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Position beziehen. Heinrich Bedford-Strohm
Читать онлайн.Название Position beziehen
Год выпуска 0
isbn 9783532600023
Автор произведения Heinrich Bedford-Strohm
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Ehrenamtliche wollen mitreden
Als Drittes zeichnet sich ein Charakteristikum ab, das ich Gegenseitigkeitsorientierung nenne. Der Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit tritt als Grundlage für das Engagement in der Gemeinschaft mehr und mehr an die Stelle des Opfergedankens. Auch hier ist Vorsicht angebracht: Gegenseitigkeitsorientierung heißt keineswegs automatisch, dass die Leute heute, ganz am ökonomischen Denken orientiert, nur noch eine Leistung erbringen wollen, wenn sie auch eine vergleichbare Gegenleistung bekommen. Es heißt vielmehr, dass die Menschen sich für andere engagieren, dies aber nicht mit dem Gefühl tun, sich aufzuopfern und selbst zu verleugnen, sondern mit dem Gefühl und der Erwartung, auch selbst davon zu profitieren.
Ehrenamtliche wollen sich heute nicht mehr ausbeuten lassen. Sie wollen sich selbst ernst nehmen, sie wollen mitreden, sie wollen sich fortbilden in dem, was sie ehrenamtlich tun. Sie wollen als eigenständige Persönlichkeiten geachtet werden und nicht als Hilfsarmee für noch so noble Zwecke missbraucht werden.
Auch für die Gegenseitigkeitsorientierung gilt: Sie lässt bestimmte Faktoren der Bindung an die Gemeinschaft, wie etwa die Bereitschaft zur Aufopferung, zurücktreten. Das, was sie aber an die Stelle solcher traditionellen Bindungskräfte setzt, enthält jedenfalls das Potenzial für eine gelingende Gemeinschaftsbeziehung unter den Bedingungen der Moderne, die ein Ernstnehmen des Individuums mit dem Engagement für die Gemeinschaft verbindet.
Liberalisierung mit Chancen und Risiken
Als Ergebnis meiner Beschreibung der Veränderung von Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft halte ich fest: Wenn der Begriff der Gemeinschaft nicht auf eine von starken Beziehungen und einem klaren gemeinsamen Nenner geprägte Kleingruppe reduziert wird, sondern mithilfe des sozialen Netzwerkgedankens erweitert wird, dann erweist sich die Diagnose vom Verlust der Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft als unzulässige Vereinfachung. Vielmehr muss von Liberalisierung von Gemeinschaft gesprochen werden, die Risiken, aber auch Chancen enthält.
Für die Kirche der Zukunft – so meine These – ist die konstruktive Gestaltung dieser Liberalisierung von Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung. Dazu hilft es nicht, alten Zeiten nachzutrauern und den Verlust einer kirchlichen Prägekraft zu beklagen, die allzu oft auf einer unhinterfragten, mehr auf staatliche Privilegien als auf innerer Überzeugungskraft beruhenden gesellschaftlichen Dominanz gründete.
Die Kirche hat vielmehr allen Grund, Individualisierung, Pluralisierung und Gegenseitigkeitsorientierung zu bejahen und das Evangelium im Lichte der damit beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen neu zur Geltung zu bringen. Es wird sich zeigen – das ist meine feste Überzeugung –, dass die Kirche damit etwas in die moderne Zivilgesellschaft einbringen kann, was dieser Zivilgesellschaft nicht nur nicht fremd ist, sondern was ihr geradezu zum Lebenselixier werden kann.
Die kulturelle Kraft des Christentums und der Kirche liegt nicht in der Anpassung an die Verhältnisse, sondern in ihrer Rolle als öffentliche Kirche in der Zivilgesellschaft. Am Ende sind es nicht strategische Überlegungen zur Mitgliederbindung, Public-Relation-Programme oder ein effektiver Apparat, die über die Zukunft der Kirche entscheiden, so sehr das alles seinen guten Sinn hat. Am Ende ist es die Authentizität der Kirche, die den entscheidenden Unterschied bedeutet.
Eine solche authentische Kirche, eine Kirche, die ausstrahlt, wovon sie spricht, kann dieses kraftvolle Bild tatsächlich neu wahr werden lassen, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat und das – das ist vielleicht das Wichtigste – er uns zuspricht und das er uns zutraut: Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt!
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