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dem Verhalten der Schwester, zu bedenken.

      »Nein – man kann nichts dafür, aber es ist doch nun mal so. An der Tatsache ist nichts zu ändern«, lachte Anita sie aus. »Ah, da ist ja Homer«, – sie warf dem über das ganze Gesicht grinsenden kleinen Neger ihre Büchertasche mit der Geste einer großen Dame zu.

      »Guten Tag, Homer.« Der Junge nahm auch Mariettas Mappe in Empfang. »Wo ist denn Cico?«

      »Großvater Cico ist krank. Homer darf fahren Donna Anita und Donna Marietta im schönen Auto allein nach Haus.« Er zog vor Vergnügen den Mund von einem Ohr zum anderen.

      »Wirst du auch nicht umwerfen, Homer?« erkundigte sich Marietta, ein wenig unbehaglich Platz nehmend.

      »Homer fährt gut. Homer fährt sicher wie Großvater Cico. Braucht Donna Marietta nicht zu ängstigen«, beruhigte sie der kleine, schwarze Chauffeur.

      »Sonst fahre ich selbst.« Anita verstand das Auto tadellos zu lenken, wie sie auch in jedem anderen Sport Meisterin war.

      »O Donna Anita!« Bittend hingen die schwarzen Augen des Jungen an dem schönen Mädchen. Man sah es ihm an, wie brennend gern er selbst das Auto führen wollte.

      »Nun gut – schon gut. Mach nur zu!« gab Anita, sich in die roten Lederpolster schmiegend, ungeduldig zur Antwort. Denn dicht neben dem Auto tauchte Antonias Gesicht mit den breiten Backenknochen und der etwas platten Nase auf. Anita vermied es, nach jener Seite zu sehen. Sie unterhielt sich angelegentlich mit ihrer Freundin Elvira, bis das Auto abgekurbelt war und die Hupe zur Abfahrt ertönte.

      Rrrrrr – da flog es die weißstaubige Straße entlang – rrrrrr – vorüber an der langen Autokette, aus denen man den Dahinsausenden Grüße zuwinkte.

      »Was machst du denn für ein betrübtes Gesicht, Marietta?« Die Schweigsamkeit der Schwester fiel Anita, die munter drauflos plauderte, schließlich auf. »Es ist recht luftig im Fahren, findest du nicht auch, Jetta?«

      »O ja, Nita, aber beim Gehen muß es entsetzlich beschwerlich sein. Die arme Antonia – ich kann den Gedanken an sie nicht los werden. Sie hat uns so traurig nachgesehen«, meinte Marietta mitleidig.

      »Du hast immer unbequeme Gedanken und verdirbst einem die Laune dadurch«, ereiferte sich Anita. Es klang schärfer, als sie beabsichtigte. Daran war die deutliche Empfindung schuld, daß Marietta im Grunde recht hatte. Furchtbar mußte es sein, bei der glühenden Sonne aus der unteren Stadt die am Berghang gelegenen Villenstraßen emporzuklimmen.

      »Es wird sich schon eine mitleidige Seele finden, die Antonia mitnimmt«, begütigte Elvira.

      »Freilich, warum müssen wir das denn gerade sein!« Anita hatte das peinigende Gefühl im Augenblick überwunden.

      »Warum sollen wir es denn nicht sein? Was andere tun, hätten wir doch auch können«, beharrte Marietta. Es kam nicht oft vor, daß sie ihre Ansicht der Schwester gegenüber so hartnäckig verfocht.

      »Wenn du es nicht fühlst, Jetta, daß eine Tavares der Welt gegenüber andere Verpflichtungen hat, als irgendein Beliebiger in der Stadt, ist dir nicht zu helfen. Das hat Papa uns von klein auf eingeprägt: ›Ihr müßt danach streben, ein würdiges Glied der Tavaresschen Familie zu werden.‹« Stolz warf Anita das schwarze Gelock zurück.

      »Und Mammi sagt, man soll stets so handeln, wie es eines guten Menschen würdig ist. Aber das ist nicht gut, wenn wir – –«

      »Jetta hat heute ihren moralischen Tag, da sieht sie unserer teuren Miß zum Verwechseln ähnlich.« Im Nu hatte Anita ihr rundes Gesicht in längliche Falten gezogen. Den Unterkiefer vorgestreckt, kopierte sie die englische Governeß so wahrheitsgetreu, daß auch Marietta wieder lachen mußte. So war es stets, wenn man sich mit Anita in Erörterungen einließ. Sie ging stets als Siegerin daraus hervor, auch wenn sie im Unrecht war.

      Das Auto hielt vor der schönsten Villa der Avenda Paulista. Wie ein kleines Schloß lag sie in dem herrlichen Palmengarten. Zwei Diener, Neger und Mulatte, eilten herbei; der eine öffnete den Schlag und war den jungen Damen beim Aussteigen behilflich, der andere trug die Büchertaschen ins Haus.

