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weit verzweigten Debatte, »Natur nicht als absoluten, unvermittelten Anfang. Das naturale unser Dasein vermittelnde Ganze ist seinerseits vermittelt: durch Reflexion und historische Praxis. Der Mensch […] ist als gesellschaftliches Subjekt Naturwesen und umgekehrt.« Das aber heißt: Gerade weil Gesellschaft hineinreicht in die Natur des Menschen, sie inwendig formt, ist diese als wesentliche Triebkraft gesellschaftlichen Wandels anzuerkennen.

      Auf der Basis dieser erkenntnistheoretisch gewonnenen Einsichten nimmt Schmidt denn auch die gegenwärtig diskutierte ökologische Problematik ins Visier, die in den beiden die Textsammlung abschließenden Beiträgen die Auseinandersetzung bestimmen: Sowohl in der unter dem Titel Humanismus als Naturbeherrschung gehaltenen Rede (anlässlich der Frankfurter Römerberggespräche 1979) wie im anschließend abgedruckten Vorwort für die vierte Auflage seines Erstlingswerks Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx entwickelt Schmidt seine These von der Unbeherrschtheit der Naturbeherrschung, die die Existenz des Menschen in ihrem Kern bedroht, hierbei die folgende Aussage Walter Benjamins als Motto den eigenen Ausführungen voranstellend: »Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.«67

      Nicht zufällig wird gerade im Kontext dieser Überlegungen deutlich, warum sich Schmidt in der Marx-Auseinandersetzung für einen intensiveren Rückbezug auf Feuerbach einsetzt:

      »Feuerbach erinnert an die schon zu seiner Zeit vielfach verschüttete Möglichkeit, Natur nicht nur als Objekt der Wissenschaft oder Rohstoff zu erfahren, sondern ›ästhetisch‹, im sinnlich-rezeptiven wie künstlerischen Sinn. Aneignende Praxis soll den Dingen zum Ausdruck und Sprache verhelfen. Dazu aber bedarf es eines philosophischen Ansatzes, der über die mit dem Subjekt-Objekt-Schema des Arbeits- und Erkenntnisprozesses gesetzte Trennung von Mensch und Natur hinaus ist. Auszugehen wäre vom Naturganzen (und der Naturentsprungenheit des Menschen).«

      Die ausgewählten Texte verraten, worauf Schmidts Denken über Marx insgesamt abzielte: Einerseits galt es auszugehen und immer wieder zurückzukehren zu den Quellen, den Texten, um ein angemessenes Verständnis der Grundintentionen Marxschen Philosophierens zu gewinnen. »Darüber hinaus«, gibt Schmidt in seinem schon vorgestellten Beitrag Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie Auskunft über sein eigenes Vorgehen, »gibt es Probleme, die als solche nur sichtbar werden, wenn die Interpretation ›konstruierend‹ über die Unmittelbarkeit der Texte hinausgeht. Nur so läßt sich die Frage nach der gegenwärtigen Geltung der Marxschen Theoreme adäquat behandeln.« Andererseits, im Sinne der gerade erwähnten konstruierenden Interpretation, ging es Schmidt darum, den Horizont der Marx-Auseinandersetzung zu erweitern, indem er ganz unterschiedliche Positionen der Philosophiegeschichte als problemerhellende Vergleichsebenen heranzuziehen suchte. Nicht zuletzt zielte Schmidt darauf ab, die Marx-Diskussion um die Frage der Subjektivität, und damit um Perspektiven der Verschränkung von »innerer« Natur und geschichtlich-gesellschaftlicher Praxis, zu bereichern. Das Erkenntnismotiv, das ihn hierbei leitete und ein Forscherleben lang Antriebskraft blieb, hatte er schon früh offengelegt: »Gerade um der Objektivität ökonomischer Kategorien willen wird es künftig darauf ankommen, eine – materialistisch begründete – Theorie der Subjektivität zu entwickeln.«68

      Die Beiträge dieses Bandes, die Alfred Schmidts Marx-Philosophie repräsentieren, liefern Bausteine zur Weiterarbeit an diesem – unabgeschlossenen und unabschließbaren – Projekt.

      Postskriptum

      Schmidt hat in seiner noch nicht publizierten Vorlesung über Marx seinen Lehrer Horkheimer mit dem Satz zitiert: »Es kommt darauf an, Marx nicht mit den Augen des ökonomischen Fachmannes zu sehen, sondern mit denen eines Menschen, der weiß, dass er in einer verkehrten Gesellschaft lebt und die richtige Gesellschaft will.«69

      Alfred Schmidt hat dies beherzigt, ohne davon abzulassen, jenes innere Band zwischen Philosophie und Ökonomiekritik zu knüpfen, das Voraussetzung dafür ist, Marx als Philosophen zu begreifen. Das lebenspraktische Motiv seines Interesses an Marx hat der Forscher der Geschichte des philosophischen Materialismus nie verleugnet: durch eingreifendes Denken auf die Veränderung des Bestehenden in Richtung einer menschenwürdigeren Welt zu drängen.

