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Es gibt Open-Air-Kino und Konzerte, u. a. spielten hier Erdmöbel, Robert Forster und Judith Holofernes, es gibt Flohmärkte, Spielaktionen für Kinder und im Winter sogar eine Eisbahn.

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       FÜNFE GERADE SEIN LASSEN

       ABER NUR WENN DIE KÖLNER*INNEN ES WOLLEN

      Seit ein paar Tagen ist Ulla nun in Köln, der aufregenden Stadt am Rhein. Mit einem einzigen Koffer ist sie angekommen. Darin: Sommersachen, Sandalen, Sneakers, Unterwäsche, Hygieneartikel, Laptop und Kameraausrüstung. Wären in ihrem Gepäck nicht auch die Kieler Sprotten, der Holsteiner Katenschinken und die Flasche Köm, könnte sie wirklich im Urlaub sein. Die holsteinischen Spezialitäten sind Geschenke ihrer Freundinnen. Damit Ulla ihre Mädels nicht vergisst. Wie könnte Ulla! Ihre Familie und ihre Freund*innen sind das, was ihr am meisten fehlen wird.

      Bevor trübe Stimmung aufkommt, verlässt Ulla die Wohnung. Behängt mit ihrer Kamera, erkundet sie die Nachbarschaft. Agnesviertel, so heißt die Gegend hier. Das weiß Ulla ganz genau. Denn sie hat »Agnesviertel« so oft von Stefan gehört, dass es on top ihrer meistgehörten Wörter des letzten halben Jahres gelandet ist. So lange kennt sie Stefan.

      Als sie ihn gefragt hatte, wo genau er in Köln wohne, hatte er mit Stolz in der Stimme geantwortet: »Im Agnesviertel«, und sie erwartungsvoll angesehen. Ulla wusste nicht, was sie sagen sollte. Agnesviertel?! War das was Besonderes? Sie hatte keinen blassen Schimmer, wollte sich aber auch auf keinen Fall blamieren. Vielleicht war es das heimliche Szeneviertel Kölns, allen Insidern natürlich bekannt. Und sie, die Influencerin, die quasi per Definition Trends setzt und selbstverständlich immer voll im Trend ist, kannte den place to be nicht? Ging gar nicht. Also gab sie vor, Bescheid zu wissen, lächelte nett und wechselte das Thema.

      Natürlich recherchierte sie umgehend im Internet. Doch was sie fand, war nicht der Rede wert. Viel Geschichte, aber weit entfernt von Hotspot, place to be und Geheimtipp. Mit anderen Worten: nichts, was sie sich merken müsste. Doch für Stefan schien »Agnesviertel« einen magischen Klang zu haben. Egal wer nach seinem Wohnort fragte: Zuerst kam Köln, dann Agnesviertel, nie der Straßenname oder irgendwelche Bezugspunkte in der Nähe. Zum Beispiel ein Museum, eine Bar, ein Club.

      Jetzt steht Ulla selbst im Agnesviertel. Es ist hübsch, lebendig und einladend. Überall kann man draußen sitzen. Selbst Bäckereien haben Stühle und Tische auf dem Bürgersteig stehen. Ein bunter Mix an Geschäften. Supermarkt, Drogerie, aber auch viele kleine Boutiquen, Buch- und Blumenläden, Metzger, und es gibt sogar einen Markt auf dem Kirchvorplatz. Wie auf dem Dorf, denkt Ulla und muss lächeln.

       GEWEIHTE LIEBE

      Die Kirche St. Agnes ist die Namensgeberin des Viertels und nach dem Dom die zweitgrößte Kirche Kölns. Sie entstand aus Liebe. Im wahrsten Sinn des Wortes. Anfang des 20. Jahrhunderts ließ der Kölner Bauunternehmer Peter Joseph Roeckerath die Kirche errichten. Kurz zuvor war seine geliebte Ehefrau Agnes gestorben, nachdem die beiden 23 Jahre verheiratet gewesen waren. Die Kirche sollte ihre letzte Ruhestätte werden. 1913 wurde die Kirche durch den Kölner Erzbischof der heiligen Agnes geweiht.

      Ulla lässt sich treiben. Sie folgt den Fotomotiven. Entlang der Alleen mit ihren prächtigen Altbauten, durch die Hülchrather Straße, in der der Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll zwanzig Jahre lang wohnte. Und dann landet sie im Rosengarten.

       ROSENKAVALIER

      Der Rosengarten verdankt seine Existenz dem Rosen-Fan und damaligem Oberbürgermeister der Stadt, Konrad Adenauer. Dass der Garten auch noch auf einem Dach liegt, hat ebenfalls mit Adenauer zu tun.

