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ein Handeln von allen, überall.«

      Tatsächlich sah sich die internationale Gemeinschaft vor und nach dem Gipfel nicht einmal in der Lage, genügend Fluchtlager für Syrien zu betreiben, weil die Staaten um die Finanzierung stritten. Die Hilfszahlungen für die Camps in Jordanien, der Türkei und dem Libanon wurden gekürzt, bereits zugesagte Mittel nicht überwiesen.26 Das Flüchtlingshilfswerk der UN (UNHCR) sah hierin einen der wesentliche Gründe für die Migrationswelle nach Europa.27 Sprecherin Melissa Fleming: »Das UNHCR und seine Partner in den Nachbarländern Syriens sind katastrophal unterfinanziert. Logischerweise ist es so: Wenn sich die Lebensumstände von Menschen immer weiter verschlechtern, wenn sie in absoluter Armut leben und keine Verbesserung absehbar ist, sie keine Perspektive haben – dann entscheiden sich viele, nach Europa aufzubrechen.«

      Angesichts des fünften Kriegsjahres, zerbombten Heimen und einer 50-Cent-Tagesration pro Person erklärte im Oktober 2015 António Guterres als Hochkommissar für Flüchtlinge:28 »Die humanitäre Hilfe ist zwar noch nicht am Ende, wie einige behaupten. Tatsächlich arbeiten wir effektiver als viele andere. Aber wir, die Helfer, sind pleite. Wir sind nicht einmal mehr in der Lage, auch nur das absolute Minimum an Schutz und Hilfe zu leisten, um die menschliche Würde derer zu schützen, um die wir uns sorgen.« Zuständig für die weltweite Versorgung von Flüchtenden ist neben dem UNHCR vor allem das Welternährungsprogramm. Es verfügt über kein eigenes Budget, ohne Planungschancen agiert es je nach Geberstimmung der Staaten. So begründete bereits im Dezember 2014 seine Direktorin Ertharin Cousin das Aussetzen der Nahrungsmittelhilfe für Syrien-Flüchtende damit, dass viele Geberländer zugesagtes Geld nicht überwiesen hätten.29 Trotz vollmundiger Ankündigungen kamen nicht mehr, sondern eher weniger Mittel.

      Das Welternährungsprogramm ist das größte humanitäre Gemeinschaftsprojekt der Erde. Und doch entspricht sein Budget kaum einem Zehntel des jährlichen Gewinns eines einzigen Konzerns wie Apple.30 Schräger können globale Verhältnisse kaum sein. Für die finanzstarke OECD-Staatenwelt wäre es ein Leichtes, das Welternährungsprogramm und seine Auffangcamps ausreichend zu unterstützen. Dennoch traten an die Stelle eines systematischen Auffangnetzes rund um Syrien zunehmend experimentelle Politikansätze – besonders in Europa. Sie schwankten zwischen einer Aufhebung von Grenzen und dem Bau von Grenzzäunen. Der politische Preis war hoch, Menschen und Gesellschaften wurden polarisiert: Auf der einen Seite scheinbare Moralisten, auf der anderen Seite scheinbare Realisten. »95 % dieser Leute sind Wirtschaftsflüchtlinge. Wir werden diese dumme Idee nicht unterstützen, jeden aufzunehmen, ganz egal, ob es sich dabei um Wirtschaftsflüchtlinge handelt oder nicht«, sagte der slowakische Premierminister Robert Fico.31 Bald darauf spielte das Einwanderungsthema eine zentrale Rolle in der britischen Volksabstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der EU.

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      Die Grenzöffnungen halfen vielen Menschen, kamen jedoch insbesondere jenen zugute, die lange Wege bewältigen und Schlepper bezahlen konnten. Alte, Kranke, Frauen und Kinder blieben oft zurück, obwohl sie Schutz und Hilfe am ehesten benötigten. Im Ergebnis half man mit vielfachen Kosten einem Bruchteil der Betroffenen, parallel wurden autoritäre Regime gestärkt und deren Hilfe für das Stoppen der Wanderungsbewegungen erbeten. »Ärzte ohne Grenzen« lehnen inzwischen eine weitere Förderung durch die EU und ihre Mitgliedstaaten ab. Damit verlieren sie jährlich rund 50 Millionen Euro Fördermittel. Die »schändliche Politik der Abschreckung … widerspricht unseren Werten«, begründete ihr Generalsekretär Jérôme Oberreit die Entscheidung. »Wir können Gelder von der EU oder deren Mitgliedstaaten nicht annehmen, während wir gleichzeitig die Opfer ihrer Politik behandeln.«32

      An sich offenbarten die Migrantenströme nichts anderes als die Notwendigkeit eines globalen Ansatzes. »Wir bräuchten einen Weltgipfel über Migration … Wir müssen aufhören, unseren Blick von einem Land zum nächsten zu wenden … Ich wünsche mir einen ganzheitlichen Plan, nennen wir ihn ›Stabilitätspakt für den Nahen Osten‹«, sagt Kilian Kleinschmidt.33 Er arbeitet seit Jahrzehnten für das UN-Flüchtlingshilfswerk und leitete zuletzt das größte Fluchtlager in Jordanien. Etwas juristischer formuliert es die frühere Richterin am Bundesverfassungsgericht Gertrud Lübbe-Wolf:34 »Ein wirksames transnationales Schutzsystem mit den notwendigen Verteilungs- und Schutzmechanismen steht noch aus.«

