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einsahen, am Ende auch ein Blackmore einsehen. Seine neue Fender Stratocaster, ein „Geschenk“ von Eric Clapton, mag dazu beigetragen haben („Ein Roadie gab sie mir, weil der Hals verbogen war. Sie klang mit einem Wah-Pedal ganz gut, aber der Hals war so ver­bogen, daß man sie kaum spielen konnte“ – im November 1984 wird er sich revanchieren). Aber er wäre ja nicht Herr Blackmore, würde er nicht Jahre danach grummeln: „Ich war beeindruckt, aber weniger von seinem Spiel als von seiner Attitüde. Er war kein großer Gitarrist, aber alles andere an ihm war brillant. Hendrix hat mich inspiriert, aber Wes Montgomery war mir immer noch lieber.“

      1974 sollte Blackmore seine Ansichten über die „Konkurrenz“ („Ich glaube, daß nur ein Gitarrist einen anderen Gitarristen wirklich verstehen und konkret kritisieren kann!“) geändert – oder sagen wir: radikalisiert – haben: „Für mich gibt es nur zwei Gitarristen, die ich voll akzeptiere“, tönte er da in einem Interview. „Der eine ist tot: Jimi Hendrix. Der andere ist Jeff Beck, der perfekte Techniker. Viele Leute schwärmen für George Harrison und Eric Clapton. Die bedeuten mir überhaupt nichts. Sie werden überschätzt, auch wenn ihnen manchmal ein paar ganz gute Phrasierungen gelingen. Jimi Hendrix gab der Musik völlig neue Dimensionen. Als ich eines Tages eine Platte von ihm hörte, wußte ich, daß die Musik von nun an eine neue Richtung nehmen würde. Hendrix spielte oft Noten, die völlig falsch klangen, als hätte er sein Instrument nicht richtig gestimmt. Diese Töne erzeugte er jedoch absichtlich, er kreierte damit ein völlig neues Klangbild. Er war vielleicht nicht der größte Gitarrist, was die Technik anbelangt. Dafür war er Musiker mit Haut und Haaren, überstieg musikalische Grenzen, gab der heutigen Musik ein neues Gesicht.“ Und stellte sie auf neue Beine: „Sogar die Art, wie er ging, war beeindruckend.“

      Da behauptete Blackmore dann rückblickend auch, es sei Hendrix gewesen, „der mich nach England zurückbrachte“. Vorläufig jedoch, zunehmend genervt vom Dasein als gesichtsloser Angestellter, nahm er ein neues Angebot von Screa­ming Lord Sutch nur deshalb an, weil es wieder mit einer Reise nach Hamburg, das Ritchie mittlerweile als so etwas wie seine Heimat empfand, verbunden war. Die Band hieß dieses Mal The Roman Empire und trat in pseudoaltrömischen Soldatenuniformen mit Brustpanzern und roten Umhängen auf – selbst in der Wirrnis des herandämmernden Hippie-Frühlings ist diese Idee derart lächerlich, daß sich Blackmore, wenn es nur geht, hinter seinem Verstärker versteckt. Die Demütigung, als kostümierter Narr mit dem Auslaufmodell Sutch auf die Bühne steigen zu müssen, gab ihm den Anstoß, es jetzt endlich auf eigene Faust zu wagen. Als das Engagement früher als gedacht auslief, blieb Blackmore bei seiner Freundin Babs in Hamburg, lebte von ihrem Einkommen, spielte Ses­sions mit allen möglichen Musikern und übte sechs oder sieben Stunden am Tag: „Es gab ja sonst nichts zu tun.“ Mit dem Sänger und Pianisten Matt Smith, dem Bassisten Kurt Vile und dem Schlagzeuger Ricky Munro versuchte er, eine Band mit dem Namen Mandrake Root (= Alraunenwurzel) auf die Beine zu stellen, wirkte kurz bei Boz Burrells Band Boz mit und notierte sich den Namen des Schlagzeugers, den er schon von der Band The Maze kannte: Ian Paice. Aber auch der hat abgewinkt: Er müsse Geld verdienen.

      Seine temporären Mit-Savages Nick Simper und Schlagzeuger Carlo Little, die gerade mit der Sängerin Billie Davis in Hamburg gastieren, folgen seiner Einladung, die Hamburger Antwort auf Cream zu gründen. Außer ein paar Proben kommt jedoch nichts zustande: Simper, der als Bassist auch singen soll, leidet an chronischer Mandelentzündung, muß die Versuche abbrechen und kehrt mit Little nach London zurück, um den Job bei den Flowerpot Men anzutreten. ­Blackmore steht wieder am Anfang – ohne Band, ohne Musiker, ohne Job. Und dann klingelt eines Vormittags der Postbote mit einem Telegramm aus London: Ob er nicht Lust habe, bei einer ganz neuen, einer ganz anderen Band mitzumachen?

