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Kind war der Gedanke an einen uralten, unsichtbaren Stalker, der alles sieht, was wir tun, und der all unsere Taten auf alle Ewigkeit festhält, nicht nur unglaublich, sondern auch beschissen angsteinflößend. Wenn man mal drüber nachdenkt, dann wacht Gott nicht über uns, er stellt uns vielmehr nach. In gewisser Hinsicht ist er die Urform paranormaler Geschehnisse, im schrägsten Falle ein archetypischer Gangster wie der Reagan-Attentäter John Hinckley.

      Nach einiger Zeit klinkte ich mich spirituell und intellektuell aus diesem Zirkus aus. Ich ging zwar zur Kirche, um Zeit mit meiner Oma zu verbringen und das Hähnchenmenü abzugreifen, das zum Paket dazugehörte. Aber ich glaube, sie merkte irgendwann, dass ich in emotionaler Hinsicht nicht gerade am „Wohlergehen meiner unsterblichen Seele“ interessiert war. Sie sprach das zwar kaum jemals an, nicht einmal, als ich anfing, meinen Walkman einzuschmuggeln, damit ich nebenbei Slayer und Metallica hören konnte. Sie hatte sich gewünscht, dass ich die Sonntagsschule besuchte, und eine Zeitlang tat ich das auch, aber in der Klasse dort wollte niemand etwas mit mir zu tun haben, nicht mal der Diakon, der den Unterricht leitete. Davon abgesehen hasste ich es, mich fein zu machen, eine Sache, an der sich bis heute nichts geändert hat. Wenn ich es mit so genannter „seriöser Kleidung“ versuche, dann komme ich mir immer vor, als ob ich die Sachen eines anderen trage. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit dem Gefühl durch die Gegend zu laufen, man hätte Onkel Vernons Kleiderschrank geplündert. Oh, und wieso will Gott eigentlich, dass man schon so verdammt früh am Tag auf der Kirchenbank hockt? Während des Schuljahrs versaute ich mir damit jede Menge wertvolle Zeit am Wochenende. Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber Samstag und Sonntag sollte man seine Zeit mit anderem Scheiß verschwenden, als sich den Arsch in einem Gebäude mit schrecklicher Belüftung abzufrieren, das wie eine Opiumhöhle riecht.

      Als ich das letzte Mal im heiligen Pferch eingeknastet war, saß ich neben meiner Oma und wartete geduldig auf das Ende der Predigt. Ganz nebenbei zog ich meine Kopfhörer aus der Jackentasche, achtete darauf, dass meine Großmutter sie nicht sah und schob sie mir auf einer Seite aufs Ohr, um Iron Maiden zu hören. Ich war gerade am Ende der ersten Seite angekommen (es war eine Cassette, was wohl alles darüber sagt, wie lange das schon her ist), als ich aufblickte und feststellte, dass der Pfarrer aufgehört hatte zu reden. Er und alle um mich herum starrten mich an, auch meine Oma, die aussah, als ob sie kurz davor stand, gleich mehrere der Zehn Gebote zu übertreten. Ich wurde ein bisschen kribblig. Wieso starrten mich alle an? Ich hatte doch nichts gemacht! Schließlich versuchte ich nur, mir die Zeit ein bisschen zu verkürzen, bis ich aus diesen Klamotten wieder rausdurfte und das KFC-Menü mit drei Hähnchenteilen, Kartoffelbrei und Soße vor mir stehen hatte.

      Die Gemeinde wandte sich langsam wieder dem normalen Gottesdienstablauf zu. Meine Oma war allerdings noch nicht fertig mit mir. Noch lange nicht. Ich hatte sie gerade gründlich blamiert. Sie sagte kein Wort, sondern streckte nur die Hand nach mir aus und bohrte ganz gemächlich vier ihrer langen Fingernägel in meinen Unterarm, damit ich sie ansah und genau hörte, was sie mir jetzt sagen wollte. Meine Oma ist keine gewalttätige Frau, aber wenn sie sauer ist, dann können ihre Blicke töten. Als sie sich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein konnte, beugte sie sich zu mir herüber, hielt kurz inne und flüsterte dann schlicht: „Wenn du nächstes Mal das Gefühl hast, du müsstest hier drin deine Musik hören, dann solltest du wenigstens nicht laut mitsingen.“ Sie drückte noch mal mit ihren Nägeln zu, um ihrer Botschaft noch ein wenig mehr Nachdruck zu verleihen, und dann ließ sie los.

      Natürlich fühlte ich mich schrecklich. Meine Oma zu enttäuschen, das war nun wirklich das letzte, was ich jemals gewollt hätte. Aber ich konnte mir jetzt nicht mehr in die Tasche lügen: Ich war nicht einmal ansatzweise das, was man einen gläubigen, überzeugten Kirchgänger hätte nennen können. Wir sprachen nie darüber, aber als sie am folgenden Sonntag zur Peace-Lutheran-Kirche ging, blieb ich zu Hause im Bett. Abgesehen von Hochzeiten und Beerdigungen war das auch das letzte Mal, dass ich aus freien Stücken den Fuß in eine Kirche gesetzt habe. Ich ging einem Leben als überzeugter Ketzer entgegen. Das einzig Blöde dabei war, dass ich mir einen Job suchen musste, wenn ich trotzdem weiterhin ein Chicken-Menü haben wollte.