      Alfred Schmidt war ein begeisterter und begeisternder Philosoph im Sinne der Verbindung des Kantschen mit dem Marxschen »kategorischen Imperativ«70, aber auch ein Philosoph der »verständigen Resignation«71, der – mit Goethe, Feuerbach, Schopenhauer und Freud – darüber belehrte, dass »Materialismus Leben heißt und offene Sinne«.72 Er hat ein Vorbild gegeben für jene Haltung, die Marx selbst zum Maßstab machte, als er darauf hinwies, dass »Kritik« im Kampf mit den widrigen Verhältnissen »keine Leidenschaft des Kopfes« ist, sondern »der Kopf der Leidenschaft.«73

      Alfred Schmidt bei einem Vortrag in der Aula der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Campus Bockenheim)

      © Barbara Klemm (1972)

      Überlegungen anlässlich des 100. Todestages von Karl Marx

      Ganze Bibliotheken sind über, für und gegen Marx geschrieben worden. Sein dickichthaftes, höchst voraussetzungsvolles Werk, dessen Aussagen sich auf die verschiedensten Wissensgebiete erstrecken, weshalb es sich nur schwer einordnen lässt, hat Generationen von Interpreten beschäftigt. Teils brachten sie es im Beinhaus schwärmerischer und verstiegen-romantischer Utopien unter, teils in der Rumpelkammer unverbindlicher Dogmengeschichte. Gerade noch, dass heutige Professoren der Volkswirtschaft gewisse Verdienste von Marx in zyklentheoretischer Hinsicht halbherzig anerkennen. Dass die Marxsche Analyse der kapitalistischen Produktionsweise als epochaler Lebensform der Gesellschaft in der akademischen Nationalökonomie nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit genießt, ist angesichts der gegenwärtigen Weltlage erstaunlich. »Wie immer auch die Diagnosen der Experten, ihre Analysen und Vorschläge lauten mögen«, schrieb Horkheimer bereits 1968, »das tägliche Leben in den sogenannten fortgeschrittenen Ländern, die Selbstverständlichkeit staatlicher Interventionen, ist von der drohenden wirtschaftlichen Krise beherrscht. Die steigenden Kosten, die Diskrepanz der schmalen Einkommen und des Aufwands für neueste Errungenschaften, die Problematik des Sparens für Geborgenheit im Alter, der wachsende Mißmut sind Symptome des Zerfalls der bürgerlichen Lebensweise […].« Seit Kriegsende ist diese im Westen gerade den Unteren immer mehr zum erreichbaren Ziel geworden, während die Idee eines gewaltsamen Umsturzes verblasste.

      Der von östlicher Orthodoxie starr festgehaltene Begriff des revolutionären Proletariats nahm unterdessen eher mythologische Züge an. Trotz bedrohlich anwachsender Arbeitslosigkeit, die mancherorts an das Jahrzehnt nach Versailles erinnert, kann im Westen von »Verelendung« der Arbeiterschaft im streng Marxschen Sinn nicht die Rede sein. Ausgeklügelte Interpretationen der Marxschen Kategorie, die versichern, es handle sich hier um eine »relative« Verelendung, richten sich selbst. Gleichwohl bleibt die Marxsche Lehre – gerade im Westen – ein unentbehrliches Mittel zur Erkenntnis gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge. Horkheimer hielt denn auch 1968 die Zeit für gekommen,

      »endlich die Marxsche Lehre […] zu einem der zentralen Themen der Bildung zu erheben. Nicht weil sie in einem großen Teil des Ostens beim Aufholen des westlichen industriellen Vorsprungs als genehme Ideologie fungiert und, jeweils den Umständen angepasst, als staatlich vorgeschriebenes Bekenntnis doziert wird, sondern um der eigenen Zukunft willen hat nunmehr ihre Übermittlung vielen antiquierten […] Lehrstoffen […] zumindest gleich- wenn nicht vorangesetzt zu werden. Soll die junge Generation die ihr geschichtlich gestellten Aufgaben bewältigen, so bedarf sie neben vielem anderen […] nicht etwa kritikloser Anerkennung, jedoch der Kenntnis Marxscher Interpretation von Geschichte und Gesellschaft.«

      Die vom Kreis um Horkheimer während der dreißiger Jahre in der Zeitschrift für Sozialforschung entworfene Kritische Theorie gehört zu den fruchtbarsten Versuchen, Marxsche Kategorien in die Problematik unseres Jahrhunderts einzubringen. Die wichtigsten

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