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      Ursula Isbel-Dotzler

      Nelly - Gefahr im Bärental

      Saga Egmont

      Nelly - Gefahr im Bärental

      Copyright © 1999, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711804568

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Unser Schwarzwaldhof Zum Rössle war vor mehr als hundert Jahren eine Poststation. Damals hielten hier die Postkutscher und wechselten ihre „Rösser“. Die Kutschpferde waren nach den langen Wegen über steile Berghänge, durch Wälder und Täler müde und erschöpft und konnten im Stall des Rösslehofs ausruhen. Sie wurden getränkt und gefuttert, während die Stallknechte frische Pferde vor die Postkutschen spannten. Und in der alten Schankstube, die jetzt unsere Küche ist, gab es Bier und eine warme Mahlzeit für die Postkutscher und ihre Fahrgäste.

      Das ist lange her. Aber unser Hof wird hier im Tal auch heute noch Zum Rössle oder Rösslehof genannt, so wie in alter Zeit, als es noch Postkutschen gab.

      Leise rieselt der Schnee …

      „Geh in Deckung, Nelly!“, sagt mein Bruder. „Gleich dreht er durch!“

      „Der buckelt wie ein Mustang im Wilden Westen!“ Ich lache, und wir retten uns mit den Futtereimern hinters Stalltor. „Das ist alles nur wegen dem Schnee.“

      Es ist ja der erste Schnee in Sammy Langbeins Leben! Denn unser Fohlen Sammy ist in diesem Herbst geboren worden.

      Anfangs hat er nur mit schief gelegtem Kopf dagestanden und total verdutzt nach oben geschaut. Er hat die Zunge herausgestreckt und etwas von dem komischen weißen Zeug probiert, das da vom Himmel fallt. Dann aber hat er plötzlich angefangen, über die Koppel zu galoppieren, kreuz und quer zwischen den anderen Pferden durch. Jetzt stellt er sich auf die Vorderbeine, hebt die Hinterbeine in die Luft, buckelt und rast dann im Kreis herum. Dabei streckt er den Schweif kerzengerade in die Luft.

      Die anderen Pferde schauen ihm zu, genau wie wir. Sammy Langbein senkt den Kopf wie ein kleiner Stier. Er schnaubt und prustet und wiehert und flitzt fünfinal um den Apfelbaum herum.

      „Der flippt total aus!“ Ich lache so, dass ich einen Schluckauf bekomme. Sammy rutscht aus und schlittert ein Stück auf seinem runden Hinterteil über das verschneite Gras.

      „Mann! Wenn wir das jetzt gefilmt hätten, könnten wir den Film ans Fernsehen verkaufen und jede Menge Kohle dafür kriegen“, meint Dani, mein Bruder.

      In letzter Zeit denkt er viel an Geld. Ich weiß auch, warum. Er möchte sich einen Fotoapparat kaufen, eine Spezialkamera, mit der er Aufnahmen von Käfern und Asseln, Spinnen und Nachtschmetterlingen und allerhand anderem kleinen Getier machen kann.

      Ich spare auch, aber für etwas ganz anderes. Etwas, wovon ich noch keinem erzählt habe. In einer Schachtel in meinem Zimmer sind schon zweihundertfünfzehn Mark. Die habe ich mir in den letzten Wochen verdient.

      Ich koche nämlich jetzt für unsere Familie. Das heißt, für meine Eltern und Dani und meine Schwester Emma und mich. Nicht jeden Tag, das wäre zu viel Stress, sondern ungefähr dreimal in der Woche. Dafür kriege ich einen Stundenlohn. Und alle finden, dass ich sehr gut koche, obwohl ich erst seit Oktober in einen Kochkurs gehe.

      Gestern habe ich Gemüse-Burger gemacht. Und eine Riesenschüssel Salat dazu. Vielleicht eröffne ich ja später mal ein Feinschmeckerlokal auf dem Rösslehof.

      Der Rösslehof, das ist unser alter Hof, in dem wir wohnen. Bei uns im Schwarzwald gibt es jede Menge Touristen, nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter, wenn die Skifahrer kommen. Die haben immer Hunger.

      Es wird schon dunkel, als wir die leeren Futtereimer in den Stall bringen. Sammy hat sich ausgetobt. Er steht bei seiner Mutter, der Norwegerstute Sammeli, und saugt an ihrer Zitze.

