgeprägten Familiensinn. Grenzenlose Hilfsbereitschaft zeichnete ihn aus, und er hat ein Leben lang unbeirrt für das gekämpft, was er als gut, rechtens und anständig ansah.«

      »Er war wild, ungezügelt, herrschsüchtig und überheblich. Und immer wollte er der Erste sein«, konterte die Gegenseite.

      Jetzt wollte ich auch einmal etwas sagen. Da ich in meiner Familie und in meinem Freundeskreis auch immer um Gehör kämpfen musste, wusste ich, dass man nur eine Chance hatte, wenn man einfach dazwischenging. »Jahns Schwärmerei für das Preußentum ist doch eher tragisch zu nennen, denn er wurde zum Opfer dessen, was er angebetet hat, ein Verfolgter des Preußen-Regimes!«, rief ich. »Und wenn sich jemand der deutschen Sprache widmet, dann ist das doch verdienstvoll. Sprachpurismus ist etwas, über das man diskutieren muss, gestern wie heute. Seht euch die Franzosen an, wie sie gegen alle Anglizismen kämpfen!«

      »Unser Turnvater hat die deutsche Sprache über alles geliebt«, ergänzten die Jahn-Anhänger.

       Deutscher, sprich deutsch!

       Deine Rede sei klar und rein!

       Drum fasele nicht und deutele nicht

       sondern antworte »ja« oder »nein«!

      »Wir wiederholen es gern für alle: Sein Ziel war das Heil unserer teuren Muttersprache«, fügte die Turnerriege an.

      Das war das Stichwort für Friedrich Ludwig Jahn. »Deutscher, der du vorbeigehst und deine Muttersprache noch nicht verlernt hast, vernimm meinen Wahlspruch: Schande, Elend, Fluch, Verderben und Tod über dich, so du vom Ausland den Heiland erwartest!«

      »Der Jahn ist doch nichts weiter als ein Vorgänger der Nationalsozialisten!«, schrie einer, der sich schwarz vermummt hatte. »Nazis raus! Nazis runter vom Denkmal!«

      Jahns Freunde stimmten nun eines der Turnlieder an, die man im Jahre 1811 vielerorts gesungen hatte.

       Deutsch zu denken, deutsch zu handeln,

       stets den graden Weg zu wandeln,

       ist des Deutschen Biederpflicht.

       Dieses, Brüder, lasst uns üben,

       nur das Deutsche lasst uns lieben,

       es ist gut, das Fremde nicht.

      Einer von den Jahn-Gegnern tippte sich an die Stirn und rief: »Das ist doch ein Eigentor, merkt das denn keiner von euch? Es gibt keinen gefährlicheren Feind für das wahre Deutschtum als diese Deutschtümelei, die alles lächerlich macht.«

      »Apropos lächerlich«, ergänzte sein Nebenmann, »da schlug der Jahn doch allen Ernstes vor, an der deutschen Westgrenze einen mehrere Meilen breiten Sumpfgürtel anzulegen, in dem wilde Tiere die Franzosen daran hindern sollten, nach Deutschland zu kommen und ihren verderblichen Einfluss auszuüben, insbesondere auf die Jugend und die Frauen.«

      Die Jahn-Verteidiger lenkten nun ein. »Schön und gut, halten wir es mit Goethe und seinem Götz von Berlichingen: Wo viel Licht ist, ist starker Schatten

      »Ach ja, das Theater … «, seufzte die Gegenseite. »Jahn wollte, dass nur noch ein Theaterstück in Deutschland gespielt wird: Die Hermannschlacht

      »Und eine monumentale Hauptstadt sollte es geben«, fügte ein anderer hinzu. »Teutonia. Germania hieß sie später bei Hitler.«

      »Was kann Jahn dafür, dass er von Hitler vereinnahmt worden ist?«, fragten seine Verehrer.

      Ich presste die Fäuste gegen die Schläfen und brachte meinerseits Goethe ins Spiel. »Mir wird von alledem so dumm,/​Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.« Dann riss ich mich zusammen und besann mich meiner Bildung. »Kinder, bedenkt bitte die Lage in Deutschland nach den Befreiungskriegen! Dem Deutschen Bund gehörten 41 souveräne Fürstentümer und freie Städte an, als er am 8. Juni 1815 auf dem Wiener Kongress ins Leben gerufen wurde. Die Menschen mussten sich an Grenzen und Zollkontrollen sowie an neue Maße gewöhnen. Es gab nicht einmal eine richtige deutsche Hochsprache.

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