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die Chemikalien sind hochentzündlich. Genau so hat sich der Komiker Richard Pryor fast verbrannt, Mann. Bei den neuen gekochten Klumpen, von denen Sincere sprach, musste man nicht mehr mit brennbaren Haushaltsmitteln oder etwas in der Art herumhantieren. Er sagte, dass die Gewinnspanne zwar nicht so hoch war, als wenn man reines Pulver verkaufte, und dass man das auch nicht dadurch ausgleichen könnte, dass man das Koks mit Laktose oder Ajax verschnitt, um es zu strecken. Aber die reine Verkaufsmenge würde es schon rausreißen, denn die Wichser liebten das Zeug. Die Süchtigen kämen nach fünfzehn Minuten wieder, als hätten sie gar nichts geraucht. Sincere sagte, er verkaufe es hauptsächlich an weiße Leute, die von Long Island herüberkämen, aber dass mittlerweile auch die schwarze Gemeinde auf den Geschmack gekommen sei. Die Schwarzen vermischten es mit ihrem Grass und rauchten es, und sie liebten diesen Wumms. Er sagte, das Zeug sei ursprünglich von den Bahamas gekommen, dann verbreitete es sich nach Miami, und inzwischen kam es aus L. A., Mann. Es war überall: Chicago, Detroit, San Diego, Minnesota, Boston, San Francisco. „Ich könnte noch weitermachen, aber ich würde dir ja doch nur die Karte der USA vorlesen“, lachte Sincere. „Ich glaube, diese Wichser hier sind noch etwas hinterher, Mann.“ Er erschien fast wie ein Gelehrter, als er erklärte, wie sie auf den Bahamas derart viel Kokain gehabt hätten, dass sie begannen, daraus reinen Stoff zu kochen, um es schneller loszuwerden. Sie lösten es in Kerosin oder Säure auf und banden es dann mit Kalk. „Aber die Nigger haben keine Zeit für diese ganze Scheiße“, sagte er. „Die Nigger verschneiden es mit Backpulver, dann ­kochen sie die Scheiße. Glaubst du so eine Scheiße? Backpulver? Derselbe Scheiß, mit dem sie das Haus putzen und den Kühlschrank frisch halten. Hundsordinäres Backpulver!“

      Er malte mir die Zukunft aus und verlor sich dabei in sämtlichen großen und kleinen Details. Er reiste von den Bahamas nach L. A., zu all diesen Punkten auf der Karte, sprach von dem Backpulver für den Kühlschrank und dem Geld, das er verdienen würde, vom Kokainkochen und den Kapseln, in denen sie es verkaufen würden, den Pfeifen, Flaschen und Glühbirnen, in denen es geraucht wurde. „Die Scheiße sieht aus wie kleine Stückchen Seife“, sagte er. „Die Nigger rauchen es in Glasröhrchen mit Haushaltsschwämmen als Filter.“ Ich hörte zu, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wovon er sprach. Ich merkte, dass er aufgeregt war, aber diese ganze abgehobene Kacke war nicht mein Ding. Ich konzentrierte mich lieber auf die Päckchen in meiner Hand. Ich wusste, dass ich ein Stück vom Kuchen abhaben wollte, aber ich sah keine Möglichkeit, wie ich für ihn arbei­ten könnte. Ich war zu jung. Ich ging noch zur Schule. Ich kannte die Spielregeln nicht. Sincere warf seinen Kopf in den Nacken und lachte: „Nur mit sechs kannst du nicht dealen.“

      Als er mir das gesagt hatte, warf ich all meine Zweifel über Bord. Sincere klang, als ob er aus Erfahrung sprechen würde – wenn er nicht selbst mit sechs gedealt hatte, dann musste er genug sechsjährigen Drogendealern begegnet sein, um zu wissen, wovon er sprach. Abgesehen davon musste man mich nicht erst überzeugen. Ich wollte mir meine Scheibe vom großen Kuchen abschneiden und hielt meine Zukunft buchstäblich in den Händen.

      Ich verstaute die dicken Alberts in meinem Zimmer. Wann immer mich meine Onkel nach Kokain schickten, nahm ich einfach etwas aus meinem Depot, drehte eine Runde um den Block, um ein wenig Zeit totzuschlagen, und kehrte dann zurück. Wenn mein Vorrat alle war, ging ich wieder zu Sincere und füllte ihn neu auf. Ich war gerade mal elf. Ich ging immer noch zur Schule, also konnte ich nur nachmittags nach dem Unterricht dealen, wenn meine Großeltern dachten, dass ich draußen auf der Straße wäre und spielte. Ich arbeitete mich schnell ein, denn alles, was man zum Dealen wissen muss, kann man in weniger als einem Jahr lernen. Die meisten Dinge, auf die man achten muss, begreift man sehr früh, da sich alles ständig wiederholt. Es ist immer wieder derselbe Kreislauf. Es ist nichts Neues. Man weiß, dass man nicht darüber sprechen darf, was man tut, und man weiß, dass es nicht cool ist, andere Dealer zu verpetzen. Alles andere eignet man sich während der Arbeit an.