      Sammy kriegt jetzt schon etwas Zusatzfutter, aber die Stutenmilch braucht er immer noch. Sein hellbraunes, strubbeliges Fell ist länger und dichter geworden. Die Stirn mit der weißen Zeichnung hat er eng an Sammelis Bauch gedrückt.

      Ich streichle Lady, unsere graue Stute, mit der einen Hand und Bessie, die mächtige Schwarzwälder Fuchsstute, mit der anderen. Franzi will auch gekrault werden. Er ist ein Shetlandpony mit einem Kopf wie ein Bärchen.

      Dani holt einen Korb voller Äpfel aus dem Haus. Die zerschneiden wir und geben sie den Pferden. Es ist erst sechs Uhr abends, aber die Dunkelheit bricht jetzt schon früh herein.

      Da ist es schön, ins Haus zu kommen, wo es hell und warm ist und wo der Adventskranz von der Decke hängt. Auch in den Fenstern hängen Kränze aus Tannengrün und Buchsbaumzweigen, die Kathi gebunden hat.

      Kathi ist unsere Mutter. Sie hat die Kränze mit roten Hagebutten und Silberdisteln verziert, mit Anissternen und den kleinen, rotbackigen Nikolausäpfeln aus unserem Garten.

      Meine Schwester Emma sitzt auf dem Küchensofa und tut so, als würde sie Schularbeiten machen. Sie liebt unsere Pferde, aber wenn’s ans Füttern geht, drückt sie sich meistens und behauptet, sie müsste lernen. Oder sie tut, als hätte sie Bauchweh oder Halsschmerzen.

      „Jens hat angerufen“, sagt sie, als wir in die Küche kommen. Dabei schiebt sie blitzschnell etwas unters Sofakissen. Wahrscheinlich ist es ein Buch, aber keines, das mit der Schule zu tun hat.

      „Und?“, frage ich. „Warum hast du mich nicht geholt?“

      „Er ruft später wieder an. Ich hab ihn gefragt, was er will, aber er ist nicht damit rausgerückt.“

      Ich bin sauer. Es gibt ein paar Leute, bei denen ich geholt werden will, wenn sie anrufen. Jens ist einer von ihnen. Emma weiß das genau, aber es ist ihr egal.

      Emma und ich sind zur Zeit nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Das heißt, sie geht mir ziemlich auf den Keks. Und ich ihr vielleicht auch.

      Während wir den Tisch fürs Abendessen decken, überlege ich, was Jens wohl gewollt hat. Dani und ich holen Käse, Brot und Milch aus dem Kühlschrank. Heute habe ich nicht gekocht, ich hatte zu viel für die Schule zu tun.

      Um acht Uhr abends hat Jens noch immer nicht angerufen. Ich überlege, ob ich es bei ihm versuchen soll. Leider habe ich seine Nummer nicht, aber die könnte ich ja über die Auskunft herauskriegen.

      „Was schaust du denn dauernd auf die Uhr, Nelly?“, fragt meine Mutter.

      „Sie erwartet einen wichtigen Anruf“, sagt Dani, ehe ich antworten kann. Dabei grinst er mir zu und wackelt mit den Ohren.

      Ich mag Dani, aber manchmal nervt er mich. „Kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram“, brumme ich.

      In diesem Augenblick klingelt das Telefon. Ich springe auf und düse ins Wohnzimmer. Es ist eine Frau, die nach meinem Vater verlangt. Unser Vater ist Heilpraktiker. Sie sagt, sie hätte eine Süßspeise aus Eiern gegessen, und jetzt hätte sie teuflischen Durchfall, Übel ist ihr auch.

      Ich muss aufpassen, dass ich nicht unfreundlich zu ihr bin. Sie kann ja nichts dafür, dass ich enttäuscht bin, weil sie nicht Jens ist.

      Chris, unser Vater, kommt und redet kurz mit ihr. Dann holt er seine Tasche und sagt, dass er noch mal wegmuss. „Vielleicht wieder ein Fall von Salmonellen-Vergiftung“, sagt er.

      Kaum fällt die Haustür hinter ihm zu, klingelt das Telefon wieder.

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