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Mehr hat sich nicht getan? Das, ungefähr, ist die Vorstellung, die Mark Fishers Lamento über die »Haun­tologie« des Pop zugrunde liegen. Aber dass etwas passiert hat Gründe, und genau so hat es Gründe, wenn nichts passiert oder eben, schlimmer noch, nur noch Gespenster sind, wo einst das Leben war.

      Die Dialektik von Pop und Kulturindustrie findet sich in einer Idee Antonio Gramscis wieder, in der Konstruktion von Alltagsverstand und den Kämpfen um Hegemonie, und mit Gramsci will ich auch versuchen, den Beziehungen von Pop und Politik auf die Spur zu kommen. Popkultur ist unter anderem, was einst Religion war. Das heißt ein Wahnsinnsvorrat an Poesie, Phantasie und Vergnügen, und ein Wahnsinnsvorrat an Verblödung, Unterdrückung und Angst. Wenn man das eine anschaut, ohne vom anderen zu wissen, begeht man einen Riesenfehler. Aber beides geht, womit wir an Mark Fisher anknüpfen, in einen Zustand des Gespenstischen über. Neben die Eroberung des Wirklichen tritt die Entwirklichung. Pop und/oder Kulturindustrie haben nicht nur die Welt, sondern auch den Himmel und vor allem die Hölle besetzt. Sie wollen den Alltagsverstand, den sie formten, einfach nicht mehr loslassen.

      Also geht es um einen Versuch, mit erhobenem Haupt durch die von Pop besetzte und von Pop beseelte Welt zu gehen. Durch eine konstruierte Welt. Und sich den Gespens­tern zu stellen. Es ist ein Versuch, ein Essay, eine Skizze, eine Sammlung von »Vorschlägen«, wie Bert Brecht so etwas genannt hätte. Hier geht es nicht ums Rechthaben oder ums Sortieren der Guten und Bösen (ein paar von den Bösen werden auch beim Namen genannt), sondern darum, auszuprobieren, wohin und wodurch man noch frei denken kann. Mit Pop. Trotz Pop.

      II

      Unterdrückung lässt sich nur schwer erkennen in solchen Systemen, wo sie total ist. So konnte kaum ein kritischer Geist in der Glanzzeit des römischen Reiches das Imperium statt als Weltordnung als Unterdrückungsapparat beschreiben, kaum einer konnte im christlichen Mittelalter die Religion als Herrschafts- und Machtinstrument erkennen, statt als kosmologische Wahrheit (mit prekären Elementen, um die es zu kämpfen gilt, und wenn man dabei ein paar Ketzer ermorden und ein paar Hexen verbrennen muss), oder, um ein Beispiel aufzugreifen, das Michel Foucault verwendet: Die Biologie des 19. Jahrhunderts war unfähig, die Wahrheit der Mendelschen Erbgesetze zu erkennen, weil sie dazu nicht einmal die begrifflichen Instrumente hatte. Mendel sagte die Wahrheit, schreibt Foucault, »aber er war nicht ›im Wahren‹ des biologischen Diskurses seiner Epoche«.

      Wenn man etwas verändern will, genügt es also nicht, eine Wahrheit auszusprechen, so sehr diese auch den Grundgesetzen von Logik und Erfahrung entsprechen mag, sondern man muss zur Konstruktion des Wahren in seiner Zeit und seiner Gesellschaft vordringen. Nun ist allem Anschein der Neoliberalismus als politisch-ökonomische Weltanschauung drauf und dran, eine solche Totalität zu entfalten, der gegenüber die Wahrheit nichts ausrichtet, weil man sich damit nicht im Wahren der Diskurse und der Bilder – nicht im Pop – befindet. Wie kann man seine Herrschaft als etwas anderes als das Normale begreifen, ob man es nun mag oder nicht, das »Alternativlose« und das auf ewig kleinere Übel? Wie das römische Imperium oder das Christentum oder dass alte biologische Weltbild, muss man auch den Neoliberalismus nicht einmal besonders mögen, um an ihn zu »glauben«, man muss nicht einmal den Namen nennen (und der Neoliberalismus ist selber, wie alle Religionen um ein Nicht-Sagbares und Unsichtbares aufgebaut) und für das, was zwischen Abscheu und Fatalismus an Energie entwi­ckelt wird, gibt es den Karneval und das Militär bzw. die Polizei.

      Im Neoliberalismus, dem Imperium des Kapitals, dem kapitalistischen Totalitarismus, wird die Klassengesellschaft von ehedem in der bürgerlichen Gesellschaft nicht aufgehoben, sondern transformiert. Das Triumvirat der Eliten, die ökonomischen, die politischen und die kulturellen Eliten, hat sich aufgelöst, und nicht anders erging es ihren Objekten, euphemistisch »das Volk« genannt, besser beschrieben als das Durcheinander der Unterdrückten und der Ausgebeuteten zwischen Angestellten, Lohnabhängigen und Prekariat. Eine Klassenzugehörigkeit zum Kleinbürgertum beispielweise sagt allein nicht mehr viel aus; politischer Einfluss, ökonomischer Anteil und kulturelle Distinktion lassen sich nicht mehr synchronisieren. Naheliegenderweise erhalten Kultur im allgemeinen und Popkultur im besonderen in dieser Post-Klassengesellschaft (die zugleich eine aufgelöste und eine verschärfte Variante der Klassengesellschaft ist) eine andere Funktion. Das versprochene Ideal war es, dass sich Kultur nun in einen solch gewaltigen Selbstbedienungsladen verwandeln würde, dass sich jeder daraus holen könnte, was er oder sie braucht, um mit sich und anderen »identisch« zu werden oder wenigstens genug Spaß zu haben, um weitermachen zu können. Das hieß praktisch: Man muss es sich natürlich leisten können. Deswegen kann sich der eine auf dem hysterischen Kunstmarkt bedienen und die andere muss sich, was sie an Kultur braucht, aus dem 1-Euro-Laden holen. Nur ohne eine solche Kultur kann und darf niemand leben. Diese Welt ist im Innersten davon zusammengehalten.

