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      Nach einer Stunde drückt sie mir noch mehr Tüten in die Hände: »Es ist doch ein Segen, dass wir uns so gut verstehen, gell, Bub«

      Nach dem Cappuccino im Schlosskaffee klappern wir sämtliche Boutiquen in der Innenstadt ab. Und im »La dolce Vita« passiert es. Meine Schwiegermutter entdeckt eine goldene Handtasche. Sie stürzt mit einem Aufschrei auf das Regal zu, reißt die Tasche an sich und stöhnt: »Was ist die doch schön«

      Sie dreht das Preisschild um, flüstert andächtig: »385 Euro« Dann hängt sie sich das edle Stück um die Schultern, dreht und wendet sich vor dem Spiegel. »Mein Gott, mein Gott, was ist das doch für ein schönes Stück! Findest Du nicht auch, Olli?«

      »Echtes Rindsleder« sagt die Verkäuferin.

      »Echtes Rindsleder« wiederholt Gisela andächtig leise: »So was Edles, aber auch«

      Irgendwie hat sich dann meine Schwiegermutter mit der Umhängeschleife verheddert. Das edle Täschchen fällt zu Boden, sie will es aufheben und knallt mit voller Wucht gegen das Regal mit den luxuriösen Accessoires. Geldbörsen, Sonnenbrillen, Gürtel, Halsketten, Armbänder und Mini-Taschen-Schirme machen sich mit lautem Knall selbstständig, kullern quer durcheinander auf dem Boden, unter den Regalen, unter der Verkaufstheke.

      Die Verkäuferin schlägt die Hände vors Gesicht: »Mein Gott, mein Gott«

      »Davon geht die Welt nicht unter, Mädle« tröstet meine Schwiegermutter. »Hilf mal auflesen, Olli«

      Ich krabbele im Vierfüßerstand durch den Laden und versuche so viel wie möglich von dem Kleinkram einzusammeln, schiebe alles auf einem Haufen zusammen. Meine Schwiegermutter fängt zu kichern an: »Du siehst wie eine Robbe aus, Olli« ihr Kichern mündet in eine Lachsalve. »Oder doch eher wie eine Trüffelsau«

      Wenn Gisela lacht, kriegt sie sich nicht so schnell mehr ein. Sie sitzt auf dem Boden und biegt sich, wischt sich immer wieder die Lachtränen aus dem Gesicht, macht Grunzgeräusche: »Schnuff, schnuff«

      »Sie finden das auch noch lustig?« fragt die Verkäuferin pikiert.

      »Und wie«

      »Gisela!« mahne ich mit hochrotem Kopf.

      »Wenn ich das Klärchen erzähle, hahaha« prustet meine Schwiegermutter, »die kriegt sich nicht mehr ein«

      »Gisela!« mahne ich nochmals. Ich komme mir vor wie der allerletzte Depp.

      »Hoffentlich haben die keine Tetanuserreger auf dem Boden, Olli«

      Die Verkäuferin ist entsetzt: »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass es bei uns nicht sauber ist?«

      Gisela ändert ihre Mimik. Todernst erklärt sie: »So ein Fußboden kann eine Infektionsquelle sein, müssen sie wissen, gute Frau. Der Straßenstaub ist es, was die Sache so gefährlich macht. Und wenn sie da eine kleine Wunde haben …

      Sie sieht die Verkäuferin abschätzend an: »Sie sind doch hoffentlich geimpft?«

      Die Verkäuferin ist verdutzt.

      »Oder etwa nicht?« fragt sie nach. Ihr Blick drückt eine Mischung aus Unverständnis und Verachtung aus«

      »Neein« stottert die Verkäuferin. »Das heißt, ich weiß nicht« Sie zuckt die Achseln. »Keine Ahnung«

      »Das sollten sie aber wissen, gute Frau. So etwas nenne ich grobe Vernachlässigung der Gesundheit. Wissen sie, die Sache verhält sich nämlich so …

      Gisela holt tief Luft bevor sie weiter spricht: »Der Tetanuserreger sondert ein Gift ab, welches durch das Blut ins Gehirn gelangt. Weltweit sterben jährlich geschätzte 500.000 Menschen daran. Es ist ein qualvoller Tod, es kommt zu …

      Gisela ist voll in ihrem Element, die Verkäuferin steht wie in Schockstarre da.