      Der Syrien-Konflikt steht modellhaft für eine strategische Herausforderung: Ein starkes Bevölkerungswachstum – Syriens Einwohnerzahl verfünffachte sich seit 1960 –, eine klimabedingte mehrjährige Dürre und eine langjährig mangelhafte Politik bilden ein gefährliches Pulverfass.35 Diese Konstellation findet sich potenziell in immer mehr Regionen. Auch in diesem Jahrhundert wächst die Weltbevölkerung nach UN-Berechnungen immer weiter, insbesondere in brüchigen Staaten. Die heute in Afrika lebende eine Milliarde Menschen wird sich etwa vervierfachen.36 Parallel wird voraussichtlich ein großer Teil der fruchtbaren Böden durch Klimawandel und Misswirtschaft verloren gehen. Ein Drittel Afrikas läuft Gefahr, zur Wüste zu werden.37 Vielleicht werden wir uns, gesprochen mit den Worten des Direktors des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Rainer Klingholz,38 »nach der heutigen Flüchtlingsdebatte zurücksehnen«. Falls es so weit kommt, verdanken wir es dem bisherigen Weltmanagement: Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung bilden keine Einheit.

      Viele Regierungen strengen sich an, doch viele befürworten gemeinschaftliche Ziele nur verbal und lassen sie dann konkret unterfinanziert: »Goals yes, contribution no.« Dieses Verhalten »Ziele ja, Beitrag nein« prägt zahlreiche globale Trends, sowohl aufseiten der Industrie- wie aufseiten der Entwicklungsländer. Selbst wenn Regierungen öffentlichkeitswirksam etwas zusagen, bleibt oft unklar, ob und wann es eingehalten wird. Ein Beispiel ist die globale Entwicklungszusammenarbeit. Im Jahr 2013 investieren die Industriestaaten durchschnittlich 0,3 % des Bruttosozialproduktes in die Entwicklungszusammenarbeit.39 Die seit Jahrzehnten bestehende Selbstverpflichtung lautet jedoch auf 0,7 %. Deutschlands Verhalten mit 0,38 % kommentiert Germanwatch:40 »Bereits 1972 hatte die Bundesrepublik in der UN-Vollversammlung versprochen, alles Erdenkliche dafür zu tun, um das 0,7 %-Ziel bis 1975 zu erreichen. Die nie eingehaltene Zusage wurde in der Folgezeit häufig erneuert; schließlich wurde das Ziel in den Millennium-Entwicklungszielen (MDGs) im Jahr 2000 ›endgültig‹ auf 2015 festgelegt. Doch obwohl das Versprechen auf allen relevanten Gipfeltreffen und in allen EU- wie UN-Gremien ständig bestätigt und in sämtlichen Koalitionsabkommen erneut festgeschrieben wurde, ist es von Deutschland nie eingehalten worden.« 2014 (0,42 %), 2015 (0,52 %) und 2016 steigt die deutsche Quote: Die Kosten für Flüchtende im ersten Jahr ihres Aufenthalts gelten als Entwicklungszusammenarbeit, ebenso wie die Kosten für ihre Abschiebung. »Deutschland wird damit selbst zum größten Empfänger seiner eigenen Leistungen für die Entwicklungszusammenarbeit«, deutet die entwicklungspolitische Dachorganisation VENRO den Anstieg.41 Unter die Quote für Entwicklungszusammenarbeit fallen u.a. auch Verwaltungskosten des Geldgebers, also Gehälter und laufende Kosten des zuständigen deutschen Ministeriums, sowie rechnerische Studienplatzkosten der deutschen Hochschulen für Studenten aus Entwicklungsländern, auch wenn diese hierbleiben und den deutschen Wohlstand mehren.42

      Kaum jemand bezweifelt also die Bedeutung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Menschheit für unsere Zukunft. Doch wer wird systematisch ihre Realisierung vorantreiben? In New York erklärten die Regierungen, was sie erreichen möchten. Zwei Monate zuvor, in Addis Abeba, legten sie bereits dar, wie sie es tun wollen.43 Diese Addis Abeba Action Agenda »wird weder den aktuellen globalen Herausforderungen gerecht, noch enthält sie die notwendige Führung, Ambition und praktische Aktivität«, resümiert die Koordinierungsgruppe der teilnehmenden Zivilgesellschaft.44 »Sie ist fast völlig befreit von zu erbringenden Leistungen … offenbart eine unüberbrückte Lücke zwischen der Rhetorik des Anspruchs und der Realität der Handlungen.« VENRO folgert:45 »Wie die Weltgemeinschaft mit dem Aktionsplan von Addis Abeba einen nachhaltigen Entwicklungsweg einschlagen will, ist schleierhaft. Konkrete und verbindliche Finanzierungszusagen für nachhaltige Entwicklung und zur Bekämpfung des Klimawandels sucht man im Abschlussdokument vergeblich.«

      Die Konferenz in Addis Abeba scheiterte beinahe an der Forderung nach einer globalen Steuerkommission bei den UN. Sie sollte die Maßnahmen gegen Steuerflucht und illegale Gewinntransfers von Unternehmen besser koordinieren. Insbesondere

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