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reife Beziehung zu ihm eingehen, nahezu auf Augenhöhe. So wie ein Freund zum Freund eine Beziehung hat. Zu einem Menschen zu sagen: „Ich brauche dich, ich kann ohne dich nicht leben“, kann Ausdruck tiefster Liebe sein. Ohne den anderen fehlt ein wesentlicher Teil meines Lebens. Derselbe Satz „Ich brauche dich“ kann Ausdruck tiefster Liebe, aber auch falscher Abhängigkeit und Symbiose sein. Die Abhängigkeit von Menschen macht auf Dauer unfrei, die Abhängigkeit von Gott macht frei. Das wird zu zeigen sein.

      Den Menschen, die sagen, Gott interessiert mich nicht, müsste man sagen: Womöglich geht es im Christentum primär gar nicht um Gott, sondern um den Menschen. Womöglich ist der christliche Gott in diese Welt gekommen, um dem Menschen zu dienen3 und ihm zu seinem Heil zu verhelfen.4 Oder soll der Mensch Gott dienen? Aber wozu sollte er ihm dienen? Braucht Gott den Dienst des Menschen? Braucht er den Gottesdienst am Sonntag, geht es ihm dann besser? Oder ist es umgekehrt: Der Mensch braucht den Gottesdienst, den Dienst Gottes an ihm? Gott will dem Menschen dienen! Er wäscht ihm die Füße. Ist das nicht eine eigenartige Vorstellung, dass Gott der Diener des Menschen sein will und nicht sein Beherrscher? Er ist doch der Herr. Aber sein Herrsein besteht im Dienen. Und zu diesem Dienst braucht er wiederum Menschen (Arbeiter im Weinberg), die ihm bei seinem Dienst am Menschen helfen. So ist es wohl eine Wechselwirkung: Gottesdienst ist Gottes Dienst am Menschen, aber Gottesdienst ist ebenso Dienst des Menschen an und für Gott im Dienst am Menschen.

      Klingt das zu kindlich oder geht es dem christlichen Gott wirklich um das Leben jedes einzelnen Menschen, um dessen Lebensentfaltung und um dessen Leben, das zur Fülle kommen soll? Vielleicht ist der „wahre Gott“ ein Gott, der ganz im Dienst in dieser Welt aufgeht, der sich an die Welt verschwendet, sich darin verliert und geradezu in ihr verschwindet. Er ist kaum wahrnehmbar, um in aller Stille dem Menschen zu helfen, dass sein Leben gelingt. Womöglich ist Gott deshalb Mensch geworden.

      Wenn dem so ist, warum öffnet der Mensch sich dann nicht für diesen Gott? Warum findet er ihn nicht? Sucht er ihn nicht, hat er Angst vor ihm oder traut er ihm nichts zu? Er müsste sich ihm öffnen, da Gott sonst keinen Zugang zum Menschen findet. Gott respektiert die Freiheit des Menschen, sich zu verschließen und „Nein“ zu sagen. Er scheint auch hinzunehmen, dass mancher gleichgültig an ihm vorüberschlendert. Wer sich ihm aber öffnet, dem öffnet auch er sich, der bekommt alles.

      Gott wirkt offensichtlich still und indirekt in dieser Welt, durch Menschen, durch Ereignisse, durch Freude und Leid. Er kommt in dieser Welt nicht so vor wie ein Gegenstand, wie ein Baum, wie ein Mensch. Er ist implizit in den Dingen und nicht explizit daneben. Und dennoch hat er sich einmal in der Geschichte explizit gezeigt und sich ausgedrückt in einem Menschen. Er ist Mensch geworden. Das ist der christliche Glaube.

      Der Mensch will frei sein. Was aber ist wahre Freiheit? Ist Freiheit nicht Beliebigkeit? Oder geht es darum, frei zu werden von falschen Abhängigkeiten? Frei zu werden von äußeren Unterdrückungen und frei zu werden von inneren Blockaden, die verhindern, dass der Mensch zu sich selbst kommt, sein eigenes Wesen vollzieht und seine Identität findet? Ist wahre Freiheit nicht jene, die den Menschen zu sich selbst hin befreit, dazu hin, sein tiefstes Wesen zu vollziehen? Womöglich kann man dieses Wesen erst vollziehen, wenn man in jemand anderem seinen Halt findet, der das eigene Leben übersteigt. Erst wer das Absolute in sich entdeckt, mit diesem Absoluten eins wird, kann auch mit sich selbst stimmig und eins werden. Dann kann er auch den anderen lieben.

      Wenn das so ist, dann sind Leben und Freiheit nicht mehr beliebig, sondern im Gegenteil sehr verbindlich, da der innerste Kern eines Menschen nicht beliebig austauschbar ist. Es ist eben genau jener einzigartige Mensch in seiner Einmaligkeit, der gerade nicht der andere ist. Søren Kierkegaard hat es so formuliert, dass die größte Verzweiflung des Menschen darin besteht, nicht man selbst sein zu wollen, sondern ein anderer: „Diese Form von Verzweiflung ist: verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder noch niedriger: verzweifelt nicht ein Selbst sein wollen, oder am allerniedrigsten: verzweifelt ein anderer sein wollen als man selbst, ein neues Selbst sich wünschen.“5

