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war, und daher verbrachte ich so viel Zeit wie möglich mit ihnen. Sie sahen sich selbst innerhalb ihrer Gemeinschaft nicht nur als Künstler, sondern auch als Förderer, und sie gaben regelmäßig jungen Bands die Möglichkeit, sie auf Tour zu begleiten und sich dabei einem größeren Publikum zu präsentieren – beispielsweise auch Nirvana. Kurt betrachtete den Gitarristen als einen seiner Mentoren. In seinen Tagebüchern finden sich viele Einträge mit dem Hinweis „Thurston anrufen“. Als Silva mich zum ersten Mal auf das Trio aus Seattle aufmerksam gemacht hatte, war ich noch zögerlich gewesen, da es normalerweise sehr zeitintensiv war, neue Künstler aufzubauen, und es dementsprechend lange dauerte, bevor sie uns ein Honorar zahlen konnten. Auf Silvas Drängen hin rief Thurston mich an und schlug vor, dass ich es trotzdem mit Nirvana versuchen sollte, und Gott sei Dank hörte ich auf ihn.

      Erst im Juni 1991, drei Monate, bevor Nevermind erschien, sah ich Nirvana zum ersten Mal live, bei einem Gig im Vorprogramm von Dinosaur Jr. im Hollywood Palladium. Über die Jahre hatte ich schon unzählige Konzerte gesehen und war daher in der Regel ziemlich abgeklärt, aber dieser Auftritt haute mich um. Zwar waren die meisten Leute wegen des Headliners gekommen, aber Kurt gelang es trotzdem, eine Beziehung zum Publikum aufzubauen, und das, ohne auf die üblichen Klischees zurückzugreifen. Mir erschien es, als sei er in der Lage, seine innersten Gefühle so zu vermitteln, dass sofort ein Gefühl von Intimität entsteht. Bis heute kann ich nicht genau beschreiben, was er tat – nur, wie es sich anfühlte. Es war eine Form der Rock-Magie, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Zwar hatte ich noch keine Vorstellung von dem kommerziellen Tsunami, der uns bevorstand, aber ich wusste eins: Dass ich großes, großes Glück hatte, mit Nirvana arbeiten zu dürfen.

      Damals war Gold Mountain eine Management-Agentur mittlerer Größe, die etwa 25 Mitarbeiter beschäftigte und ein paar Dutzend Künstler betreute. Für viele von ihnen leistete ich in erster Linie Organisationsarbeit, aber zu einigen entwickelte ich eine persönliche Beziehung. Und an diesem Abend erkannte ich, dass Kurt für mich eine viel größere Bedeutung haben würde, als ich zuerst geahnt hatte. Als ich nach dem Gig nach Hause fuhr, verglich ich meine aufkeimende Bewunderung für Kurt mit der unbeirrbaren Loyalität, die Peter Grant Jimmy Page entgegengebracht hatte. Ich war begeistert.

      In den Jahren nach Kurts Tod hat man mich oft gefragt, wie er denn „wirklich so war“. Nun, manchmal gelang es mir allenfalls, ihn wie durch ein dunkles Glas zu betrachten, das nur Teile seiner Persönlichkeit preisgab, während mir andere verschlossen blieben. Es gab Augenblicke, in denen ich unglaublich leicht zu ihm durchdrang, und andere, in denen ich den Eindruck hatte, dass ich aufgrund seiner angespannten Gefühlslage in seiner Gegenwart unglaublich leisetreten musste. Abgesehen von seinem bereits erwähnten, kaleidos­kophaften Charakter gab es bei Kurt immer noch eine verborgene Seite, und dort lag zum Teil auch das künstlerische Genie, das er buchstäblich nicht erklären konnte, aber auch eine tiefe Verzweiflung, gespeist aus einem Schmerz, der zu unerträglich war, um nach außen getragen zu werden.

      Von Anfang an war der Band, Silva und mir genau bewusst, welches sensible Gleichgewicht die Band bewahren musste, um die bereits bestehende Fangemeinde nicht zu verprellen und dennoch neue Zuhörer zu gewinnen. Wir hatten keine Ahnung, dass es schon bald Millionen sein würden, aber die jüngsten Erfolge von Jane’s Addiction und Faith No More hatten deutlich gezeigt, dass es viele hunderttausend Rock-Fans gab, die sich zwar bisher noch nicht sehr mit Punk beschäftigt hatten, sich aber nach etwas sehnten, das musikalisch und kulturell mehr zu bieten hatte als die damals populären Rock- und Metal-Bands mit ihren Latexhosen und toupierten Haaren. Es war ein neues, junges Publikum, das sich zum einen für die Gegenkultur interessierte und zum anderen nach Musik suchte, die eine gewisse emotionale Tiefe mitbrachte.

      Eine ganze Reihe kleinerer Entscheidungen, die wir im ersten Jahr trafen, waren darauf ausgerichtet, dieses Gleichgewicht zu erhalten, aber Kurt und ich spürten nur selten das Bedürfnis, das ausführlich zu diskutieren. Wir hatten eine ähnliche Grundeinstellung, die sofort für eine enge Verbundenheit sorgte, und auch wenn Kurt später in Interviews Überlegungen zu diesem Thema gern weiter ausformulierte, vermittelte er mir viele seiner Einstellungen in Halbsätzen, indem mit den Augen rollte, das Gesicht verzog oder lächelte. In einer wirklich guten Beziehung zwischen Künstler und Manager muss nicht alles ausgesprochen werden: Man ist sich über die gemeinsamen Ziele klar und verwendet die gesamte Energie auf ihre Umsetzung.

