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sahen linker Hand in der Ferne die Wipfel des Elburs – Zeit, die Geschichte des Alten vom Berge einzuflechten, des Scheichs al-Dschebel oder »Gebieters des Gebirges«, des Anführers der Assassinen und Schreckens aller Kreuzfahrer.

      Sie erzählt von einem Fürsten, der seinen Kämpfern für den Fall, dass sie ihm bedingungslos gehorchen würden, den Einzug in das Paradies versprach. Um zu zeigen, dass er seine Zusage zu halten vermag, ließ er den Recken, ohne dass sie es merkten, ein Rauschmittel in den Wein mischen, worauf sie in tiefen Schlummer versanken. Eiligst wurden sie daraufhin in einen Schlossgarten geschafft, in dem sie nach ihrem Erwachen von frivolen Nymphen durch allerlei »Freude und Kurzweil« umturtelt und verwöhnt wurden. Nach einiger Zeit bekamen die Krieger aufs Neue die Droge verabreicht und fielen abermals in einen Schlaf. Und als sie daraus erwachten, fanden sie sich an ihrem Ursprungsort wieder. In Erinnerung aber an den vermeintlichen Schnupperkurs im Paradies schworen sie ihrem Herrscher, »in seinem Dienst zu sterben«.

      Das Märchen schwirrte schon seit einem Jahrhundert durch die Literaturen des Orients und Okzidents und schlug nun bei seiner Aufnahme in die Beschreibung der Welt feste Wurzeln – Wurzeln, aus denen Ableger wuchsen. Philologen wundern sich sporadisch darüber, dass Landsleute Marco Polos wie Giovanni Boccaccio nichts von dem Mann zu wissen scheinen. Aber ist die Tatsache, dass in der achten Geschichte des dritten Tages im Dekameron (um 1350) von einem Pulver gemunkelt wird, wie »es der Alte vom Berge zu gebrauchen pflege«, nicht doch ein Anzeichen dafür, dass der Florentiner den Reisebericht des Venezianers gekannt hat?

      Jedenfalls wurde die Novelle ein produktives Souvenir. Das ging so weit, dass sich Hermann Löns dazu verstieg, für seine Sammlung Mümmelmann und andere Tiergeschichten (1909) eine tränentreibende Fuchs-du-hast-das-Kitz-gerissen-Saga mit dem Titel zu verfassen: »Der Alte vom Berge«. Dass der Fund aus Persien realiter eine Fama war, ein mit Vorsicht zu genießendes Gerücht, räumte Marco Polo selbst ein. Er griff ihn aber auf und verstaute ihn, weil ihm Intermezzi dieser Art Gelegenheit zum Innehalten boten, zum Rasten, wobei sich die Menge der geschilderten Eindrücke geruhsam verarbeiten ließ. Dann konnte es mit frischen Kräften weitergehen.

      Das Trio hatte die unwegsamen Felslabyrinthe Afghanistans rechts liegen gelassen und ritt nun auf Kaschmir (= Kesmur) zu und auf das Hochland des Pamir (= Pamer). »So groß ist die Höhe der Berge, dass keine Vögel in der Nähe ihrer Gipfel zu sehen sind, und wie außerordentlich es auch scheinen mag, es wurde versichert, dass wegen der Schärfe der Luft Feuer, die angezündet werden, nicht dieselbe Hitze geben wie in niedrigeren Gegenden [und] auch nicht so kräftig wirken bei der Zubereitung von Speisen«. Alles dies speichernd, das Gesehene und Gesagte, erreichten sie Kashgar (= Kashcar) im Westen der Wüste Takla Makan. Von hier aus wanderten sie auf der südlichen jener großen Karawanenrouten, die sechs Jahrhunderte später von dem deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen den Namen »Seidenstraße« bekommen sollte. Yarkant (= Karkan) … Hotan (= Kotan) … Qiemo (= Ciarcian) … Qarklik (= Lop) … Dort ließen sie sich aus den Sätteln gleiten und spähten mit Schaudern zurück auf den siedenden Hexenkessel, in dem Menschen, die ihn zu betreten wagen, von bösen Geistern ins Verderben geführt werden: durch lockendes Stimmengesäusel, durch Schreie in Not, durch Pferdegetrappel und Mummenschanz von Gespenstern. »Sie sollen auch zuweilen die Luft mit den Klängen von Musik erfüllen und mit dem Lärm von Trommeln und mit Waffengeklirr, wodurch sie die Reisenden nötigen, sich enger zusammenzuhalten und in strengerer Ordnung zu ziehen. Deswegen halten es die Reisenden auch für nötig, die Vorsicht zu brauchen, bevor sie sich der Nachtruhe überlassen, weit vor ein Signal aufzustellen, welches den Weg zeigt, den sie am anderen Tage weiterziehen wollen, ferner auch jedem Lasttier eine Glocke umzuhängen, damit sie sich nicht so leicht zerstreuen.«

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       Ein weiteres »Porträt« Marco Polos, von dem es keine authentische Darstellung gibt. Holzschnitt von Sebastian Münster, 1544