      Aber nicht einmal dieses ideale und zynische Modell von (Pop-)Kultur im Neoliberalismus stimmt. Denn Kulturwaren sind eben nicht nur Produkte, die man verbraucht, wie die Cornflakes aus der Schachtel mit den Spiderman-Figuren, sondern es sind Praxis-Zeichen, mit denen man mit anderen kommuniziert. Klar kann ich Chopin oder Throbbing Gristle hören, wenn sonst niemand da ist, aber die Räume, die das eine wie das andere aufmacht, sind doch immer gemeinsame Räume, und nichts kann mir etwas sagen, was nicht wenigstens imaginär auch anderen etwas sagt. Natürlich ist Pop daher immer auch ein Wir-und-die-anderen. Das Problem aber liegt genau in diesem »und«. Es kann von wütender Exklusion bis zur Lust am Vieldeutigen reichen, temporär (wir Jungen), dispositiv (wir Kenner) oder auch kategorisch sein (Nationalpop, Ultra etc.), es kann spielerisch oder militant, dynamisch oder verpanzert, offen oder geheim sein. Aber jedes noch so kleine Stück Popkultur ist gleich auf zwei Arten politisch. Zum einen, indem es eben diese Differenz zwischen den Angesprochenen und Nicht-Ange­sprochenen (den Eingeweihten oder Nicht-Eingeweihten), zwischen einem Innen und einem Außen erzeugt, im schlimmsten Fall den zwischen Freunden und Feinden, und zum anderen, indem es Teil der Alltagswahrnehmung, des alltäglichen Wissens und der alltäglichen Diskurse wird: Teil dessen, wovon man sprechen kann (im Gegensatz zu den Dingen, über die man einverständig schweigt), Teil dessen, worin man sich verständigt, was richtig, schön, vernünftig und akzeptabel ist und was nicht, Teil des Wissens, aus dem am Ende die Verteilung der Macht entsteht, als Zuschreibung oder als Akzeptanz (billigend oder in diesem eben durch die populäre Kultur erzeugten Wissen von der eigenen Ohnmacht), als Erwartung, als Hoffnung und als Definition eines Raums der möglichen Kritik.

      Pop also bildet den Alltagsverstand und begrenzt ihn zugleich; und daher heißt es, wenn man behauptet, Pop und Politik seien mehr oder weniger die zwei Seiten ein und derselben Sache geworden (Pop als politisches Steuerungsmittel, Politik als popförmiges Edutainment), beides dialektisch zu trennen: Eine endgültige Verschmelzung – wie in einem Trump-Wahlkampf – findet dort ihre Grenzen, wo beides ihr Außen, ihre Wildnis, ihre Metaphysik aufweist. Pop ist zugleich Politik und die Erlösung von Politik; Politik ist zugleich Pop und die Erlösung von Pop. Ein Seitenprodukt dieser Beziehung ist: Anti-Politik und Anti-Pop. Man kann auch sagen: Gespenster-Politik und Gespenster-Pop.

      Ein Erbe der bürgerlichen Gesellschaft ist die Einteilung von »Hochkultur« und »Massenkultur«; in der simplen Abbildung sieht das so aus: Die einen lesen Thomas Mann und die anderen die »Lore-Romane«, die einen hören Wagner und die anderen die Zillertaler Schürzenjäger, die einen gehen ins Theater und die anderen glotzen fern. Und zwischen beiden gibt es nichts als Verachtung; es ist keineswegs so, dass nur die »Hochkulturler« die »Massenkulturler« verachten, mindestens genau so groß ist die Verachtung, die das Populäre gegenüber dem Gebildeten entfaltet; da bildet sich der Gegensatz zwischen Volk und Elite noch einmal ab. Bloß dass die »Hochkultur« eben nicht mehr dringlich an eine politische und (vor allem) ökonomische Elite gebunden ist, sondern viel eher an eine hoffnungslos veraltete, halbfiktionale und lächerliche Minderheit des »Bildungsbürgers«. Ein Bekenntnis zum »Bildungsbürgertum« ist unmöglich geworden; es ist historisch abgeschlossen, es ist der fatale Versuch, etwas besseres zu sein, es ist ein Affront gegen »das Volk«, und für die Karriere ist es auch eher hinderlich als förderlich. So wie also »das Linke« sich von einem sozialen Erfahrungs- und Handlungsort entfernt hat, um zu einem abstrakten moralischen Gegenstand von »Haltung« zu werden, so hat sich Kultur – als Medium von Aufklärung und Kritik vom Bürgertum einst modernisiert – von einem Klassenbewusstsein (und hier und da sogar

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