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Seite die standesbewusste, temperamentvolle Frau aus guter Familie, die nach all den im Bunker verbrachten Bombennächten in London eine leise Verachtung für die vom Krieg verschonten Schweizer pflegte. Ellen Hohmann Collins weiß sich auf dem gesellschaftlichen Parkett in Alexandria sicher zu bewegen, ihrem Ehemann gefällt das. Sie hat ausgezeichnete Manieren, ist geistreich und gebildet. In Ägypten beginnt sie, sich mit Archäologie zu beschäftigen, das einzige Hobby, das ihren Ehemann ebenso sehr begeistert wie sie selbst. Im Übrigen wird Ellen Hohmann Collins eine schwierige Persönlichkeit nachgesagt. Wertschätzung für die Leistungen anderer Menschen zu zeigen fällt ihr nicht leicht. Sie hat eine genaue Vorstellung davon, wie die Dinge zu sein haben. Spielraum für Verhandlungen gibt es nicht. So wird sie – ganz dickköpfige Irin – ihrem Mann bis ans Ende seines Lebens zusetzen und ihn dazu drängen, zum Katholizismus zu konvertieren. Gerhart Hohmann bleibt Protestant, ist aber einverstanden, dass seine Söhne eine katholische Erziehung genießen.

      Patrick Hans Hohmann wird 1950 als zweiter von insgesamt drei Söhnen in Alexandria geboren. 1947 ist Charles Gerhart zur Welt gekommen, 1955 vervollständigt Kevin Heinrich die Familie. Alle Söhne tragen englische Vornamen und führen einen zweiten deutschen Namen, denn Vater Gerhart Hohmann hat die Vorstellung, dass englische Vornamen seine Söhne später daran hindern könnten, Karriere beim Schweizer Militär zu machen. Damit aber nicht genug: Die Mutter besteht auf dem revolutionären Erbteil ihrer Familiengeschichte und möchte, dass ihre Söhne den Namen O’Connell tragen, was aber im Schweizer Passwesen nicht vorgesehen ist. Kurzerhand schmuggelt Ellen Hohmann den Namen O’Connell als dritten Vornamen ihrer Söhne in die Dokumente, wo er sich bis heute erhalten hat.

      Alexandria in den 1940er- und 1950er-Jahren ist eine aufregende Stadt voller Musik, Farben und Gerüche. Eine Millionenstadt mit kilometerlangen, hellen Sandstränden und einem geschäftigen Hafen, ein bedeutendes, internationales Handelszentrum, insbesondere für Erdöl und Baumwolle. In der Stadt leben große Gemeinschaften unterschiedlichster Nationalitäten. Der Umstand, dass die doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt ist, hat viele Migranten aus Spanien, Griechenland und Italien angezogen, darunter viele Juden. Von der Lebendigkeit seiner Geburtsstadt bekommt Patrick Hohmann allerdings nicht viel mit. »Wir haben ziemlich isoliert gelebt«, erinnert er sich. Die Hohmanns bewohnen eine Villa im Kolonialstil, mit einem großen Garten, umgeben von einer hohen Mauer. Den Kindern ist es nicht erlaubt, den Garten zu verlassen. Patrick kümmert das nicht. »Wenn die Eltern ihren Mittagsschlaf hielten, bin ich auf einen der Bäume geklettert und habe den Bauarbeitern zugesehen, die auf der anderen Seite der Mauer gearbeitet haben. Einer von ihnen hat mich gesehen und eingeladen, mich zu ihnen zu setzen. Da bin ich runtergesprungen und habe mit ihnen Tee getrunken«, erzählt Hohmann und setzt versonnen hinzu: »Ich bin früh einem Ruf gefolgt.«

      Die Bemerkung mit dem Ruf verweist auf die spirituelle Haltung, mit der Patrick Hohmann unternehmerisch tätig ist. Der Bio-Baumwollhändler ist überzeugt, dass jeder Mensch eine Aufgabe auf seinen Schultern trägt, wenn er zur Welt kommt, eine Aufgabe, die er selbst nicht kennt, sondern erst nach und nach kennenlernen und hoffentlich anpacken wird. In der Sichtweise von Patrick Hohmann folgt jeder Mensch intuitiv diesem Ruf. Etwas zieht an der Seele, ohne dass man zunächst wüsste, was es ist. Erst im Lichte der Erfahrungen, die man macht, im Scheitern und Wiederansetzen, vermittelt sich eine Ahnung dessen, was man kann und wofür man geboren ist. »Ich bin nicht über die Mauer gesprungen, weil ich das wollte, sondern weil ich das kann. Mich hat immer interessiert, was hinter der Grenze ist, was da los ist, wenn man hinter die Grenze geht.«

      Solange die Kinder zu Hause sind, werden sie von einer Nanny betreut. Sobald schulpflichtig geworden, fährt Vater Gerhart Hohmann seine Söhne im Chevrolet zur französischsprachigen Schweizer Schule, wo sie unter anderem Arabisch in Wort und Schrift büffeln müssen. Auf den endlos langen Fahrten übt Hohmann senior mit seinen Buben das, was ein Baumwollhändler unbedingt können muss: Kopfrechnen.

