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geschoben, in dem er mit seiner Familie lebt. Von dort aus lächelt er Leuten zu, begrüßt jeden fröhlich, der vorbeikommt, und hat immer einen witzigen Spruch auf den Lippen. „Es ist mir wichtig, Menschen das Gefühl zu geben, gesehen zu werden“, erzählt er mir.

      Meine Frau Loretta hat vergangene Woche mit ihrer Band in einer Kneipe in Lübeck vor ganzen 15 zahlenden Zuschauern gespielt. Es war ein warmer Frühlingsabend, von denen es bei uns im hohen Norden nicht so viele gibt, und der Veranstalter hatte vergessen, dass direkt um die Ecke zeitgleich eine bekannte Band einen Auftritt hatte. Während ich noch ausrechnete, ob die Gage wenigstens die Fahrtkosten decken würde − 75 € geteilt durch vier Musiker sind 18,75 € pro Kopf − gab meine Frau auf der Bühne einfach Vollgas. Das macht man nämlich, wenn man das gefunden hat, was einem Freude, Energie und Sinn schenkt.

      Wer sein Ikigai findet, der lebt, arbeitet und fühlt anders. Besser. Die Alternative, die Bastian und Bruce erleben, ist dagegen unglaublich langweilig und freudlos – selbst wenn es nach außen hin eventuell sogar erfolgreicher wirkt.

      Ich weiß, dass Begriffe wie Lebenssinn, Berufung und Ikigai bei vielen Menschen Ängste auslösen und Fragen aufwerfen. Ängste wie die, von anderen ausgelacht zu werden, wenn man seinem vermeintlich „unrealistischen“ Traum folgt. Fragen zu Finanzen, zur Verantwortung für die Familie. Außerdem kommen einem sofort all die Dinge in den Kopf, die man schon einmal ausprobiert hat – und bei denen man fürchterlich auf die Nase gefallen ist …

      … und trotzdem, und trotzdem haben wir alle diese Sehnsucht und Hoffnung in uns, dass es das wirklich geben könnte: den Grund, warum wir hier sind. Etwas, das nur wir schaffen können.

      Vielleicht können die nächsten Seiten ja einen Prozess in Gang bringen, der dich dieser Hoffnung näherbringt. Ich würde mich ehrlich für dich freuen.

I. Was bedeutet Ikigai?

      Das Dr.-Jekyll-und-Mr-Hyde-Syndrom

      Ich bin kein Frühaufsteher. Ich liebe meine Kinder, aber wenn morgens um 6 Uhr der Wecker klingelt, um mich lautstark daran zu erinnern, dass ich heute an der Reihe bin, um ihr Frühstück und die Lunchpakete für die Schule fertig zu machen, dann fallen mir tausend Gründe ein, weiter zu schlafen.

      Aber natürlich bin ich pflichtbewusst genug, trotzdem aufzustehen: Das Wohlergehen meiner Kinder liegt mir schließlich am Herzen, und meine Frau und ich haben zusammen entschieden, dass − obwohl sie inzwischen alt genug sind, das selbst hinzubekommen − es für Jubilee, Lukas und Kasey wichtig ist, dass wir sie morgens in den Tag begleiten und sie rechtzeitig aus dem Haus und zur Schule treiben. Unsere drei Teenager sind nämlich auch keine Fans der frühen Stunde.

      Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass eines Tages eine Trompete erschallt und Jesus wiederkommt, wird es irgendwo auf diesem Planeten früh am Morgen sein. Sollte das bei uns der Fall sein, werde ich natürlich aufstehen. Ich werde nicht viel sagen, und es wird ein bisschen dauern, bis ich freudig grinse, aber ich werde da sein. Solange keiner von mir erwartet, dass ich vor 9 Uhr ein angeregtes Gespräch mit ihm führe und dabei auch noch lächele. Gemeinsam singen werden wir in dem Fall auch hoffentlich erst später. Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt? Ist alles klar? Ich bin kein Frühaufsteher.

      Doch es gibt eine Ausnahme: den Sonntag! Da klingelt der Wecker um 7 Uhr, und selbst, wenn ich den Abend vorher auf einer Party verbracht habe und nicht ausgeschlafen bin, wirst du mich wenige Momente später − mit einem Kaffeebecher in der Hand − fröhlich pfeifend in mein Büro verschwinden sehen, wo ich mein Predigtmanuskript durchgehe und mich darauf vorbereite, vor den Leuten in meiner Gemeinde zu stehen und Geschichten zu erzählen.

      Meine Frau nennt es das „Dr.-Jekyll-und-Mr-Hyde-Syndrom“. Wie kann sich ein mürrischer Griesgram sonntagmorgens in einen fröhlichen, freundlichen, singenden Menschen verwandeln? Ganz einfach: Ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Ich predige für mein Leben gerne!

