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       ROBIN GATES

      »Ich konnte die Empfindung nicht los werden, als sei ich der Held eines jener phantastischen Märchen, welche ihre Gestalten der Einbildungskraft des Dichters entnehmen und grad desto interessanter sind, je unmöglicher die Ereignisse genannt werden müssen, welche sie erzählen.«

      (Karl May, »Old Firehand«)

       I

      Die beiden Reiter näherten sich dem Lager der Assiniboines von Westen. Die Sonne stand bereits tief über den Pioneer Mountains und warf lange Schatten. Obwohl sich ihr Schein bereits rötlich zu verfärben begann, besaß sie immer noch so viel Kraft, dass der junge Jäger am Rand des Lagers seine Augen mit der flachen Hand abschirmen musste. Im Gegenlicht erschienen die beiden Fremden auf ihren Pferden wie zwei schwarze Schemen in der mit niedrigem Gras bewachsenen Ebene.

      Abrupt drehte der Jäger sich um und lief zu einem der zwölf Tipis seiner Ti‘óšpaye, der Großfamilie, die am Fuß der Gallatin-Bergkette ihr Winterlager aufgeschlagen hatte. Kurz darauf trat eine Frau aus dem Tipi und ging zu der Stelle, von der aus der Jäger die beiden Reiter entdeckt hatte. Sie stand reglos wie ein Fels und wartete darauf, dass die Fremden den zur Siedlung leicht ansteigenden Höhenzug erreichten. Hinter ihr sammelten sich in einigem Abstand weitere Assiniboines der Ti‘óšpaye, bis beinahe das gesamte kleine Dorf auf den Beinen war.

      Die Frau war etwa fünfzig Jahre alt und nicht besonders hochgewachsen, aber schlank, mit einem länglichen Gesicht, dessen Haut die tiefe Brauntönung eines Lebens im Freien aufwies. Sie trug ihr pechschwarzes Haar, in dem bereits einige graue Strähnen sichtbar waren, streng aus dem Gesicht gekämmt und in einem langen geflochtenen Zopf, der ihr beinahe bis zur Hüfte hinabreichte. Nur die Farbe ihrer Augen, von einem intensiven Hellblau wie der Himmel im ersten Licht eines klaren Sommermorgens, verriet, dass sie keine reine Assiniboine war.

      Bald waren die beiden Reiter nahe genug herangekommen, dass die Frau ihre Gestalten ausmachen konnte. Sie erkannte einen hageren älteren Mann, der auf einem Schecken ritt, während sein Begleiter, ein etwa zehn Jahre alter Junge, sich auf einem vollgepackten Maultier ein wenig hinter ihm hielt. Der Hagere ließ seinen Schecken bis dicht vor die Frau herantrotten und musterte sie lange und hart, ohne abzusteigen. Er sah um einiges älter als die Frau vor ihm aus, doch vielleicht war das seinem Bart geschuldet, der ihm in langen, grauen Zotteln vom Kinn herabhing. Er trug die lederne Kleidung eines Trappers, und sein Hut war flach und mit breiter Krempe, sodass seine Augen beinahe im Schatten darunter verschwanden.

      »Du bist also diejenige, die sie Halbblut nennen«, stellte er schließlich fest. Seine tiefe, raue Stimme klang jünger, als er aussah.

      »Ich habe auch einen christlichen Namen«, erwiderte die Frau ruhig. »Unter den Weißen heiße ich Ellen. Ellen Winter.«

      »Vielleicht war das einmal dein Name, Frau«, gab der Reiter kühl zurück. »Jetzt nicht mehr. Jetzt bist du Halbblut, und Halbblut bleibst du, bis zum Ende deines Lebens. Du hast deine Wahl getroffen.«

      Direkt hinter der Frau hatten sich fünf junge Jäger des Stammes aufgestellt. Sie betrachteten die beiden Fremden wortlos und mit feindseligen Mienen. Einer trat neben die Frau und zischte ihr in der Sprache der Assiniboines leise eine Frage zu. Die Frau schüttelte knapp den Kopf und gab ihm eine scharfe Antwort in derselben Sprache zurück.

      »Was wollen Sie hier?«, wandte sie sich wieder an den Fremden.

