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Hekate. Thomas Lautwein
Читать онлайн.Название Hekate
Год выпуска 0
isbn 9783944180007
Автор произведения Thomas Lautwein
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
In der Geistesgeschichte des Westens wurde das „weibliche“ Prinzip in den letzten 2500 Jahren zweifellos immer weiter zurückgedrängt, ja geradezu als Ursprung des „Bösen“ und Irrationalen verteufelt – mit fatalen Konsequenzen, die von der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen bis zur Naturzerstörung reichen. Im Bereich der Religion drückt sich die einseitige Dominanz des männlichen Prinzips in der Errichtung monotheistischer Strukturen mit ihren Priesterhierarchien aus.
Zweiter Grund: Seit Bachofen mehren sich die Zweifel an der naturgegebenen Vorherrschaft des Mannes. Die Erforschung unserer Ur- und Frühgeschichte lässt es zunehmend glaubhaft erscheinen, dass am Anfang der Menschheitsgeschichte eine Epoche stand, in der religiöse Funktionen überwiegend von Frauen ausgeübt wurden und die Verehrung nicht einem allmächtigen Vatergott galt, sondern einer großen Göttin, die mit der Natur in all ihren Aspekten gleichgesetzt wurde. Sie war war nicht nur die Große Mutter, in deren Händen Liebe und Geburt ruhen, sondern auch die Herrin der Dunkelheit und des Todes; sie war unten und oben, Himmel und Erde. Diese ursprüngliche Einheit wurde dann in der Jungsteinzeit und Bronzezeit aufgespalten in eine Polarität von weiblicher Erde und männlichem Himmel, bis die neuen Himmelsgötter schließlich ganz die Macht an sich rissen und die Göttinnen als Gemahlin oder Tochter von sich abhängig machten. Die Geschichte des Abendlandes lässt sich so als gigantischer Verdrängungsprozess beschreiben, an dessen Ende die Dämonisierung der Göttin als Hexe oder ihre Reduktion auf eine bloß dienende Funktion erfüllt (wie wir dies etwa sehr gut am Beispiel des katholischen Marienkultus sehen können). Die abgespaltenen und verdrängten Aspekte lösen sich aber nicht einfach in nichts auf, sondern bleiben im kollektiven Bewusstsein latent vorhanden und drängen immer wieder nach oben, wobei sie, da sie nicht erkannt und akzeptiert werden können, Angst auslösen.
Einer dieser Aspekte, die ursprünglich ein Gesicht der Göttin waren, ist die Gestalt der Todes- und Hexengöttin. Bevor wir uns aber näher mit den vier Gesichtern der Göttin beschäftigen, wollen wir uns zunächst einmal der grundsätzlichen Frage zuwenden, was denn Götter eigentlich sein sollen – und wozu man sich im 21. Jahrhundert noch mit ihnen beschäftigen soll.
Die Realität der Götter
The true nature of the gods is that of magical images shaped out of the astral plane by mankind‘s thought, and influenced by the mind.
Dion Fortune, The Mystical Qabalah
Menschen aller Kontinente und Rassen haben seit Jahrtausenden an die Existenz von Göttinnen und Göttern geglaubt und sie verehrt; völkerkundlich gesehen, ist der Götterglaube geradezu als eine anthropologische Konstante zu bezeichnen. Jedes Volk besitzt ursprünglich sein eigenes Pantheon und praktiziert einen naturverbundenen Polytheismus.
Mit dem Aufkommen des Monotheismus wird die Gottesvorstellung abstrakt und transzendent, Gott ist nicht mehr in der Welt, sondern über der Welt; er verkörpert sich nicht mehr in Bäumen und Berggipfeln, sondern im WORT, d. h. in einer heiligen Schrift, die nun alle Weisheit und Antwort auf alle Fragen enthalten soll. Da es nur noch einen wahren Gott geben kann, werden die alten Götter des Polytheismus entwertet, zu Dämonen degradiert oder als Betrug denunziert.