      »Ich habe einen Tisch in der Alten Weinsteige reservieren lassen« versuche ich die Situation in den Griff zu bekommen, sage: »Wir sollten jetzt gehen, Schatz«

      Abrupt hält sie in ihrem Vortrag inne. »Das ist aber eine schöne Überraschung, Olli«

      Wir rappeln uns vom Boden auf, streifen zur gleichen Zeit die Staubfusseln von unserer Kleidung, peilen zur gleichen Zeit die Tür an und sagen zur gleichen Zeit: »Auf Wiedersehen«

      Und Gisela fängt schon wieder an zu lachen: »Das ist doch wirklich zu komisch«

      »Du hast Schatz zu mir gesagt, Olli« freut sie sich. Sie schlägt ihre Beine über Kreuz. »Ich muss aufs Klo, Olli«

      In der Weinsteige

      Wir sitzen in der Weinsteige bis kurz vor Mitternacht, da fällt meiner Schwiegermutter ein: »Ich hab dir ja gar nicht das Krankenhaus gezeigt, in dem Dania geboren wurde. Ihren Kindergarten auch nicht. Auch nicht ihre Grundschule, die Realschule, das Gymnasium …

      »Das machen wir ein anderes Mal« sage ich. »Es ist schon recht spät«

      »Aber nach Echterdingen auf den Flugplatz raus könnten wir doch noch, Olli, da gibt es seit gestern …

      »Es ist Zeit, heim zu fahren« erwidere ich hartnäckig.

      »Noch ein allerletztes Glas Champagner, Olli«

      Meine Schwiegermutter streckt ihre rechte Hand in die Luft, ruft: »Herr Ober, Herr Ober …

      Es ist schon weit nach Mitternacht, als wir in Feuerbach ankommen. Gisela lässt sich auf das Sofa in unserem Wohnzimmer sinken. »Und jetzt noch ein Bier, Olli«

      Dania legt ihr Strickzeug aus der Hand, eilt in die Küche, holt drei Flaschen Stuttgarter Hofbräu aus dem Kühlschrank, drei Pilsgläser aus der Vitrine, eine Tüte mit Salzbrezeln aus dem Vorratsschrank.

      »Mach du das mal, Schatz« sagt sie und drückt mir den Flaschenöffner in die Hand. Sie setzt sich neben ihre Mutter, legt den Arm um ihre Schultern: »Jetzt erzähl mal, meine liebe Mami«

      Meine Schwiegermutter ist eine exzellente Erzählerin. Sie erzählt immer sehr ausführlich. Etwas übertrieben manchmal, wie ich meine. Und sie bleibt auch nicht immer bei der vollen Wahrheit.

      »In der Weinsteige ist es einfach wunderbar. Himmlisch. Gigantisch. Exklusiv. Zauberhaft. Du wirst es nicht glauben, Dania, aber wir wurden schon erwartet. Der Chef persönlich hat uns begrüßt und zu unserem Tisch geführt«

      »Ach? Das ist aber nett«

      »Es war wunderschön eingedeckt, Dania. Mit weißen Damastservietten, weißen Kerzen und schneeweißen Röschen in schneeweißen Väschen. Wie bei einer Hochzeit! Das Silberbesteck hättest du einmal sehen sollen. Das hatte ein traumhaftes Design. Old English. Ich glaube, es ist das gleiche Besteck wie die Royals bei ihren Festlichkeiten benutzen«

      »Ach?« sagt Dania staunend. »Wie bei den Festlichkeiten der Royels?« ihr Blick sieht verträumt aus. »Schneeweiße Röschen in schneeweißen Väschen. Wie schön, Mama«

      »Und überall standen Kellner herum« blubbert meine Schwiegermutter weiter. »Mit schwarzen Fräcken, weißen Hemden, schwarzen Fliegen und schwarzen Lackschuhen. Die kamen sofort angeflitzt, wenn ich einen Schluck getrunken hatte, haben nachgefüllt und immer wieder nachgefragt, ob auch alles in Ordnung ist«

      »Ja, und das immer wieder Nachschenken hat mich eine ganze Stange Geld gekostet« werfe ich ein. Was mir einen strafenden Blick meiner Ehefrau einbringt.

      »Also, die haben ein Ambiente in der Weinsteige, das ist unglaublich« Und mit einem Seitenblick auf mich sagt sie: »Es ist zwar teuer dort, aber einmal im Jahr, zum Schwiegermuttertag, geht das schon, gell, Olli«

      Ich nicke, was mir ein liebevolles Lächeln meiner Ehefrau einbringt. Und meine Schwiegermuter fährt unbeirrt in ihren ausschweifenden Erzählungen fort. »Die haben hinreißende Blumenarrangements, Dania. Die solltest du einmal sehen. Ganz neue Impulse. Die Frau des Hauses gestaltet sie selbst. Sie liebt große Blüten, Gräser, Blätter. Sie hat ganz besondere Farbzusammenstellungen. Alles wirkt so edel. Die Frau

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