      Von hier aus gesehen hat Freiheit etwas zu tun mit Verantwortung für sich selbst, für das Gelingen des eigenen Lebens, mit innerer Anbindung und Verbindlichkeit, dann auch mit der Verantwortung für den anderen. Verantwortung zum Selbstsein, das klingt egoistisch. Aber ein gutes Selbstverhältnis scheint Voraussetzung dafür zu sein, auch ein gutes Verhältnis zum anderen zu haben. Wie kommt man dahin? Kann man das alleine schaffen oder muss man zu sich selbst hin befreit werden? Muss man erlöst werden von Hindernissen, die einen vom eigenen inneren Wesenskern trennen und vom wahren Lebensstrom abschneiden, von Blockaden, die einen daran hindern, zum eigenen Leben vorzustoßen? Hat der Mensch nicht Sehnsucht danach, seine eigene Größe und Einmaligkeit zu entdecken, seine Talente zu nutzen und neue hinzuzugewinnen?

      Womöglich ist das, was die Psychotherapie versucht, nämlich Menschen zu helfen, ihre Verstellungen und Blockaden zu lösen, um zur eigenen Lebensentfaltung zu kommen, ein Teil dessen, was auch das Christentum will. Vielleicht gehören Psychotherapie und Spiritualität zusammen. Dann müsste eine gute Psychotherapie offen sein für die spirituelle und religiöse Dimension des Menschen. Umgekehrt könnte eine gute spirituelle Begleitung des Menschen manche Erkenntnis aus der Psychologie integrieren. Umgekehrt: Wenn Psychotherapie nicht offen ist für die religiöse Dimension des Menschen und das Religiöse selbst als pathologisch und krankmachend bezeichnet wird (es gibt durchaus krankmachende Religiosität), steht sie in der Gefahr, Teilerkenntnisse der Psychologie zur Erkenntnis des ganzen Menschen zu machen und zu Fehlschlüssen zu kommen. Dann werden seelische Phänomene nicht in ihrer ganzen Tiefe erfasst und es kommt zu Fehlinterpretationen. Wenn auf der anderen Seite eine religiöse Erziehung meint, ohne ein Grundwissen an Psychologie auszukommen, läuft auch sie Gefahr, in die Irre zu gehen.

      Jede einzelne Wissenschaft kann in ihrer Autonomie ihren begrenzten Bereich erforschen, ihre Erkenntnisse bleiben aber immer relativ und endlich. Wenn das Relative zum Absoluten erklärt wird und zum einzigen Zugang zur Welt, wird seine Interpretation den Phänomenen des Menschen nicht gerecht. Teilgebiete erfassen nie das Ganze, sondern je nach methodischem Zugang nur Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Sie können im Rahmen ihrer Einzelwissenschaften wie Naturwissenschaften, Psychologie, Medizin die Welt mit ihren Methoden erforschen, aber sie sollten offen sein für die Begrenztheit ihrer Erkenntnisse, und wissen, dass die Welt und der Mensch größer sind, als das, was mit einem wissenschaftlichen Zugang zu erforschen ist.

      Erst in der Zusammenschau der Wissenschaften, vor allem zusammen mit Philosophie und Theologie, die integrative Wissenschaften sind, kommt das Ganze in den Blick. Das Ganze ragt aber über das irdische Leben hinaus. Daher bleibt auch ein „ganzheitlicher“ Zugang zum Menschen, der rein innerweltlich ist, im Letzten rudimentär. Das Ganze ragt in die Unendlichkeit und das Absolute hinein, die Welt aber ist endlich und alles Erkennen Stückwerk. (1 Kor 13, 9) So kann auch der rein wissenschaftliche Zugang zum Menschen diesen nicht ganz erfassen. Das Innenleben des Einzelnen bleibt letztlich nur ihm zugänglich und auch hier bleibt vieles rätselhaft. Vieles bleibt im Unbewussten verborgen.

      Trotz dieser Endlichkeit der Erkenntnis wollen der christliche Glaube und die ihn reflektierende Theologie das Ganze des Lebens in den Blick nehmen und zur tieferen Erkenntnis führen. Der Mensch soll die tieferen Dimensionen des Lebens und der Welt erkennen können. Schon in vorchristlicher Zeit hat Aristoteles in seiner Metaphysik gesagt, dass der Mensch von Natur aus nach Erkenntnis strebe. Der Mensch ist neugierig und will wissen, wer er ist, wie die Welt funktioniert und warum vieles so mühsam ist. Der Mensch ist das Wesen der Frage. (Rahner) Christlicher Glaube geht davon aus, dass ein richtig verstandener Glaube zur tieferen Erkenntnis der Welt führt: zur Erkenntnis der eigenen Person, der Person des anderen und der Welt. „Ich glaube, damit ich einsehe“ (credo ut intelligam) ist ein Wort von Anselm von Canterbury aus dem 12. Jahrhundert. Glaube ist eine tiefere Weise des Wissens (nicht eines Geheimwissens!) und des Erkennens.

      Das vorliegende Buch versucht zu zeigen, dass der christliche Glaube zu dieser tieferen Erkenntnis des Lebens führen kann. Da der Glaube nach Einsicht strebt, sucht der christliche Glaube nach intellektueller Auseinandersetzung. Der Glaube sucht den Intellekt (fides quaerens intellectum), heißt es ebenfalls bei Anselm von Canterbury. Das Wort „Intel-lekt“ kommt von intus legere, und das heißt so viel wie: zwischen den Zeilen lesen oder in den Dingen lesen, hinter die Welt des Scheines

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