      Das Angebot klingt verlockend, zumal es offenbar auf einer soliden finanziellen Basis steht: Das Management der geplanten Band bezahlt die Fahrt­kosten, und Ende November 1967 ist Blackmore wieder in London, um sich die avisierten Mitmusiker ohne deren Wissen bei einem Auftritt von Flowerpot Men & The Garden in Dunstable zumindest mal anzusehen. Er ist nicht begeistert von der Musik und immer noch ein bißchen sauer auf Nick Simper, aber immerhin: Der Mann an der Orgel hat einiges drauf. Blackmore sagt zu, sich mit ihm und Chris Curtis ein paar Tage später in der WG am Gunter Grove zusammenzusetzen und mal zu schauen, was sich ergibt.

      „So verdammt laut, daß es magisch war“

      Das dritte Kapitel, in dem plötzlich alles sehr schnell geht

      Der Mann des sauren Kitsches arbeitet nach dem Prinzip: Gelobt sei, was weh tut!

      Hans Egon Holthusen

      „Viele Leute haben eine völlig falsche Vorstellung von Ritchie und mir. Sie meinen, wir seien wie Öl und Feuer. Stimmt nicht! Wir sind wie Öl und Essig – wenn man beides lange genug miteinander mischt, erhält man eine vorzügliche Salatsauce.“

      Jon Lord, 1984

      Hier beginnt nun also endlich die Geschichte von Deep Purple: an einem düsteren, kalten, schneeverwehten Tag Anfang Dezember 1967 in einer Wohnung am Gunter Grove. Es ist kein freundschaftliches Treffen, das hier stattfindet, sondern eine Geschäftsbesprechung. Generationen von Kritikern, die den Gründungs­mythos jeder Band am Lennon-McCartney-Modell messen, werden später nicht müde werden, darauf hinzuweisen, es handle sich bei Deep Purple um ein kalkuliertes, durchgeplantes, eiskaltes Projektmanöver, um eine Retortenband ohne Seele. Man kann das so sehen, wird jedoch, wenn man sich die romantischen Gespinste aus den Augen reibt, feststellen müssen, daß es soviel anders bei den Beatles auch nicht war, von praktisch allen sonstigen Zeitgenossen ganz zu schweigen.

      Ritchie Blackmore, Jon Lord und Chris Curtis sind so unterschiedliche Typen, daß man sich fragen muß, wie sie es an diesem Tag stundenlang gemeinsam in einem Zimmer ausgehalten haben. Aber: Es geht hier um Arbeit. Black­more spielt den beiden auf der Akustikgitarre zwei Songfragmente vor, die er für seine geplante Hamburger Band erdacht hat: „And The Address“ und „Man­drake Root“. Man bastelt ein bißchen daran herum, Curtis klopft mit den Händen auf der Sessellehne einen Takt, Lord summt denkbare Orgelfiguren. ­Curtis, der sich bemüht, den entscheidungsmächtigen Bandleader zu geben, hat selbst nichts Komponiertes vorzuweisen, schlägt aber ein paar Coverversionen vor: „Strawberry Fields Forever“ (die B- oder auch A-Seite der im Februar erschiene­nen Beatles-Single „Penny Lane“) und „You Keep Me Hanging On“ – dieses Stück aber nicht im Motown-Arrangement der Supremes, sondern in der neuen Version der Heavy-Psychedelic-Band Vanilla Fudge aus San Francisco.

      Am Nachmittag kommen Tony Edwards und John Coletta vorbei, um ein bißchen zuzuhören, und sind sehr angetan: „Als wir die drei zusammen hörten, waren wir von der Idee der Band endgültig überzeugt“, erinnert sich Edwards, der von dem Gitarristen beeindruckt ist: „Er wirkte düster und grüblerisch, hatte ein enormes Charisma. Gesprochen hat er kaum, er sah sich um, suchend, forschend.“

      Bislang jedoch ist die Band noch keine Band. Es fehlt ein Baßgitarrist, und da der gelernte Beatklopfer Chris Curtis seine Eignung zum erdigen Heavy-Rock-Trommler ungewöhnlich realistisch einschätzt und sich daher auf den Gesang beschränken möchte, fehlt auch noch ein Schlagzeuger.

      Moment mal. „Heavy Rock“? Der plötzlich ins Spiel gekommene Begriff verdient einen kurzen Einschub, zumal wir die Schwierigkeiten der Rezeption „psychedelischer“ Kompliziertmusiken bereits angedeutet haben – in Jimi ­Hendrix’ Worten: „Man spielt die verkehrten Noten jener Noten, von denen man meint, sie seien die richtigen. Wenn man diese richtig trifft, mit der richtigen Dosis Feedback, klingen sie manchmal sehr hübsch. Es hört sich dann so an, als ob man falsche Noten richtig spielen würde.“

      Dafür ist der Heavy Rock eine schlagend geniale Lösung: Man muß weder Musik studiert haben noch die Sinne mit LSD erweitern – oder, je nachdem, die eigene Toleranz durch gezielte Abstumpfung erhöhen –, um ihn verstehen und/ oder genießen zu können (es schadet aber andererseits nicht). Wenn dann noch ein gehörig greller Schein von „Anspruch“ – vor allem musikalisch, notfalls auch „politisch“ – hinzukommt, ist die Sache perfekt. Endlich kann man sich mit pfundig primitivem Aggressionsgehämmer zudröhnen und trotzdem in einem stolzen Selbstgefühl von Progressivität schwelgen.

      Die Pioniere

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