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Indienfahrt. Waldemar Bonsels
Читать онлайн.Название Indienfahrt
Год выпуска 0
isbn 4064066118037
Автор произведения Waldemar Bonsels
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Bookwire
Die Schlange umkreiste eine verwundete Ratte, die noch lebte, fuhr aus ihrem verschlafenen Tanz, der alle Wesen bannt, jählings zu und begann das erbeutete Tier zu verschlingen. Ihre Sorglosigkeit und die überlegene Sicherheit ihres Tuns erregte meine Bewunderung in hohem Maße, es war, als wäre sie sich keiner Feindschaft bewußt, die ihr etwas anzuhaben vermöchte. Das Zimmer blieb still, nur von der Decke rieselte bisweilen ein feiner Staub, und die zackigen Lichtornamente am Boden rückten langsam beiseit. Die Erde kreist, dachte ich, mit mir, mit dieser Räuberin, mit den kleinen Sterbenden und Toten dieses Raumes und mit allen, von denen ich durch ein unendliches Meer getrennt bin. Draußen schnarchte Panja, und Elias war an meinem Rücken eingeschlafen. So nahm ich vorsichtig vom Kofferrand eine der großen indischen Landzigarren, die braun wie Torf und feucht wie Erde sind, zündete sie an und wartete auf den Morgen. Meine Gedanken zogen mit den Rauchwolken in die grünliche Dämmerung, und ihr Gegenstand war das Leben der Menschen und Tiere auf der merkwürdigen Erde.
Zweites Kapitel
Cannanore, die Fischer und das Meer
Ehe die Morgendämmerung hereinbrach, trieb es mich hinaus, um den stillen Kampf der roten Morgensonne mit dem grünlichen Silberlicht des Mondes zu sehen. Oft sah ich die einsamen, hohen Palmen am Meer auf der einen Seite in rote Glut getaucht, während die andere noch die silbernen Wahrzeichen des Mondlichts trug, aus dessen kaltem Leuchten sie langsam im Morgenwind zu erwachen schienen. In solcher Licht- und Farbenpracht standen sie gegen das bewegte Meer, dessen Stimmen den heraufeilenden Tag begrüßten.
Aber ich sollte diesen Morgen nicht zur Freude des herrlichen Anblicks gelangen, denn Panja hatte mit mir zu verhandeln.
„Sahib,“ rief er, als ich um Wasser bat, „was ist dies für ein Haus, in welches du eingezogen bist!“
Ich begann es zu beschreiben, aber er unterbrach mich mitleidig.
„Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht!“ rief er, und die herausfordernde Traurigkeit seiner Augen grenzte geradezu an Mißachtung.
„Sieh, Panja,“ sagte ich so freundlich, als es mir möglich war, „ich brauche nun Wasser, bedenke die Sitten meines Landes.“
Da führte mich Panja durch den Garten, ohne noch etwas zu sagen, denn er verzweifelte offenbar daran, mich anders als durch Tatsachen von der Ungerechtigkeit meiner Forderung zu überzeugen.
Die ganze Frische des indischen Frühlingsmorgens umfing uns. Alle Blüten strömten von Tau über, ihre Farben leuchteten im ersten Licht, so daß meine Augen das Entzücken dieser Pracht nicht zu fassen vermochten, und der Geruch von Nässe, Erde und tausend aufbrechenden Blumen ließ mich taumeln vor Glück. Auch über Panja kam dieser Rausch, als risse das irdische Lebensheimweh der Blühenden seine Seele, wie auch die meine, mit sich empor. Er hob die braune Nase in die Luft, lächelte breit in einfältigem Behagen und sah sich nach mir um. Mit allen Sinnen sog er die Frische und das Licht ein, und sein dunkler, nackter Körper glänzte von Tau.
Als wir am Ende des Gartens, dicht beim Palmendickicht, an der Zisterne anlangten, erblickte ich anfänglich nichts als eine turmartige Wildnis von Schlinggewächsen, und erst als Panja die Ranken zerteilte, gewahrte ich die zum Wasserspiegel niederführende Treppe, die wie in eine unterirdische Höhle hinabging. Die zerbröckelten Steinquadern in der Dämmerung waren von seltsamen Moosen übergrünt und fast ganz bedeckt, ein kühler Modergeruch kam mir entgegen, und Panja, der den Eifer seiner Entrüstung vergessen zu haben schien, warnte mich mit einem geflüsterten Wort und sah fast ehrfürchtig drein. Sein braunes Gesicht unter dem weißen Turban schaute aus einer Wolke halboffener, roter Blüten hervor, die so groß wie Kinderköpfe waren. Ein Falter, wie aus blauem Samt, erhob sich schläfrig aus ihrem Ampellicht und zog lautlos davon, in die Pflanzenwildnis hinein.
