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tapfer. Sehr tapfer!« Anerkennend tätschelte Dr. Jenkins, der bekannte Zahnarzt in Dresden, Florence’ Arm. Er zwinkerte in Henris Richtung. »Deine kleine Frau so zu erschrecken …«

      Henri prostete ihm zu. »Ein kleiner Spaß.« Er zog genüsslich an seiner Zigarre. »In den Armen dieser Dame aus Paris wäre ich auch gern eine Schlange …«

      Newell Sill Jenkins lachte, dann zog er Henri beiseite und wurde leise. »Die Dame ist mir anvertraut worden. Kein Scherz. Mein Kollege Dr. Evans aus Paris hatte mir geschrieben, dass ich mich um sie kümmern solle, hier in Dresden. Das Fräulein ist … wie sag ich es am besten? Also, sie ist seine Geliebte. Evans sagt, Méry – so heißt sie – sei sehr kultiviert …« Er räusperte sich und sah sich um. Die beiden Männer standen an die Wand gelehnt, während Florence sich ein paar Meter entfernt mit Clara, der Ehefrau von Jenkins, und ihrer Freundin Minna unterhielt.

      Henri blickte einem Rauchkringel seiner Zigarre nach. »Aber warum muss sie dann als Schlangenfrau auftreten?«

      »Sie ist wohl von Haus aus Schauspielerin und Tänzerin und liebt es, auf der Bühne zu stehen. Das hat mir Evans geschrieben.« Der zweite Gong ertönte. Die Pause ging zu Ende.

      »Auf den Plakaten stand, sie kommt vom Folies-Bergère«, erwiderte Henri. »Man hört viel von diesem Theater! Da treten die schönsten Frauen auf. Sieht man ja.«

      Jenkins seufzte. »Aber wir sind hier in Dresden. Nach der Schau bitten wir die Dame auf ein Glas Champagner in eine Weinstube, schicken unsere Frauen nach Hause und sagen, dass wir zwei noch etwas zu besprechen hätten.«

      Henri nickte und strich über seinen schwarzen Vollbart.

      Die beiden Männer schlenderten zurück.

      »Na, was habt ihr zwei da ausgeheckt?« Clara Jenkins zog eine Augenbraue in die Höhe.

      »Gar nichts, mein Darling. Aber Henri und ich müssen noch etwas besprechen. Wir wollen uns nach der Vorstellung kurz zusammensetzen. Dann nimmst du dir mit Florence eine Droschke, und ihr fahrt schon einmal nach Hause.«

      Florence drehte sich um. »Nein, Henri soll mit mir kommen. Sonst wird es wieder so spät. Und dann trinkst du so viel.« Sie hakte sich bei ihrem Mann ein.

      »Flossie, bitte überlass das mir!« Henris Stimme klang streng.

      »Es geht um die Sache mit dem Ehepaar Thomas«, sprang ihm Newell Jenkins bei.

      Florence blieb stehen. »Cecelia? Die Arme kann sich nirgends mehr blicken lassen.«

      »Na, arm dran sind doch wohl eher die vielen Toten und Verwundeten, die ihr Mann auf dem Gewissen hat«, sagte Henri.

      »Ja, grauenhaft. Man macht sich gar keine Vorstellung«, murmelte Florence. »Aber Cecelia bleibt meine Freundin. Sie kann nichts dafür, dass ihr Mann ein solcher Schuft ist und so viele Menschen mit seinem Bombenfass in den Tod gerissen hat.«

      »Das müssen wir hier nicht klären. William King Thomas hat mit seiner Tat ein ganz schlechtes Licht auf uns alle hier geworfen. Die gesamte amerikanische Kolonie in Dresden muss nun ausbaden, was sich dieser Bösewicht ausgedacht hat«, erwiderte Henri und seine Stimme wurde lauter: »Da müssen wir uns positionieren. Als Amerikaner in dieser schönen Stadt. Sonst stehen wir alle unter Generalverdacht, so wie man es in den vergangenen Tagen schon in den Zeitungen nachlesen konnte. Jedenfalls wollen Newell und ich gleich noch überlegen, was wir als amerikanische Gäste in Deutschland machen können, um zu zeigen, dass wir alles andere als Schwerverbrecher und Massenmörder sind.«

      Die Paare trennten sich und gingen zurück in den Saal.

      Die traurige Flöte setzte ein. Und die Trommel.

      Die Schlangenbeschwörerin trat langsam in die Mitte der Bühne. Dieses Mal bestand ihr Kostüm aus einem grobmaschigen Netz – verziert mit funkelnden, hellgrünen Steinchen und einer Haube auf dem Kopf aus lauter glitzernden Perlen. Florence schnappte nach Luft. In ihren Schläfen klopfte es. Das war nicht der Champagner, das war diese unmögliche Frau mit ihren widerlichen Schlangen. Sie fühlte, wie eine Migräne herannahte. Wie eine von diesen Riesenschlangen, dachte sie und betupfte ihre Stirn mit etwas Pfefferminzöl. Henri bekam davon nichts mit. Seine Augen waren fest auf die Tierbändigerin gerichtet. Er bewunderte den unbekannten Zahnarzt in Paris, der sich eine solche Geliebte leisten konnte.