      Aber jetzt sag ich euch mal, was das Nervigste an der Menschheit und ihrem Gott ist: Wenn Sein Name bemüht wird, dann ist das beinahe eine Garantie dafür, dass es in irgendwelchen Blödsinn mündet. Die Menschheit und ihr Gott beginnen Kriege. Die Menschheit und ihr Gott stehen Fortschritten in der Medizin, der Wissenschaft und anderen Wegen zum Verständnis des Universums im Weg. Die Menschheit und ihr Gott bekämpfen den gesunden Menschenverstand mit Dummheit, wenn es um Fragen der Politik, der Freiheit, des allgemeinen Wohlergehens und der Sicherheit geht. Die Menschheit und ihr Gott sind dazu verurteilt, sich die Zukunft lediglich mittels dogmatischer Mythen zu erschließen, die zu einer Zeit entstanden, in der man noch daran glaubte, dass Flüche jemanden krank machen und Blutegel das „schlechte Blut“ aus dem Körper ziehen und uns gesund machen könnten. So sieht die so genannte Weisheit der Glaubensbrüder aus. Das Problem ist eben, dass Religionen keine Updates bekommen; sie laufen mit einer Software, neben denen Fünf-Einviertel-Zoll-Disketten wie futuristische Zeitmaschinen aussehen. Die christliche Bibel mit all ihren Schwachstellen hat völlig den Anschluss an die moderne Zeit verpasst; wenn es sich um irgendein anderes Buch handelte, dann würden sich die Leute über jede daraus zitierte Passage oder Anekdote kaputtlachen. Das gilt genauso für alle anderen dicken Wälzer, die den großen Weltreligionen zugrunde liegen. Die Gläubigen siechen in religiöser Dummheit vor sich hin und kommentieren ständig alles Mögliche mit Zitaten aus ihren „Lehrbüchern“, völlig unabhängig vom Kontext oder der Relevanz.

      Wisst ihr, mir ist klar, wieso Religionen geschaffen wurden – oder sagen wir mal so, ich kann mir einen ziemlich guten Reim drauf machen, wieso die Menschen in wilden Phantasien nach der Wahrheit suchen. Mir gefällt die Vorstellung durchaus, dass Götter erfunden wurden, um Dinge zu erklären, die wir nicht verstehen, wie die Sterne, Vulkane und das Wetter. Und seit wir schlau genug sind, um die einzelnen Teile selbst zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen, weiß ich, wieso sich der Zweck der Götter schließlich darauf verlagerte, anzuzeigen, wie wir miteinander umgehen: Einige von uns brauchen eine Richtung im Leben oder zumindest irgendetwas, das uns Konsequenzen für all unsere Taten in Aussicht stellt. Als Menschen sind wir einfach noch zu unzivilisiert, um friedlich zusammenzuleben. Mit uns ging es aufwärts, als Regeln aufgestellt wurden, das verstehe ich.

      Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte gestatten Sie mir, dass ich Sie kurz mit der Realität konfrontiere.

      Wir schreiben jetzt das Jahr 2013. Und ich muss sagen, wenn ihr noch immer ein Regelwerk braucht, das zu einer Zeit geschrieben wurde, wo die Leute Kamele heiraten wollten, dann habt ihr größere Probleme, als den richtigen Leitfaden fürs Leben zu finden. Die menschliche Rasse hat über die Jahrhunderte großartige Köpfe hervorgebracht, Philosophen von so überragendem Durchblick, dass wir mit jeder Generation entscheidende neue Entwicklungsschritte gemacht haben. Aus dem gleichen Genpool stammen Wissenschaftler und Mathematiker von hervorragendem Kaliber, die nach und nach die Geheimnisse von Raum, Zeit und unseren eigenen genetischen Code geknackt haben. Mit jedem Schritt in Richtung spirituelle Freiheit, das kann ich mit Stolz sagen, entfernen wir uns weiter und weiter von den Fesseln des Aberglaubens. Aber fast immer sind es die Altvorderen unserer Rasse, die sich an diesen Mist klammern wie Fliegen an ein Plumpsklo, und das sind leider meist die Leute, die Machtpositionen innehaben und die „heilige Schrift“ dazu benutzen, um die Köpfe – und die Wählerstimmen – ihrer Schäfchen zu kontrollieren.

      Aber darin besteht gleichzeitig die Besonderheit: In vieler Hinsicht unterstützt die Kirche – vor allem die katholische – unsere wissenschaftlichen Entdeckungen. Das war schon immer so. Sie freut sich über tiefgreifende, neue Erkenntnisse, weil sie davon überzeugt ist, dass es sich dabei um Beweise für die Existenz Gottes handelt. Sie wartet geradezu auf bahnbrechende Durchbrüche im Bereich der Teilchenbeschleunigung, weil sie sich von diesem Themenbereich weitere Beispiele für „intelligentes Design“ erhoffen. Abgesehen davon, dass sie dann natürlich versucht, das alles als Leistung des Großen Meisters darzustellen, muss man die Kirche dafür wirklich respektieren. Aber mit dem Respekt hört es dann schlagartig wieder auf, wenn man wiederum daran denkt, wie viele Fälle von Missbrauch gerade mit dieser Religion in Zusammenhang gebracht werden. Meiner Meinung nach hat die Unterdrückung des Sexualtriebs üble Auswirkungen, die sich auf schlimmste Art manifestieren:

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