„Du darfst nicht hinabsteigen,“ sagte Panja, „überall hockt der Tod im halben Licht, hierhin geht er aus dem Tag der Menschen; tritt zurück. Ich habe das Wasser gesehen, es ist grün wie sterbendes Laub und von Pflanzen bedeckt, es trägt Blumen, die niemals ein Sonnenstrahl getroffen hat und die deshalb giftig sind, wie die Schlange und das Fieber, die bei ihnen wohnen.“ Dann besann er sich plötzlich, seine kindlichen Augen verloren ihren andächtigen Ernst und er sagte mit gerunzelter Stirn:
„Solch ein Haus mietest du! Wie lange willst du hier bleiben? Wir reisen nach Bitschapur zurück, ich werde alles in die Koffer stecken.“
Auf dem Rückwege trafen wir Pascha, den Koch, der über die Straße kam und auf das Haus zuging. Einen roten Tonkrug mit Wasser auf der Schulter, schritt er durch die Sonne, die inzwischen aufgegangen war. Aus dem Hause drang Holzfeuergeruch. Pascha grüßte mich mit der freien Hand und schritt stumm an mir vorüber. Mir war zumute, als sei er stolz auf sein Land und auf seine Pflicht, gönnte mir das erste nicht und täte das zweite um seiner selbst willen. In seinen großen, samtartigen Augen, unter den langen Wimpern, verbarg sich sein Verlangen nach den Bergen. Seine männliche Gestalt entzückte mich, ich empfand plötzlich den Namen, den ich ihm zugelegt hatte, als lächerlich und wünschte mir, den seinen zu wissen, nur um ihn vor mich hinsagen zu können, diesen fremdartigen Namen seines fremden Geschlechts aus den Bergen. Mich ergriff aufs neue jene sonderbare Traurigkeit, die mich in Indien nie verlassen hat, und die dem menschlichen Herzen, allem Unerforschbaren gegenüber, eigentümlich ist.
Panjas empfindsamer Sinn für alle meine Regungen, die sein Interessengebiet berührten, ahnte auf seine Weise, daß Paschas wortlose Tätigkeit mir wohlgefiel. Er sagte:
„Diese Hunde aus den Felsspalten haben eine Spürnase für alles Genießbare. Er wird aber vergessen, das Wasser zu kochen, und morgen hast du Fieber, Sahib. Ich werde also nach dem Rechten sehen.“
Er ging ins Haus, und gleich darauf hörte ich Elias klagen. Die Sonnenstrahlen wärmten bereits spürbar, obgleich ihr Licht noch rötlich war. Der Garten dampfte, und Vogelstimmen, mit den ersten Lauten der ausschwirrenden Insekten gepaart, drangen aus der nebligen Morgenschwüle des Dickichts. Ich verließ den gärenden Garten und betrat den rötlichen Sandweg, der unter uralten wilden Feigenbäumen breit dahinführte, auf Cannanore zu, in freierer Luft. Mein Haus lag etwa in der Mitte zwischen der Stadt und dem Meere; um die eine oder das andere zu erreichen, mochte etwa eine Viertelstunde Wegs zu gehen sein. So entschloß ich mich, die Stadt zu einem kurzen Besuche zu betreten, während Pascha den Tee bereitete.
Der breite Weg war fast leer, über Cannanore lag ein bläulicher Holzfeuerrauch, der aus den Palmen stieg, die Ortschaft war ganz von ihnen verborgen, wie die meisten Städte und Dörfer der fruchtbaren malabarischen Küste. Es war so still umher, daß ich das Rauschen des Meeres an den Felsen vernahm, und das Sonnenlicht war von unfaßbarer Milde und Wohltat. Ein Ochsenwagen knatterte langsam heran, die hohen Räder mahlten leise im Sand, und ein Hindu hockte auf der Deichsel, dicht zwischen den Schwänzen der prächtigen, geduldigen Tiere, sein Kinn zwischen den mageren Knien. Er blinzelte scheu zu mir herüber, ohne einen Gruß zu wagen, die gewaltigen Hörner der Ochsen schaukelten gemächlich wohl einen Meter lang über den blendend weißen Rücken.
Am zerfallenen Stadttor erhob sich zur Rechten und zur Linken eine einsame Palme, jene nach rechts, diese ein wenig nach links geneigt und ihre Fächerkronen, über den flachen Dächern der Häuser, zeichneten sich dunkel und deutlich gegen den klaren Morgenhimmel ab, die Stämme waren von der Sonne bemalt, wie mit roter Farbe. Ich sah durch das Tor in die bereits belebte Basarstraße, in der die eiligen nackten oder weiß bekleideten Gestalten sich zwischen den niedrigen Häusern bewegten und die Händler