      Je länger ich dealte, umso einfacher wurde es. Und je einfacher es wurde, umso mehr hatte ich davon. Anfangs konnte ich mir Kleinigkeiten leisten, Snacks und Fastfood. Dann konnte ich mir schon Turnschuhe und Kleider kaufen. Schließlich fing ich mit kleinen tragbaren Videospielen an, aber das war vollkommen unsinnig: Ich hatte gar keine Zeit für Videospiele; ich musste Koks verkaufen.

      ***

      Crack hatte auf der Straße viel härtere Auswirkungen, als sich Sincere ­damals vorstellen konnte. Ich war immer noch dabei, überhaupt Fuß zu fassen, als sich die Spielregeln änderten. Am 26. Februar 1988 wurde in meinem Viertel ein Bullengrünschnabel erschossen, der in seinem Streifen­wagen saß. Er gab einem Zeugen Polizeischutz, der sich bereit erklärt hatte, in einem Prozess gegen ein paar Dealer auszusagen, die auf der anderen Straßenseite, gegenüber von seinem Haus, Crack verkauften. Der Bulle wurde fünfmal in den Kopf geschossen. Die Polizei sagte, dass ein in Haft sitzender Dealer von der Southside den Killer bestellt hätte.

      Nach dem Tod des Bullen dauerte es nur ein paar Stunden, bis sich die Machtverhältnisse in der Southside geändert hatten. Wenige Monate zuvor war das Viertel endgültig zum festen Revier der Dealer geworden. Sie gingen ihren Geschäften auf offener Straße nach, als hätten sie eine Generalamnestie. Halb tote, völlig zugedröhnte Gestalten streiften Tag und Nacht durch die Straßen wie Überlebende eines Atomschlags. Die normalen Leute waren zu verängstigt, um etwas zu sagen, und die Bullen kratzte es nicht weiter. Aber als es einen aus ihren eigenen Reihen erwischte, machte die New Yorker Polizei Ernst. Das Straßenleben wurde bald vom starken Arm des Gesetzes und seiner wütenden Faust lahm gelegt. Außenposten sprossen über Nacht wie Pilze aus dem Boden, und Streifenwagen fuhren durch die leer gefegten Straßen wie Steppenläufer. Man konnte Ramm­böcke hören, Razzien wurden durchgeführt, und einen Augenblick lang – aber nur für einen Augenblick – sah die Southside so aus, wie sie vielleicht ausge­sehen hätte, wenn Crack nicht erfunden worden wäre. Aber es war nur eine leere Drohung, eine Einschüchterungsstrategie ohne Besatzungsplan. Es war nicht Teil eines Prozesses, und man wollte schon im Ansatz keine Veränderung herbeiführen. Die Auswirkungen der Aktion sollten und konnten auch gar nicht lange anhalten, da sich die ganze Sache nicht damit befasste, was wirklich im Bezirk vor sich ging. Die Dealer dealten, weil wir Geld brauchten. Die Abhängigen brauchten Drogen. Und ohne Jobs oder brauchbare Alternativen würde das auch so bleiben.

      Der Mord an dem Grünschnabel war im ganzen Land auf den Titel­seiten und heizte den „Krieg gegen Drogen“ richtig an. In den Jahren zuvor waren bereits verbindliche Mindeststrafen für Drogenvergehen und Strafrichtlinien auf Bundesebene eingeführt worden, nun aber kam das Drogenmissbrauchsgesetz von 1988, das für „schwere Dealer“ die Todesstrafe forderte und vorsah, dass wegen Drogen verurteilte Delinquenten mindestens fünfundachtzig Prozent ihrer Haftstrafe verbüßten. Dies führte auch dazu, dass Polizeieinheiten wie die „Taktische Drogeneinheit“ (Tactical Narcotics Team, TNT) und, zur Verstärkung vor Ort, die Street Narcotics Enforcement Unit geschaffen wurden, was der Polizei im Umgang mit den Straßendealern uneingeschränkte Machtbefugnisse verlieh.

      Aber es gab keine Jobs. Ohne Jobs erreichten diese harten Maßnahmen nur, dass sich bald eine neue, einfallsreichere und damit widerstandsfähigere Sorte von Dealern entwickelte. Wenn das Viertel das Koks war, dann war der Mord an dem jungen Bullen das Backpulver. Und eine aggressive Polizeimacht war das Feuer, das eine ganz neue Generation von Dealern hervorbrachte. Dealer wie mich.

      Kapitel 4

      „Man muss für das Morgen leben, selbst wenn es nie ein Morgen gibt“

      Es war für die Dealer nicht mehr sicher, ihre Drogen mit sich zu führen. Nicht dass das jemals besonders schlau gewesen wäre, aber es gab ja diese Kleinigkeit, die als Verfassung der Vereinigten Staaten bekannt ist, die sie vor einer unrechtmäßigen Durchsuchung schützte. Die elegantere Lösung war, die Drogen in einem Depot irgendwo ganz in der Nähe aufzubewahren, etwa in einer braunen Papiertüte auf dem Boden, die in dem übrigen Müll nicht weiter auffiel. Ein anderes gutes Versteck war die Führungsschiene eines Sicherheitstors. Schließlich und endlich bedeutete Besitz Besitz, und das bedeutete – auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole –, dass der Dealer die Drogen auch wirklich besitzen und sich nicht nur in ihrer Nähe aufhalten musste. Die kreativeren Dealer bunkerten ihren Vorrat im Inneren eines demolierten öffentlichen Fernsprechers, unter einem Müll­eimer,

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