      »Ich will, dass mich einer von euch zum Lone Mountain führt. Ich habe gehört, dass ihr dort euer Winterlager habt und die Gegend kennt.«

      »Dafür brauchen Sie keinen Führer«, sagte die Frau. »Reiten Sie einfach weiter direkt nach Osten, dann können Sie ihn gar nicht verfehlen. Er steht ja ganz allein, wie schon der Name sagt.«

      »Was ich am Lone Mountain suche, ist nicht so leicht auszumachen wie der Berggipfel selbst«, erwiderte der Mann. »Würde ich sonst in einem Lager von Rothäuten fragen? – Ich suche das Revier von Big Surly.«

      Die jungen Krieger starrten ihn an wie einen Verrückten. Mehrere von ihnen murmelten erregt miteinander. Der Reiter verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. »Dachte ich's mir doch, dass ihr schon auf ihn getroffen seid. Hätte mich sonst auch gewundert.«

      »Bei meinem Volk heißt er Wütender Mann Auf Vier Beinen«, sagte die Frau, die als Einzige ruhig geblieben war. »Dem alten Griesgram geht man besser aus dem Weg, wenn man schlau ist. Er ist ein Man Eater

      »Um so besser, wenn jemand ihm die Zähne zieht«, entgegnete der Fremde auf dem Schecken. »Big Surlys Ruhm hat sich herumgesprochen. Ein Yankee aus Boston, der in Virginia City nur so mit Geld um sich schmeißt, bezahlt eine ordentliche Summe für das Vieh. Der sieht ihn zuhause schon ausgestopft hinter seinem Schreibtisch stehen, mit weit aufgerissenem Rachen und Augen aus Glaskugeln.« Der Mann streckte sich im Sattel durch und sah über die Ansammlung von Tipis hinweg. Sein Blick blieb an den Holzgestellen hängen, auf denen Fleisch von Wapitis und Gabelböcken trocknete. »Bringt mich in die Nähe von Big Surly, und für euch fällt genug ab, um dieses Jahr gut durch den Winter zu kommen. Sieht ja nicht so aus, als ob ihr in diesem Sommer viel gefangen hättet.«

      »Es ist genug, damit wir nicht zu hungern brauchen«, erwiderte die Halbblutfrau. »Sie werden Big Surly alleine stellen müssen.«

      »Jack!«, rief der Fremde den Jungen auf dem Maultier hinter sich an, ohne sich dabei zu ihm umzudrehen. »Mach dich nützlich!«

      Der Junge stieg wortlos ab. Seine Kleidung war dreckig und zerschlissen, und mit der zu großen und löchrigen Hose, die er mit einem Strick um seine Hüfte gebunden hatte, wirkte er wie eine dürre Vogelscheuche. Er nahm dem Maultier ein Bündel mit Decken ab und legte es vor der Frau auf den Boden.

      »Die hier überlasse ich euch im Austausch für einen Begleiter«, sagte der Fremde. »Und ich lege sogar ein paar Stränge Tabak drauf. Bist du immer noch sicher, dass ich hier niemanden finden werde, der uns führt?«

      Einer der Assiniboine-Jäger trat einen Schritt vor, aber bevor er den Mund öffnen konnte, hob die Frau eine Hand, und der junge Mann schwieg.

      »Es bleibt bei meiner Antwort.«

      Das Gesicht des Reiters hatte sich verfinstert.

      »Ich dachte, die Assiniboines wären Krieger«, sagte er verächtlich, »keine Feiglinge, die sich von einer Frau herumkommandieren lassen.«

      Der junge Mann stieß einen Schwall erregter Worte in der Sprache seines Volkes aus. Seine Hand legte sich auf den Griff des breiten Jagdmessers in seinem Gürtel.

      »Sie reiten besser weiter«, sagte die Frau. »Was Sie suchen, werden sie hier nicht finden. Und wenn ich Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben kann, dann lassen sie Big Surly in Ruhe. Er bringt den Leuten, die hinter ihm her sind, kein Glück.«

      »Ich habe mir mein ganzes Leben lang mein eigenes Glück geschmiedet«, entgegnete der Fremde hart. »Ich werde mich nicht heute von ein paar ängstlichen Wilden daran hindern lassen. Das Glück gehört den Mutigen!«

      Er bellte seinem Begleiter einen Befehl zu, das Bündel wieder auf das Maultier zu packen. Kurze Zeit darauf ritt er mit dem Jungen an der Siedlung vorbei Richtung Osten. Die Frau, die vor langer Zeit einmal auf den Namen Ellen getauft worden war, blickte den beiden Gestalten nach, bis sie in der allmählich einbrechenden Dämmerung verschwanden. Der Junge auf seinem Maultier, der dem Fremden in die Gefahr gefolgt war, ging ihr nicht aus dem Sinn. Sein dünnes, verschlossenes Gesicht stand ihr noch vor Augen, als sich längst die Nacht auf das Land herabgesenkt hatte.

       II

      Jack Hammond fror. Er bemühte sich, nicht zu laut mit den Zähnen zu klappern, während er seine steifen Finger anhauchte. Die lederne Jacke, die er über seinem Baumwollhemd trug, hielt die Oktoberkälte kaum ab, und seitdem sie die Nordseite des Lone Mountain

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