      Ist es nicht packend und bewegend zu gewahren, dass sich der schwedische Asienabenteurer Sven Hedin bei seinem Treck durch die Takla Makan am 27. April 1895 genau an diese Sätze aus der Beschreibung der Welt erinnert hat? »Es galt, dicht beisammenzubleiben. Verlor man die anderen außer Sicht, so konnte man den Sturm weder durch Rufe noch Flintenschüsse übertönen; man verirrte sich und wäre rettungslos verloren gewesen. Man sah nur das nächste Kamel; die Übrigen verschwanden in einem undurchdringlichen Schleier. Nur ein eigentümlich pfeifender, sausender Ton ließ sich hören, wenn die Milliarden von Sandkörnern vorbeieilten. – Vielleicht waren es diese eigentümlichen Laute, die auf Marco Polos Phantasie einwirkten, da er in seiner Schilderung von den Schrecken der ›großen Wüste‹ schreibt.«3

      Irgendwo in dieser Gegend konnten die drei Sendboten die Spur aufnehmen, die Niccolò und Maffeo Polo vor ungefähr acht Jahren auf ihrem Weg zum Großkhan gezogen hatten. Jetzt war es nicht mehr weit bis Shangdu. Im Norden, so wurde ihnen gemeldet, befand sich zwischen der Takla Makan und der Gobi das Reich der Tangut (= Tanguth). Die Polos beließen es beim Hörensagen und gelangten auf das Gebiet der Uiguren und dort nach Zhangye (= Kampion). »In dieser Stadt blieb Marco Polo mit seinem Vater und seinem Oheim ungefähr ein Jahr, wie es da die Verhältnisse nötig machten.«

      Eine Sprache wie aus einem politischen Bulletin: voller Wörter, aber nichtssagend. Was war geschehen? Hatte Marco, der vor rund einem Jahr, 1272, in Badakhshan (= Balaschan) schon einmal das Bett hüten musste, einen Rückfall erlitten? Oder war die Abordnung aus dem unbekannten Westen, wie Alvise Zorzi in seiner Biographie Marco Polo (1982) vermutet, in die Mühlen der Bürokratie geraten – zumal Kublai gerade einen Krieg an der Südflanke seines Reiches führte und allen Grund hatte, Fremdlingen gegenüber misstrauisch zu sein? Oder hatten sie einen Handel eingefädelt, eine Liebschaft angeknüpft? Wir wissen es nicht.

      Umso genauer sind wir durch das erste Kapitel4 der Beschreibung der Welt über das Eintreffen der drei Wallfahrer aus dem Abendland beim Herrscher der Mongolen informiert: »Als sie sich seiner Person näherten, bezeugten sie ihre Ehrerbietung, indem sie sich an der Türe mit dem Angesichte niederwarfen. Er befahl ihnen sogleich, sich zu erheben und ihm die Umstände ihrer Reise zu erzählen, mit allem, was bei ihrer Unterhaltung mit Sr. Heiligkeit dem Papste stattgefunden. Sie erzählten nun die Ereignisse in guter Ordnung und der Kaiser hörte ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit zu. Die Briefe und die Geschenke vom Papst Gregorius wurden dann vor ihm hingelegt, und nachdem er die Ersteren gelesen, lobte er die Treue, den Eifer und den Fleiß seiner Gesandten, und indem er mit gebührender Ehrfurcht das Öl vom Heiligen Grabe in Empfang nahm, gab er Befehl, dass es mit religiöser Sorgfalt aufbewahrt werden solle. Er bemerkte Marco Polo und frug, wer er wäre. Niccolò Polo antwortete, es sei sein Sohn und der Diener Sr. Majestät. Da geruhte der Großkhan, ihn unter seinen besonderen Schutz zu nehmen, und ernannte ihn zu einem seiner Ehrenbegleiter.«

      Man schrieb den Juni 1275. Mehr als vier Jahre waren die Männer seit ihrem Aufbruch von Venedig unterwegs gewesen.

      Die Länge ihrer Herreise war dem Zeitraum angemessen, in dem sich Niccolò, Maffeo und Marco Polo in der Umgebung des Großkhans nunmehr aufhalten sollten.

      Kublai, dessen Großvater Cinghis Khan durch sein Vorpreschen bis zum Dnjepr die Voraussetzung dafür geschaffen hatte, dass die Horden Ögödais, seines Sohnes und damit eines Onkels von Kublai, im Jahr 1241 bis ins schlesische Liegnitz vorstoßen konnten, wo sie nach ihrem Sieg über Herzog Heinrich II. von Schlesien seltsamerweise den Rückzug aus Europa antraten – dieser Spross aus einem wilden Reitervolk, gebot, wenn auch als Großkhan, nur noch über einen Bruchteil des einstigen Mongolenreichs. In Familien- und Stammesfehden hatten die Nachfahren Cinghis Khans dessen Herrschaftsgebiet vom Gelben bis zum Kaspischen Meer Gezänk um Gezänk zerstückelt, wobei sich Kublai Khan Ostasiens bemächtigt hatte. Im Augenblick des Eintreffens der Polos weitete er mithilfe des Feldherrn Bayan seine Hegemonie von Nordchina (= Kataia) nach Südchina (= Manji) aus. Es war in seinen Augen eine große Zeit.

      Und da der zwanzigjährige Marco die Gunst dieses Fürsten genoss und offenkundig auch von ihm geleitet und gefördert wurde, eignete sich der Jüngling die Perspektive seines Gönners an: Alles um den Großkhan war erlaucht. Alles um den Großkhan war prunkvoll. Alles um den Großkhan war gerecht und

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