      Es schneite. Die meisten Droschken vor dem Varieté-Theater in der Waisenhausstraße hatten sich schon in Bewegung gesetzt. »Henri, es wäre mir wirklich lieber, du würdest mit mir kommen. Sieh doch nur, wie es schneit.« Florence hakte sich bei Ihrem Mann unter.

      Clara Jenkins steckte ihre Hände vorsorglich in den Pelzmuff. »Newell, ich bin ganz Florrys Meinung. Ich weiß nicht, was es Bedeutendes gibt, dass ihr unbedingt heute zu später Stunde noch besprechen müsst. Vertagt es! Lass uns aufbrechen!« Sie sah ihn streng an.

      Newell Jenkins wischte über den Rand seines Zylinders. Er seufzte. »Ihr habt ja recht. Es ist nur so …«, er warf Henri einen zerknirschten Blick zu. »Wir müssen uns um jemanden kümmern.« Und er erzählte von der Bitte seines Kollegen aus Paris, sich der schönen Schlangenfrau anzunehmen.

      Florence war mit einem Schlag hellwach. Ihr Kopf dröhnte noch immer. Jetzt wollten sich die beiden Männer doch allen Ernstes mit dieser Halbwelt-Dame durch Dresden schlagen. Auch Clara Jenkins schlug die Hand vor den Mund. »Newell. Ich bin entsetzt!«

      Der Zahnarzt war zerknirscht. »Aber was soll ich denn tun? Thomas Evans hat mich ins Vertrauen gezogen. Ich kann ihn nicht enttäuschen. Er ist in Paris eine absolute Instanz, was zahnmedizinische Belange angeht. Er behandelt die Zarenfamilie, den bayerischen König und andere gekrönte Häupter in ganz Europa. Clara, vielleicht öffnet er auch mir die Tür zu solch hochkarätigen Patienten.«

      Clara schüttelte den Kopf: »Bei dir sperrt die gesamte sächsische Königsfamilie den Mund auf. Reicht das nicht?«

      »Pscht. Nachher hört uns noch jemand! Es ist sozusagen eine kollegiale Anfrage. Man muss da gar nichts hineingeheimnissen.«

      »Mit einem so prominenten Kollegen sollte man es sich nicht verscherzen«, sprang ihm Henri bei, der darauf hoffte, den Abend in französischer Gesellschaft fortsetzen zu können.

      Die Runde schwieg betreten. Florence fröstelte. Sie überlegte. Natürlich war die Heimlichtuerei der Männer empörend, gleichzeitig war sie neugierig, einen Blick in eine gänzlich verbotene Welt zu werfen. Sie räusperte sich. »Henri, Newell, ich habe einen Vorschlag zur Güte. Solange die Dame ihre Schlangen nicht dabeihat und sich etwas mehr überwirft als auf der Bühne, könntet ihr doch in den Rats-Weinkeller gehen. Und um euren Ruf nicht in Misskredit zu bringen, werden Clara und ich euch begleiten.«

      Clara Jenkins warf einen überraschten Blick auf ihre Freundin. »Mit diesem Vorschlag kann ich mich einverstanden erklären«, sagte sie dann etwas förmlich.

      Die Herren sahen einander an. Der Abend nahm eine unerwartete Wendung. Jetzt waren sie unter der Aufsicht ihrer Ehefrauen. Henri musterte Florence ärgerlich.

      Doch die lächelte. Ihre Kopfschmerzen schienen nachzulassen. »Wie gut, dass meine Eltern immer Wert auf französische Konversation gelegt haben. Das wird sich jetzt hoffentlich bezahlt machen.« Sie strahlte Henri an. »Wo bleibt die Schlangendame?«

      Und tatsächlich dauerte es nur ein paar Minuten, bis eine ganz und gar in Fuchspelz gehüllte Schönheit suchend durchs Foyer kam. Newell Jenkins eilte zu ihr und geleitete sie zu der Runde. Mit einem freundlichen Nicken stellte sie sich vor: Méry Laurent sei ihr Name. Sie lächelte charmant. Ihre Stimme war angenehm, etwas tiefer als die der meisten Frauen. Noch immer trug sie Schminke im Gesicht. Aber nicht mehr in so auffälligen Farben wie eben noch auf der Bühne. Sie wirkte jünger als während der Vorführung und gleichzeitig sehr erwachsen, dachte Florence, die es aufregend fand, einer solchen Frau gegenüberzutreten. Clara Jenkins blieb zurückhaltend, wenngleich sie sofort ins Französische wechselte, um dem Besuch aus Paris die Beklommenheit zu nehmen.

      Henri de Meli ließ Méry kaum aus den Augen. Doch seine Französischkenntnisse waren bescheiden. Bis

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