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gefiel mir, auch wenn sie etwas blass und ausgemergelt aussah. Ihr sandfarbenes Fell war stellenweise kahl – sie wurde deswegen mit einem starken Antibiotikum behandelt – und ein operativ behandeltes Ohr nässte dauerhaft. Sie ließ kaum einen Menschen an sich heran und wenn es zu einem unvermeidbaren Kontakt kam, ließ sie ihn lediglich zitternd, mit gekrümmtem Rücken, eingezogener Rute und ihren weit aufgerissen, bernsteinfarbenen Augen, die starr ins Leere blickten, über sich ergehen. Trotz dieser Angst suchte Luna aber eine feste Anbindung, was sie auch schon gegenüber der Pflegefamilie zeigte. Sie hatte also beste Voraussetzungen, mein großes, weiches Herz zu erobern, denn sie erfüllte alle Kriterien: krank, mager, extrem verängstigt und scheinbar anhänglich – und sie mochte Silence, welcher sich ebenfalls zunehmend mit ihr verstand. Ich machte mir vor, dass ich noch eine Nacht über eine endgültige Entscheidung schlafen müsse. Doch die Würfel waren bereits gefallen. Wenig später war Luna da, wo sie zukünftig leben sollte. In den darauf folgenden Wochen bot sich mir ein ungewohntes Bild:

       Lunas Kontaktaufnahme zu Menschen – wenn überhaupt – war erbärmlich. Ihr Gegenüber hatte eine lebende Statue aus reiner Angst vor sich.

       Luna hatte von Anfang akzeptiert, dass sie sich an mir orientieren sollte oder an Silence. Sie folgte mir auf Schritt und Tritt, zitterte vor Aufregung und klapperte mit den Zähnen, wenn sich irgendetwas veränderte oder sie in Sorge versetzte.

       Luna zeigte außer diesen Angst- und Unsicherheitssignalen kaum andere Merkmale. Sie war nicht aggressiv, ließ sich aber auch nicht beruhigen und konnte nicht entspannen.

       Ihr Fressen nahm Luna nur gehetzt und äußerst schlingend ein. Dabei schaute sie sich immer um und hielt die Rute eingeklemmt.

       Sie ging durch keine Tür, vor allem nicht, wenn fremde Menschen in der Nähe waren. Ich konnte sie in der Anfangszeit nur angeleint durch eine Tür führen.

       Sie pflegte nie ihr Fell.

       Sie leckte niemals meine Hände oder Silence’ Schnauze, wenn sie uns begrüßen wollte.

       Sie nahm kein Leckerchen aus meiner Hand entgegen.

       Bei aggressiver oder lauter Stimmlage oder in Gegenwart von Männern mit dunklen Haaren schreckte Luna zusammen. Erstaunlicherweise machten ihr Schussgeräusche dagegen wenig aus, sofern sie nicht direkt neben ihr zu hören waren.

      Kurz gesagt: Die »Pelznase« war unter Dauerstress. Also suchte ich nach Möglichkeiten, die sie entlasten sollten. Unter all den Aktivitäten, bei denen ich Luna beobachten konnte, verschaffte ihr das Laufen offensichtlich Entspannung. Also liefen wir, weil ich unbedingt erreichen wollte, dass sie sich selbst einmal in einem ausgeglichenen Zustand spüren konnte. Sogar im Schlaf war die Hündin angespannt, ihre Träume waren dabei oft von lauten Knurrgeräuschen begleitet. Aber wenn sie lief, war sie ruhig, wirkte gelassen und auch ihre Augen konnten mich direkt anschauen, ohne durch mich hindurchzugucken.

      Bei allen meinen Bemühungen – u. a. Bach-Blüten- und Reikibehandlungen –, Lunas Angst und Stresssymptome zu mindern, half mir Silence, dem sie folgte wie ein Lamm dem Schäfer. Zunehmend gelang es ihr, Freude zu zeigen, anstatt ausschließlich Angst auszudrücken. Jede Form von Ängstlichkeit ließ ich unbeachtet, während Fröhlichkeit und Entspannung mit Zuwendung belohnt wurden. Für solche Situationen habe ich den Begriff »Hundefreu« geprägt, den ich auch heute noch einsetze. Luna beruhigt sich sofort und erkennt, dass für sie keine Gefahr besteht.

      Durch Silence lernte Luna binnen kürzester Zeit alle Standardsignale, schließlich war die Ausführung von Erfolg gekrönt. So kam auch Luna gerne, wenn ich Silence mit Handzeichen zu mir rief und gleichzeitig »Komm« aussprach, und wurde anfänglich verbal, später mit Futter dafür belohnt. Am Anfang fraß sie vor lauter Anspannung noch nichts aus der Hand. Innerhalb kurzer Zeit beherrschte sie »Komm« – auch auf Pfiff –, »Leg dich«, »Sitz«, »Nein«, »Schau«, »Warte«, »Weiter«, »Geh was trinken«, »Jetzt nimm dein Futter«, »Leine« – also anleinen –, »Bleib bei mir« allein durch Nachahmung.