      Ich hatte vor ein paar Jahren mal so richtig mit Depressionen und Burnout zu kämpfen. Nicht die Sorte, bei der man sich ein bisschen müde fühlt und nur mal einen etwas längeren Urlaub braucht. Nein. Schlimmer. Nichts ging mehr. Nichts machte mehr Spaß. Keine Meetings, keine Musik, keine Gespräche mit Leuten, die meinen Rat wollten. Meistens lag ich total erschöpft auf der Couch und habe versucht, die Welt um mich herum zu ignorieren. Es gab nur eine Ausnahme: vor Leuten zu stehen und über Dinge zu sprechen, die mir wichtig sind (Manche nennen das auch „predigen“). Irgendwie hat mir das immer etwas Energie zurückgegeben.

      In dieser Zeit habe ich vieles aufgeben müssen: mich mit Menschen zu treffen, Besprechungen zu halten und sogar Musik zu machen. Alles Dinge, die mir bislang eigentlich Spaß gemacht hatten und die zudem ein wichtiger Teil meiner Arbeit als Pastor waren. Doch in dieser Phase haben sie mich nur noch geschlaucht. Außer dem Predigen. Ich kann das gar nicht genau erklären. Aber anschließend hatte ich immer ein bisschen was von der Energie zurück, die mir in dieser dunklen Zeit so gefehlt hat.

      Ich schreibe diese Sätze übrigens, während ich in einem Café sitze. Hinter mir liegen drei Jugendcamps, während denen ich 37 Spiele geleitet, 14 Lieder gesungen, 11 Besprechungen moderiert und etliche Einzelgespräche geführt habe. Ich bin hundemüde − und glücklich. Ich darf das machen, was ich mag. Ich bin ein alter Sack von 52 Jahren, aber Kinder und Jugendliche hören mir immer noch gerne zu, wenn ich anfange zu erzählen.

      Es gibt Dinge, für die du geschaffen bist. Die dich aus dem Bett hüpfen lassen. Die Japaner haben ein Wort für dieses Phänomen: „IKIGAI“! Ikigai (jap. „Lebenssinn“) bedeutet frei übersetzt „das, wofür es sich zu leben lohnt“, „die Freude und das Lebensziel“, oder, salopp ausgedrückt, „das Gefühl, etwas zu haben, für das es sich lohnt, morgens aufzustehen“. (Quelle: Wikipedia)

      Ich mag dieses Wort. IKIGAI. Nicht nur, weil es cooler klingt als das geläufige Wort „Berufung“, mit dem ich aufgewachsen bin, sondern auch, weil es so etwas Frisches, Positives hat.

      Ich bin zum ersten Mal darauf gestoßen, als ich einen TED Talk (TED Talks sind Vorträge, die nicht länger als 18 Minuten dauern dürfen und die im Internet hochgeladen werden) von Dan Buettner gehört habe. Dan erzählt darin, wie er mit seinem Team für die sogenannte Danish-Twin-Study Gegenden untersucht, in denen es eine besonders große Anzahl von Über-100-Jährigen gibt, die auch in diesem Alter noch ein erfülltes Leben haben. Seine Idee war es, von den Menschen dort zu lernen, was ihr Geheimrezept für ein langes und erfülltes Leben ist.

      Diese Gegenden, die sie „Bluezones“ nennen, befinden sich unter anderem in

      – Sardinien, wo Brot, Käse und Rotwein anscheinend wie ein Zaubertrank wirken;

      – Okinawa, einer Inselgruppe ca. 1.500 Kilometer nördlich von Tokio entfernt, wo die Menschen so alt werden, dass Worte wie Rente oder Pension nicht zum gängigen Sprachschatz gehören;

      – Loma Linda, Kalifornien, wo besonders viele Adventisten wohnen;

      – Ikaria, einer kleinen Insel in Griechenland, wo jeder Dritte 90 Jahre alt wird, es wenige Krankheiten und praktisch keine Demenz gibt.

      Der Grund, dass die Menschen in den Blue Zones so lange leben, hat, so Buettner, zu weniger als 25 % mit den Genen zu tun. Es sind vor allem vier Dinge, die dafür verantwortlich sind.

      1. Natürliche Bewegung

      Körperliche Tätigkeiten wie Arbeiten im Garten, Stufen steigen, auf dem Fußboden sitzen oder Kinder tragen prägen den Alltag der Menschen.

      2. Gute Ernährung

      Mit Ausnahme der Sardinier essen alle Genannten wenig Fleisch und viele selbst angebaute Produkte.

      3. Intensive Beziehungen

      In den Blue Zones leben Jung und Alt meist eng zusammen. Bei den Okinawa z.B. steht die Gruppe von Menschen, mit der man durchs Leben gehen wird, schon bei der Geburt fest.

      4. Die eigene

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