      Das Dach gehört nämlich zur Festungsanlage Fort X, 1825 fertiggestellt und von Friedrich Wilhelm III. eingeweiht. Seitdem heißt es Fort Prinz Wilhelm von Preußen. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte es abgerissen werden, doch Adenauer machte sich dagegen stark. Fort X blieb und wurde nach den Plänen des Gartenarchitekten Fritz Encke zum grünen Fort umgewidmet. In den äußeren Festungsgraben ließ er Bäume setzen und auf dem Dach den Rosengarten anlegen.

      Heute ist die Fläche fast 100 Hektar groß. Über 50 Rosensorten wachsen hier. Darunter gibt es besondere Züchtungen wie die Peter-Frankenfeld- oder die Hamburger-Deern-Rose.

      Stunden später und bei bester Laune kehrt Ulla heim. Sie hat viele Fotos geschossen und den Kopf voll kreativer Ideen für ihren Internetblog. Im Briefkasten ist Post. Ulla nimmt sie heraus. Werbung und eine Benachrichtigungskarte. Ulla hat ein Päckchen bekommen, das sie bei der Post abholen kann. Am nächsten Tag. Ein Päckchen? Ulla hat nichts bestellt. Vielleicht aus der Heimat? Von ihren Eltern? Oder von den Freundinnen? Sie platzt vor Neugier.

      Endlich. Der nächste Morgen. Ulla ist eine Viertelstunde zu früh. Die Postfiliale hat noch geschlossen. Also noch schnell einen Kaffee trinken, und nichts wie hin. Sie ist die erste Kundin. Strahlend begrüßt sie den älteren Postbeamten mit dem größten Hufeisenschnäuzer, den Ulla im Leben gesehen hat. Doch für Staunen ist keine Zeit. Ulla legt die Abholkarte auf den Tresen. Der Herr nimmt sie stoisch an, schlappt in einen hinteren Raum und kehrt nach gefühlten Ewigkeiten mit einem Päckchen wieder. Kaum hat er es auf den Tresen gelegt, will Ulla es nehmen.

      Da schnellt die Hand des Beamten hervor, reißt das Päckchen an sich, und es brummt unter dem Schnäuzer: »Wat jitt dat, wenn et fädich es?« (Was wird das, wenn es fertig ist?)

      Ulla versteht kein Wort. »Was?«

      Der Beamte rollt mit den Augen. »Personalausweis.« Auffordernd sieht er Ulla an.

      Okay, geht doch. Das war klar und deutlich. Sie nestelt ihren Perso aus dem Portemonnaie.

      Der Postbeamte studiert ihn, schüttelt den Kopf und brummt: »Der ist nicht mehr gültig.«

      Tatsächlich, ihr Personalausweis ist vor einem halben Jahr abgelaufen. Das war ihr gar nicht aufgefallen. Andererseits aber auch kein Beinbruch bzw. kein Grund, ihr das Päckchen nicht auszuhändigen.

      Der Postbeamte sieht das anders.

      Ulla zeigt ihm ihre Kreditkarte, ihre Mitgliedskarte vom Fitnesszentrum in Itzehoe, ihre Krankenversicherungskarte. Überall steht ihr Name drauf. Sie argumentiert, protestiert, flucht und fleht. Umsonst. Der Beamte nimmt ihr Päckchen und schlappt damit wieder in den hinteren Raum.

      Die ältere Kundin hinter Ulla hat das Drama mitbekommen und lacht mitfühlend. »Mädche, kennste net unser Jrundjesetz, Artikel 1?« (Mädchen, kennst du nicht unser Grundgesetz, Artikel 1?)

      Ulla blickt die Dame ungläubig an. Jrundjesetz? Also Grundgesetz? Ja, Ulla kennt es und auch Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

       Leck mich en de Täsch, wat für ’n Malör

      Das stimmt. Nur meint die Dame nicht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, sondern et kölsche Jrundjesetz, also das kölsche Grundgesetz. Seine Gesetze zu kennen ist in Köln quasi überlebenswichtig.

      Herkunft und Alter des kölschen Grundgesetzes sind übrigens unbekannt. In seinem Artikel 1 heißt es: »Et es, wie et es.« (Es ist, wie es ist.) Die Dame wollte Ulla damit sagen, dass sie sich mit der Situation abfinden muss, denn sie kann sie nicht ändern. Der Postbeamte hatte eben die besseren Karten. Er war im Recht. Jammern oder sich aufregen wäre reine Zeitverschwendung.

       Schwaadschnüss

      Das kölsche Grundgesetz besteht aus mundartlichen Redensarten, die die besondere Lebenseinstellung der Kölner*innen widerspiegeln. Die Leute hier lassen sich nichts sagen, erst recht nicht von irgendwelchen Obrigkeiten. Sie nehmen ihr Leben mit großer Gelassenheit und einem tief verwurzelten Humor, weshalb man auch von der

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