      In seinen Tagebüchern schrieb Kurt: „Laut Punk Rock ist nichts heilig. Für mich aber ist die Kunst heilig.“ Dennoch machte er mir deutlich, dass er sich dem Punk in vielen Aspekten emotional tief verbunden fühlte; ihm war es wichtig, was die Menschen aus dieser Subkultur von ihm hielten.

      In den 1970ern, als die Ramones und ihre Zeitgenossen die erste Punk-Rock-Welle lostraten, hatte ich in New York gelebt und bereits im Musikgeschäft gearbeitet. Ursprünglich hatte ich als Rock-Kritiker angefangen, aber dann schnell gemerkt, dass meine wahren Talente im Bereich Promotion lagen. Damals war ich mit vielen Journalisten befreundet, die von der Punk-Szene rund um das CBGB besessen waren, und mir gefiel zwar die Energie und auch einiges von der Musik, aber ich war mehr daran interessiert, einen Fuß in die Tür der Mainstream-Musikindustrie zu bekommen. Nachdem es mir gelungen war, einen Job bei Led Zeppelins Label Swan Song zu ergattern, kümmerte ich mich nicht mehr groß um Punk.

      Jetzt erkannte ich, dass ich in diesem Bereich dringenden Nachholbedarf hatte, denn wenn ich Kurt als Künstler verstehen wollte, dann musste ich den Kontext der Kultur kennen, die ihn als Heranwachsenden inspiriert hatte, der er Anfang zwanzig noch angehörte und von der er jene Werte übernommen hatte, die er in seinem Abschiedsbrief als „Punk Rock 101“ bezeichnete.

      Dem Journalisten Robert Hilburn sagte Kurt 1993: „Ich litt als Kind schwer an Depressionen. Es gab eine Zeit, da weinte ich mich jede Nacht in den Schlaf. Oder ich versuchte, die Luft anzuhalten, damit mein Kopf explodiert, weil ich dachte, dann würde es ihnen endlich leidtun. Damals dachte ich oft, ich würde nicht einmal einundzwanzig.“ In Michael Azerrads Buch Nirvana – Come As You Are sagt Kurt über seine Kindheit: „Ich dachte immer, ich sei adoptiert, und man hätte mich auf einem Raumschiff gefunden. Ich wusste, dass noch Tausende anderer Alien-Babys hier ausgesetzt worden waren, und inzwischen bin ich auch einigen davon begegnet. Eines Tages werden wir herausfinden, weswegen wir eigentlich hier sind.“

      Das Gefühl, nicht dazuzugehören, vertiefte sich zusätzlich, da Kurt in der konservativen Holzfällerstadt Aberdeen im US-Bundesstaat Washington aufwuchs, wo er mit seiner sensiblen Künstlerseele schnell zum Außenseiter wurde. Die einzige Band aus Aberdeen, die in der amerikanischen Punk-Szene eine gewisse Beachtung gefunden hatte, waren die Melvins, die persönlich wie auch musikalisch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die frühe Karriere von Nirvana darstellten. Damals kamen selten mehr als ein paar hundert Zuschauer zu einem Punk-Gig, und daher war es für die Fans oft leicht, anschließend mit der Band ins Gespräch zu kommen. Der Leadsänger der Melvins, Buzz Osborne (auch bekannt als King Buzzo), machte Krist Novoselic auf die Indie-Band Flipper aufmerksam, und als ich 2018 mit Krist sprach, schwärmte er noch immer von dem Erweckungserlebnis, das er als Teenager beim ersten Hören des Flipper-Albums Generic gehabt hatte.

      1984, mit sechzehn, sah Kurt sein erstes Melvins-Konzert. Wenig später stellte Buzz ein Punk-Mixtape für Kurt zusammen, auf dem sich auch Songs von Black Flag und Flipper befanden. Kurt war völlig fasziniert, hörte die Cassette monatelang jeden Tag und sang die Texte mit. Dem Musikkritiker John Savage sagte er, dass ihm damals zwar die Musik von Mainstream-Rockern wie Led Zeppelin und Aerosmith teilweise durchaus gefiel, aber dass ihm die Texte größtenteils zu eindimensional waren. „Es war oft total sexistisch, wie darin von ihren Schwänzen und von Sex die Rede war. Das hat mich gelangweilt.“ Punk hingegen berührte Kurt; diese Songs spiegelten seine eigene Haltung zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Mit großer Erleichterung stellte er fest, dass er zumindest in dieser Hinsicht nicht völlig allein dastand. Es gab eine andere Welt auf diesem Planeten, und er war fest entschlossen, dazuzugehören. Wenig später machte Buzz Kurt und Krist miteinander bekannt. Im Jahr darauf spielte der Melvins-Drummer Dale Crover auf den ersten Nirvana-Demos mit. Und noch ein paar Jahre später stellte Buzz den Kontakt zwischen Dave Grohl und Nirvana her.

      Punk-Fans

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