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weil der Bürgermeister ausgehandelte Abkommen eigenmächtig gebrochen und den Gemeinderat nicht einmal konsultiert habe. Die Kampfstätte verlagerte sich wieder zur alten Bischofsresidenz. Zähneknirschend hatten die Christen das stählerne Minarett hingenommen, jetzt aber wollten sie ihm etwas entgegenstellen. Ende September 2012 transportierten sie eine Marienstatue, die ein lokaler Bildhauer gefertigt hatte, mit einem Lastwagen hoch zu dem Hügel. 50 feindliche Muslime blockierten die Straße. Fünf Soldaten sorgten dafür, dass die zwei Lager nicht erneut aufeinander losgingen. Der Bürgermeister von Lassa eilte herbei, diesmal zum Glück in friedlicher Absicht. Er schickte seine Leute nach Hause, nun hatten die Christen ihren Triumph.

      Seit 2013 herrscht nun gespannte Ruhe. Die „Hisbollah“ sei derzeit wohl voll und ganz mit dem Krieg in Syrien beschäftigt, sagen meine christlichen Begleiter. Dort kämpft die bewaffnete Miliz der Schiiten aufseiten der Regierung gegen sunnitische Rebellen. Auf unserem Rückweg stoßen wir auf einen Gedenkstein für den „Märtyrer“ Hussein al-Miqdad, der in Syrien gefallen ist. Die „Hisbollah“-Leute haben dafür die Landstraße einfach in der Mitte aufgerissen. Kein Polizist, keine Behörde hat es offenbar gewagt, sie daran zu hindern. „Bloß nicht fotografieren!“, bekomme ich zu hören. Da habe ich aber schon durch das offene Wagenfenster abgedrückt. „Alleine kannst du das vielleicht noch riskieren“, schimpfen meine Begleiter. „Aber denk doch mal daran, wir haben den Bürgermeister von Khames dabei …“

      Monument für einen „Märtyrer“. Hisbollah-Anhänger haben es mitten auf der Straße nach Lassa errichtet.

      „Die Armee soll bloß bleiben“, sagt Mounir Khoueiry. „Ich hoffe, der Staat wird hier endlich stark. Sonst können wir nicht in Sicherheit leben.“ Seit 1980 hätten die Muslime in Lassa illegal 180 Häuser gebaut. Die meisten dieser Grundstücke seien wohl für immer verloren. Nur fünf Mal sei es gelungen, unrechtmäßig in Beschlag genommenes Land wieder an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. 30 weitere Fälle lägen derzeit noch bei den Gerichten. 2014 hätte Scheich Mohammed Itawi für sich selber ein neues, illegales Haus bauen wollen. „Dies war der einzige Fall, in dem das Militär so eine Aktion erfolgreich stoppte.“

      Eigentlich müsste ich ja nach Lassa hinein und auch mit der Gegenseite sprechen. Aber alle Leute, die ich deswegen anspreche, warnen mich dringend davor. Die „Hisbollah“, so heißt es, habe Lassa zu einer Art Kampfbasis ausgebaut, mit unterirdischen Bunkern und Tunnels und Überwachungskameras in den Straßen, die alle ankommenden Autos und Fahrer filmen würden. So gebe ich schweren Herzens den Gedanken doch lieber auf.

      Was spornt die Schiiten zu dieser Bauwut an? Die Christen wittern dahinter einen strategischen Plan. Man brauche, so sagen sie, nur einen Blick auf eine Karte des Libanon zu werfen, in der die Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eingezeichnet seien. „Sie wollen einen Korridor bilden“, sagen meine Begleiter. „Er soll die schiitischen Dörfer an der Küste mit den schiitischen Siedlungen im Bekaa-Tal verbinden.“ Die „Hisbollah“ habe es sogar geschafft, dass zwischen den Städten Byblos am Mittelmeer und Baalbek im Bekaa-Tal eine neue Straße durch das Gebirge gebaut worden sei. „Sie wird so gut wie kaum benutzt“, erzählen sie. „Sie hat rein strategische Bedeutung.“ Wer den Libanon nicht kennt, wird darüber den Kopf schütteln. Aber ich werde nur nickende Köpfe sehen, als ich diese These in den Tagen darauf ein paar anderen Gesprächspartnern vortrage.

      Wir lassen Lassa hinter uns und fahren zurück in Richtung Beirut. Nun prasseln doch tatsächlich Schüsse um uns herum. Meine Begleiter aber, die bislang die Nerven meist auf der Haut trugen, bleiben diesmal erstaunlicherweise völlig gleichmütig.

      „Was ist da draußen jetzt schon wieder los?“, frage ich verwirrt. „Keine Sorge“, entgegnen sie, und endlich huscht mal ein Lächeln über ihre Lippen. „Wir haben Saison für die Vogeljagd. Das ist bei uns ein sehr populärer Sport.“

      „Ist die Vogeljagd denn nicht verboten?“, frage ich.