Als sich der neuzeitliche Rationalismus in der Zeit der Aufklärung schließlich vom Monotheismus emanzipiert, der ihm lange als Vehikel diente, kommt es zum Streit zwischen Offenbarung und Vernunft. Historische und Erkenntniskritik erschüttern den Glauben an die Existenz Gottes, so dass die Religion als gesellschaftliche Legitimationsinstanz nun von der empirischen Wissenschaft und dem „Diskurs“ der Spezialisten abgelöst wird (auch die Ideologien des 20. Jahrhunderts mussten sich als „wissenschaftlich“ präsentieren, um Akzeptanz zu finden, sei es die biologische Rassenlehre des Nationalsozialismus oder der soziologische „wissenschaftliche Sozialismus“). Die Wissenschaft kann sich seither (also spätestens seit dem 18. Jahrhundert) daran machen, das Phänomen „Religion“ bzw. Religiosität endgültig aufzulösen (d. h. durch Reduktion zu beseitigen). Mit welchen Methoden dies versucht wird, sieht man sehr schön in der Einleitung zur „Griechischen Mythologie“ von Herbert J. Rose (1928), wo sieben Theorien genannt werden, die den Glauben an Götter philosophisch erklären sollen:
1. Die allegorische Theorie – Ein Gott ist lediglich eine Veranschaulichung eines bestimmten Phänomens oder Begriffs, so ist etwa Venus = Liebe;
2. Die symbolische Theorie – Götter sind Symbole, in denen die Philosophen alter Zeit ihre geheime Weisheit verborgen haben, die für das gemeine Volk zu anspruchsvoll war (Friedrich Creuzer);
3. Der Rationalismus – primitives Missverstehen von natürlichen Vorgängen führt über eine falsche Schlussfolgerung zu der Illusion, ein höheres Wesen habe z. B. den Blitz geschleudert, der einen Baum in Brand setzt (Palaiphatos)
4. Euhemerismus – die Götter waren ursprünglich herausragende Menschen (Könige, Gesetzeber), die nach ihrem Tode immer mehr von Sagen umwoben und schließlich ins Übermenschliche erhoben wurden;
5. Die Naturmythen-Theorie – Götter entstehen durch ein poetisches Naturerleben, Zeus = Himmel, Hermes = Wind (Stoa, Max Müller)
6. Ethnologie und Soziologie – Mythen sind Ausdruck eines Volksgeistes, in ihnen drücken sich die sozialen Verhältnisse eines Volke, sein Gemütsleben und seine Weltanschauung aus (Lobeck, K. O. Müller);
7. Psychologie – Mythen sind Ausdruck unbewusster Komplexe und verdrängter Wünsche, die nach außen projiziert werden, sie sind eine kollektive Neurose bzw. Wahnbildung (Feuerbach, Freud).3
Der Nachweis, dass alle diese Theorien letzten Endes unfähig sind, religiöses Erleben restlos zu erklären, bedürfte eines eigenen Buches. Halten wir vorläufig nur die Situation fest, wie sie sich heute in der westlichen Gesellschaft darstellt: Dem traditionellen christlichen Monotheismus, der sich in der Defensive befindet, steht ein öffentlich dominierender Skeptizismus und Atheismus gegenüber. Zwischen diesen beiden Positionen erstreckt sich das Feld der sogenannten „Spiritualität“ und „Esoterik“, d. h. die Welterklärungsmodelle der Menschen, die sich weder als Christen noch als Atheisten fühlen.
Typisch für die moderne Spiritualität ist die Vermengung traditionell religiöser Themen mit psychologischer Terminologie. Besonders folgenreich war hierbei die Psychologie Carl Gustav Jungs, der aus Sicht der orthodoxen Freudianer der „Schlammflut des Okkultismus“ Tür und Tor öffnete und aus Sicht der orthodoxen Christen in gnostische Irrlehren zurückfiel. Für unser Thema ist Jung von Interesse, weil er die Existenz von Göttern als objektive psychische Realität plausibel macht.
C. G. Jung: Das „kollektive Unbewusste“ und die „psychischen Teilsysteme“
In seinem Kommentar zu dem taoistischen Text „Das Geheimnis der goldenen Blüte“ definiert C. G. Jung das „kollektive Unbewusste“ als ein „gemeinsames Substrat“, das aus „latenten Dispositionen zu gewissen identischen Reaktionen“ besteht: „Die Tatsache des kollektiven Unbewussten ist einfach der psychische Ausdruck der Identität der Gehirnstruktur jenseits aller Rassenunterschiede. Daraus erklärt sich die Analogie, ja sogar Identität der Mythenmotive und der Symbole und der menschlichen Verständnismöglichkeit überhaupt. Die verschiedenen seelischen Entwicklungslinien gehen von einem gemeinsamen Grundstock aus, dessen Wurzeln in alle Vergangenheit hinunterreichen.“4
Im kollektiven Unbewussten existieren nun „psychische Teilsysteme“, die, je komplizierter sie sind, umso mehr Persönlichkeitscharakter haben:
Sie sind eben auch Konstituenten der psychischen Persönlichkeit und müssen darum Persönlichkeitscharakter haben. Solche Teilsysteme finden sich namentlich bei Geisteskrankheiten, bei den psychogenen Persönlichkeitsspaltungen