      Ein paar Monate später, als Luna sich schon eingelebt hatte, übte ich mit ihr unter Zuhilfenahme der Schleppleine die Bedeutung von »Stopp«. Luna sollte dadurch ihr jeweiliges Verhalten abbrechen und umgehend zu mir kommen. Die Anweisung beherzigt sie heute sofort, es gibt aber auch Ausnahmen. Sie ist halt ein Windhund, der auf der Straße und überall sein Überleben sichern musste. Es ist also meine Aufgabe aufzupassen und zu entscheiden, wo sie unangeleint laufen darf. Wir üben zwar das Ignorieren von Wild, aber das Thema ist noch nicht abgeschlossen, wenn es das überhaupt jemals sein wird. So lange gestalte ich unsere Spaziergänge ausgewogen, damit Luna auf ihre Kosten kommt, ohne Dritte zu schädigen.

      Kontakt zu fremden Hunden wollte Luna anfangs überhaupt nicht. Sie flüchtete sofort. War sie an der Leine, gab sie ein »welpiges« Fiepen von sich. Ich stellte mich schützend vor sie und unterband den Kontakt. Damit wollte ich erreichen, dass Luna sich zukünftig im Fall von Unsicherheit oder Angst stets an mich wenden sollte. Diesen Schutz konnte Luna gut annehmen. Anstatt wegzulaufen, kommt sie nun zu mir, wenn sie etwas beunruhigt. Jedenfalls in den meisten Fällen. Auch Silence beschützte Luna, indem er sich zwischen sie und den unbekannten Hund stellte. Manchmal sah es schon komisch aus, wenn Silence zum »Rächer der Witwen und Waisen« mutierte. Eines Tages begegneten wir auf einem Spaziergang wieder den zwei Bordeauxdoggen, die Silence und Luna von flüchtigen, stets aber freundlich abgelaufenen Kontakten her bereits kannten. Die Doggen waren etwa 50 Meter entfernt, als sie gleichzeitig in Richtung Luna rannten. Ich sah an Lunas Reaktion, dass sie Angst hatte, und hörte wieder ihr Fiepen. Bevor die Doggen Luna erreichten, hüpfte Silence in einem todesmutigen Hechtsprung dazwischen und stoppte die Angreifer für einen kurzen Moment, während Luna Fersengeld gab. Die Doggen ignorierten Silence und liefen Luna noch ein Stück hinterher. Aber es war ihnen wohl bald klar, dass sie diesen schnellen Hund niemals einholen würden. Also reagierten sie endlich auf das Brüllen der Halterin. Ich lief mit Silence in die Richtung, in die Luna geflüchtet war, und sah sie nach kurzer Zeit mitten auf einer Wiese warten. Ich pfiff und sie kam umgehend. Für das Kommen belohnte ich sie natürlich, ihrer Erregung schenkte ich keine weitere Aufmerksamkeit. Nach kurzer Zeit hatte Luna sich wieder beruhigt. In diesem Fall war sie geflüchtet, anstatt bei mir Schutz zu suchen. Das war sicher eine weise Entscheidung, denn ich hätte mich kläglich abgemüht, ihr zwei Bordeauxdoggen vom Leib zu halten.

      In der Anfangszeit hielt Silence als Ersthund das Zepter in der Hand, ohne dass er sich darum bemühen musste. Ich hatte mich der Situation angepasst und bevorzugte ihn in einigen Punkten. Bald entwickelten die beiden Hunde aber ein ausgewogenes Verhältnis zu- und miteinander und ich entschied, mich in Zukunft aus diesem Prozess herauszuhalten, solange niemand Schaden litt.

      Lunas Domäne sind mittlerweile die Liegeplätze. Manchmal möchte sie genau dort sein, wo sich Silence ausgebreitet hat. Dann geht sie zu ihm und setzt sich so auf den Platz, dass ein Körperkontakt entsteht. Silence hebt den Kopf, brummelt ungehalten, während Luna stumpf sitzen bleibt und sich tonlos zur Seite dreht. Kurze Zeit später steht Silence – immer noch brummelnd – auf und trollt sich, während Luna den ganzen Platz für sich einnimmt. Im Gegenzug dazu hat Silence die »Verfügungsgewalt« über das Hundespielzeug. Da gibt es absolut kein Vertun, außer Luna ist in Spiellaune und versucht, ihm ein Stöckchen zu klauen. Dabei interessiert sie das Stöckchen nicht besonders. Das Einzige, was sie möchte, ist, dass Silence sie gefälligst beachtet und nicht den dämlichen Stock. Ernste Kabbeleien zwischen den beiden habe ich zum Glück nicht erlebt. Silence und Luna leben ausgeglichen zusammen, sind freundlich zueinander und stehen sich in brenzligen Begegnungen mit anderen Hunden bei.

      Aus Luna ist im Laufe von eineinhalb Jahren ein selbstsicherer, fröhlicher Hund geworden, der gern spielt, aber auch großen Spaß daran hat, Neues hinzuzulernen. Es gibt immer noch schwierige Situationen. Wenn ich jedoch »Es ist alles in Ordnung« sage, weiß Luna, dass sie keine Angst mehr zu haben braucht.

      von Martina und Stefan Zeißler

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