      „Wer fragt schon danach?“, kriege ich als Antwort. „Schauen Sie mal, überall stehen Männer mit Flinten.“

      Ich steige aus und rede mit ein paar von ihnen. Die Zugvögel seien von Europa nach Afrika unterwegs, erklären sie mir, Gänse und Greifvögel, Störche und Kraniche. Ein Teil nehme die Seeroute über das Mittelmeer, ein Teil die Landroute über Vorderasien. Ich starre mit ihnen gemeinsam hoch zum Himmel, der ist dunkelgrau und wolkenverhangen. Keinen einzigen Schwarm kann ich erkennen, doch die Flintenmänner ballern schon wieder drauflos, sie haben wohl ein ganz besonders geübtes Auge für ihre Beute. Mein Gott, denke ich mir, im Nahen Osten ist wirklich niemand sicher – nicht mal die Vögel in 3.000 Meter Höhe.

Wut in den Köpfen

      KAPITEL 4 · TRIPOLI – LIBANON

      „Wir warnen dich“

      Weshalb eine Bibliothek in Brand gesetzt wird

      Man kann sich schon ein wenig verlaufen inmitten der gedruckten Schätze. Die Regale, in denen sie lagern, tragen keine Hinweisschilder. Draußen im Hof stehen stapelweise Kisten, die ebenfalls mit Büchern vollgestopft sind. So streife ich ziellos durch die engen Gänge und lande schließlich in einem Toilettenraum, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Er ist auf schon geniale Weise in die Bibliothek integriert. Man kann auf der Toilette sitzen und die Hand nach Hunderten von Werken ausstrecken, die das Örtchen auf drei Seiten eng umschließen. Allerdings würde ich es nicht wagen, auch nur eine Publikation herauszuzupfen, weil ich Angst habe, dass dadurch alles zusammenbricht. Das Waschbecken wirkt wie ein Fremdkörper in diesem literarischen Lokus und die schiefe Holztür lässt sich nicht mehr richtig schließen. Ein Fettleibiger habe sich kürzlich hindurchgezwängt und einiges zum Wackeln gebracht, erzählt mir Hozyfa, ein junger Mitarbeiter, seither helfe oft leider nur noch rohe Gewalt. Er holt einen Hammer und drischt auf ein Brett ein, das Bestandteil des Türrahmens ist und sich schon bedrohlich gelockert hat.

      Ein paar Minuten später vergeht mir dann doch wieder das Lachen. Hozyfa deutet zur Decke, die ist pechschwarz, und dort oben, in den höchsten Regalreihen, stehen Bücher, die von Feuer angefressen, aber in letzter Minute noch gerettet wurden. „Das sind Spuren des Attentats“, sagt der 18-jährige Student. Er ist Muslim und liebt das Ambiente hier, obwohl ihm der Schreck in den Knochen sitzt. So etwas wie dieses Haus, meint er, gebe es nicht noch einmal in der Stadt.

      Tripoli, der einstige Phönizierhafen, begrüßt Besucher mit einem Steinmonument, das ihn geradezu mit der Nase auf die Eigenheiten des Landes stößt. Am Kreisel auf dem Hauptplatz Sahad al-Nur prangt in großen Lettern „Allah“ und darunter die Inschrift: „Die Festung der Muslime im Libanon heißt Sie willkommen.“ Man stelle sich einmal vor, München präsentiere sich an der Frauenkirche als „Festung der Katholiken“ und Hamburg vor dem Michel als „Festung der Protestanten“. Im Libanon aber gehört es zur Tagesordnung, die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe demonstrativ zur Schau zu stellen. Man muss Stärke zeigen, denn Schwäche nutzt die Gegenseite aus.

      Mein Weg zur Al-Saeh-Bibliothek führt durch die engen Gassen der Altstadt und ein Gewimmel von Menschen. Schon in diesem orientalischen Labyrinth kann man leicht die Orientierung verlieren und aufgesogen werden von dem Durcheinander. Am Ende geht es unter einem Torbogen hindurch in eine stille Nebengasse und plötzlich blickt man von der Straße aus durch eine offene Tür direkt auf das Büchergewirr. Keine Sperre am Eingang, keine Kontrolle, nichts. Die Bücherei war, ist und bleibt ein Haus der offenen Tür.

      Sie ist das Lebenswerk von Ibrahim Sarrouj, einem rum-orthodoxen Priester. Er fing 1970 damit an, den Bestand mit seinem eigenen Geld aufzubauen. Spenden und Schenkungen kamen hinzu, weil die Leute sahen, mit welcher Hingabe er sich seiner Bibliothek widmete. Im Lauf der Jahre wuchs die Sammlung auf mehr als 85.000 Werke an, Bücher in arabischer und englischer, französischer und italienischer Sprache, poetische und wissenschaftliche

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