      Zwei Erlebnisse in diesen Jahren sind prägend für das spätere Leben von Patrick Hohmann: Flucht und Kulturschock. Am 30. Juli 1956 verkündet der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Verstaatlichung der Suezkanal-Gesellschaft, die sich mehrheitlich in französischem und britischem Besitz befindet. Frankreich, Großbritannien und Israel greifen Ägypten an. Amerikanische Medien apostrophieren die Krise als »the biggest threat this year has posed to world peace«. Familie Hohmann packt ihre Koffer und flüchtet in den Sudan. »Wenn man heute das Wort Flucht hört, denkt man vielleicht an die Ereignisse in Syrien oder auf dem Mittelmeer. Es war aber nicht so dramatisch. Für uns Kinder bedeutete es vor allem, dass die Eltern nur noch im Flüsterton miteinander sprachen. Und es bedeutete, endlos lange mit dem Zug durch die Wüste zu fahren. Manchmal blieb der Zug mitten in der Wüste stehen, bis wieder einer vorbeikam mit einem Hammer und den Zug reparierte«, beschreibt Patrick Hohmann diese aufregenden Tage.

      In Khartum, der Hauptstadt des Sudan, löst sich schließlich die Anspannung der Eltern, der unmittelbare Druck fällt von ihnen ab. Die Familie hat Kontakte dort, die Hohmanns werden am Bahnhof abgeholt von Kevin Hayes, einem Cousin von Großvater Charles Collins. Kevin Hayes, der außerdem Patrick Hohmanns Pate ist, amtet im Auftrag des britischen Imperiums als Richter von Khartum.

      Zuerst wohnt die Familie im schönen Grand Hotel, einem altehrwürdigen Kolonialbau. Geblieben ist Patrick Hohmann vor allem eine Anekdote: »Jeden Morgen habe ich die übrig gebliebenen Brötchen von den Tischen stibitzt, um sie dem Nilpferd im Zoo nebenan zu bringen. Man musste es nur beim Namen rufen, dann sperrte es sein Maul auf. Bintifatma, eftach, eftach!«

      Die Kämpfe in Ägypten dauern an, die Eltern Hohmann wollen ihre Söhne in Sicherheit bringen und schicken zuerst Charles und den einjährigen Kevin in die Schweiz, wo beide im Internat und Kinderheim »Bosshard« in Aegeri Aufnahme finden. Patrick Hohmann, der unter einem entzündeten Knie leidet und eine Beinschiene trägt, zieht mit seinen Eltern weiter nach Port Sudan, wo die Hohmanns ein bescheidenes Zimmer im »Red Sea« Hotel bewohnen. Auch er wird schließlich vorübergehend in Sicherheit gebracht: Den Sommer 1957 verbringt er mit seinen Großeltern Collins auf der Île d’Yeu in der Bretagne. Danach kehrt er, wie seine Eltern, nochmals nach Alexandria zurück. 1961, fünf Jahre nach dem Beginn der Suez-Krise, wird die väterliche Firma, die Escher AG, verstaatlicht. Gerhart Hohmann betreibt nun den Baumwollhandel verstärkt vom Sudan aus. Es wird ihm nicht erspart bleiben, 1971 ein zweites Mal enteignet zu werden, diesmal im Sudan.

      1961, im Jahr der Verstaatlichung, ist Patrick Hohmann elf Jahre alt. Die Zeiten sind unruhig. Etliche nordafrikanische Staaten kämpfen für ihre Unabhängigkeit. So etwa tobt in Algerien der für seine Brutalität berüchtigte Algerienkrieg, in dem die Kolonialmacht Frankreich mit äußerster Härte gegen Unabhängigkeitsbestrebungen vorgeht. In Jemen kommt es zu Anschlägen auf die britischen Besatzer. Beide Länder, Algerien und Jemen, werden von Ägypten und seinem Präsidenten Gamal Abdel Nasser unterstützt. In dieser angespannten Situation beschließen die Eltern Hohmann, auch ihren zweitgeborenen Sohn in die Schweiz aufs Internat zu schicken. Charles, der um drei Jahre ältere Bruder von Patrick Hohmann, besucht bereits das Internat Pfister in Oberägeri.

      Die Eltern bringen Patrick Hohmann zum Flugzeug. Mutterseelenallein reist das Kind von Ägypten nach Zürich-Kloten, wo es von seiner Patin Margrit Hefti abgeholt wird. Zwei Tage später geht die Reise weiter nach Celerina, wo Patrick Hohmann, der kein einziges Wort Deutsch spricht, Deutsch lernen und sich für den Eintritt in die Klosterschule Einsiedeln vorbereiten soll. Er reist zusammen mit weiteren Schülern, begleitet vom Leiter des Institutes Albris, in eine ihm unbekannte, fremde Welt. Für Patrick Hohmann eine deutliche Zäsur: »Wenn ich das heute erzähle, erscheint mir das schrecklich, aber damals war es einfach so. Man hat sich in die Situation geschickt. In Ägypten war alles hell, Sonne, blauer Himmel. Plötzlich war alles dunkel. Mit dem Zug sind wir nach Celerina gefahren, durch die Via Mala. Alle waren begeistert, nur in mir wurde es eng, und ich habe gedacht: Wie komme ich hier bloß wieder raus? Ständig hat es geregnet, zum Abendessen gab es dunklen Kakao, die Chalets waren rabenschwarz. Gleich in den ersten drei Tagen beobachtete ich, wie ein paar Schüler einen Kameraden verprügelten. Ich habe gedacht: Du meine Güte, wenn mir das auch passiert! Ich habe sofort versucht, mich in die Gemeinschaft zu fügen und mit den anderen ein Auskommen zu finden.« Seine Brüder und seine Eltern wird Patrick Hohmann in den kommenden Jahren nur zwei- bis dreimal im Jahr sehen, zu Weihnachten und Ostern, gelegentlich

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