      Elvira verabschiedete sich von den Freundinnen. Sie wohnte ein paar Villen weiter.

      »Brav gefahren, Homer«, nickte Anita gnädig und warf dem kleinen Chauffeur ein paar Münzen zu.

      »Grüß' den Großvater, Homer. Wir lassen ihm gute Besserung wünschen. Wenn wir dürfen, besuchen wir ihn«, fügte Marietta freundlich hinzu.

      » Wozu?« meinte Anita, ins Haus tretend. »Ich mag die Luft in diesen Armleutenstuben nicht. Cico wird auch ohne uns gesund werden.«

      »Cico ist oft in der Nacht zum Arzt gelaufen, wenn wir krank waren, Nita«, stellte Marietta ihr vor.

      »Dafür ist er Diener – – –«

      Marietta kam nicht dazu, der Schwester die Lächerlichkeit ihrer hochmütigen Auffassung zu Gemüte zu führen. Eine der in die Diele führenden Türen ward aufgerissen und ein allerliebstes, fünfjähriges Bürschchen stürzte heraus, gefolgt von seiner schwarzen Kinderfrau Rosita.

      »Nita und Jetta sind da – warum wart ihr wieder in der alten Schule? Ihr sollt hierbleiben und mit Juan spielen.« Zärtlich hing sich der Kleine an die großen Schwestern.

      Anita wirbelte ihn bereits in der Diele herum. Sie wußte nichts mehr von der Hitze. Hier im Hause war es kühl.

      »Wo ist Mammi, Juan?« fragte Marietta, liebevoll die blonden Locken des Kleinen streichelnd. Der kleine Nachkömmling war der Verzug des ganzen Hauses, und der großen Schwestern besonders.

      »Mammi paßt auf, daß Emilia und Maria unsere Koffer gut einpacken. Morgen fahren wir fort, weit fort, nach der Fazenda. Aber du kommst nicht mit, Rosita. Du tust mir immer weh beim Kämmen.«

      »Daran ist ja gar nicht die Rosita schuld, sondern der Kamm, Juan«, lachte Anita.

      »Dann lassen wir eben den Kamm zu Hause.« Das erschien dem kleinen Juan noch einleuchtender.

      Ein Mulatte brachte Eiswasser und Früchte.

      »Bringe die Früchte ins Zimmer zu Donna Tavares«, ordnete Anita an. Sie war gewöhnt, der schwarzen Dienerschaft Befehle zu erteilen.

      Inzwischen hatte Marietta, Juan an der Hand, bereits das Zimmer der Mutter betreten.

      »Guten Tag, Mammi. War das heute heiß im Collège! Ein Glück, daß es morgen auf die Fazenda geht. Ihr seid wohl bald mit dem Einpacken fertig?« Marietta küßte die Mutter nach Landessitte auf die Wangen.

      »Guten Tag, mein Herz. O weh, bist du erhitzt, Jetta. Komm, ich mache dir ein Glas Orangenlimonade zurecht.« Eine goldblonde, noch jugendlich aussehende Dame – sie hatte die Mitte der Dreißig wohl kaum überschritten – im weißseidenen, reich mit Spitzen garnierten losen Hausgewande griff nach einer der herrlichen Riesenfrüchte.

      »Mir auch, Mammi, ich habe auch Durst – – –«, begehrte der Kleine, sich zärtlich an die Mutter schmiegend.

      »Jungchen, du trinkst mir heute zu viel durcheinander. Du willst doch morgen zur Reise nicht etwa krank sein, nicht wahr, mein kleiner Hansi?« Wenn die Mutter besonders zärtlich zu ihrem Kleinsten war, nannte sie ihn mit dem ihr so lieben deutschen Namen. Das klang um so merkwürdiger, als die Sprache des Hauses Tavares, in der die Familienmitglieder miteinander verkehrten, portugiesisch war.

      »Nein, ich will nicht krank werden, dann ist meine Mammi traurig.« Der Kleine liebte seine schöne Mutter abgöttisch.

      Da steckte auch Anita den schwarzen Kopf zur Tür herein. »So – die langweilige Schule wären wir auf zwei Monate los, Mammi. Ich wünschte, wir könnten's mit unserer geliebten Miß ebenso machen. Meinst du nicht, daß es ihr in Ribeirao Preto zu langweilig ohne Geschäfte, in denen man shopping gehen kann, sein wird? Wir wären nicht böse, wenn sie es vorzöge, in Sao Paulo zu bleiben.«

      »Aber Nita!« Halb belustigt, halb ärgerlich schüttelte Frau Ursel Tavares den blonden Kopf. »Der armen

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