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Fauntleroy rückte verlegen auf seinem Stuhle hin und her.

      »Es fiel mir eben ein, daß du das vielleicht nicht gerne hörst,« erwiderte er. »Vielleicht ist einer von deinen Angehörigen dabei gewesen. Ich habe gar nicht daran gedacht, daß du ein Engländer bist.«

      »Sprich nur ruhig weiter,« sagte Mylord. »Ich habe keine persönlichen Beziehungen zu der Sache. Du hast wohl auch vergessen, daß du ein Engländer bist.«

      »O nein,« fiel ihm Cedrik rasch ins Wort, »ich bin ein Amerikaner.«

      »Du bist ein Engländer,« erklärte der alte Herr kurz. »Dein Vater war ein Engländer.«

      Die Sache war ihm ziemlich spaßhaft. Cedrik dagegen nahm es sehr ernst. Auf eine solche Auffassung der Dinge war er nicht vorbereitet gewesen, und sein Gesichtchen ward dunkelrot.

      »Ich bin in Amerika geboren,« protestierte er, »und wenn man in Amerika geboren ist, muß man ein Amerikaner sein. Es thut mir leid, daß ich dir widersprechen muß,« setzte er artig und rücksichtsvoll hinzu. »Mr. Hobbs hat mir gesagt, daß, wenn wieder einmal ein Krieg käme, ich ein Amerikaner sein müßte.«

      Der Graf stieß ein kurzes Lachen aus, es klang hart und grimmig, aber es war doch ein Lachen.

      »Und das würdest du thun?« sagte er.

      Er haßte Amerika und die Amerikaner, aber der ernsthafte eifrige Patriotismus des kleinen Mannes ergötzte ihn, und er sagte sich, daß aus diesem guten Amerikaner seiner Zeit ein guter Engländer werden könne.

      Weitere Vertiefung in die Politik ward durch die Meldung, daß aufgetragen sei, abgeschnitten. Cedrik erhob sich sofort und ging zum Großvater hin, mit einem bedenklichen Blick auf dessen gichtisches Bein.

      »Soll ich dir helfen?« fragte er freundlich. »Du kannst dich auf mich stützen, weißt du. Einmal hat Mr. Hobbs einen schlimmen Fuß gehabt, weil ihm ein Kartoffelsack darauf gefallen war, da hab' ich ihn immer geführt.«

      Der feierliche Diener hätte fast seine Stellung und seinen Ruf durch ein unziemliches Lächeln aufs Spiel gesetzt. Es war ein sehr vornehmer Diener, der immer nur in aristokratischen Diensten gestanden hatte und sich vollständig entwürdigt und entehrt gefühlt haben würde, wenn er sich etwas so Unverzeihliches gestattet hätte, wie ein Lächeln in Gegenwart der Herrschaft. Diesmal aber war die Gefahr groß gewesen, und er konnte sich nur dadurch retten, daß er über seines Herrn Schulter hinweg unverwandt auf ein besonders häßliches Bild hinstarrte.

      Der Graf maß den ritterlichen kleinen Knirps von Enkel vom Kopf bis zu den Füßen.

      »Meinst du, daß du das könntest?« fragte er rauh.

      »Ich glaube ja,« erwiderte Cedrik. »Ich bin sehr stark, weißt du, bin auch schon sieben. Du kannst dich auf einer Seite auf deinen Stock stützen und auf der andern auf mich. Dick sagt, daß ich gute Muskeln habe für einen Jungen von sieben.«

      Er streckte den Arm stramm aus, damit der Graf die Kraft seiner von Dick belobten Muskeln sehe, und sah dabei so ernsthaft und wichtig drein, daß der Bediente wieder genötigt war, seine volle Aufmerksamkeit dem häßlichen Bilde zuzuwenden.

      »Wohl und gut,« entschied der Graf, »du sollst's versuchen.«

      Cedrik reichte ihm seinen Stock und half ihm beim Aufstehen. Dies war in der Regel des Bedienten Amt, der dabei manch' derben Fluch zu hören kriegte und oft und viel innerlich vor Empörung knirschte. Heute ging die Sache ohne Fluchen ab, obwohl die Gicht manch bösen Reißer that, allein der Graf wollte nun einmal den Versuch machen. Langsam erhob er sich und legte die Hand auf die schmale Schulter, die ihm so mutig als Stütze geboten wurde. Vorsichtig that Lord Fauntleroy einen Schritt vorwärts und sah dabei sorgfältig auf das kranke Bein.

      »Stütze dich nur recht fest auf mich,« sagte er ermutigend. »Ich will ganz langsam gehen.«

      Wenn der Graf seinen Diener zum Führer gehabt hätte, würde er sich allerdings weniger auf seinen Stock und mehr auf jenen gestützt haben, und doch hielt er es bei seinem Experiment auch für nötig, den Enkel sein Gewicht fühlen zu lassen, das in der That nicht leicht war. Nach wenig Schritten war denn auch das kleine Gesicht dunkelrot und sein Herz fing an, heftig zu klopfen, allein er stemmte sich mächtig gegen des Großvaters Hand und erinnerte sich Dicks Ausspruch über seine Muskeln.

      »Hab nur keine Angst und stütze dich fest auf,« keuchte er, »ich kann es ganz gut, wenn – wenn es nicht zu weit ist.«

      Es war eigentlich kein langer Weg zum Speisezimmer, und doch kam es Cedrik wie eine Ewigkeit vor, bis sie den Stuhl am oberen Ende der Tafel erreicht hatten. Die Hand auf seiner Schulter schien mit jedem Schritte wuchtiger zu lasten, sein Köpfchen ward immer heißer und sein Atem kürzer, allein er dachte nicht daran, seinen Dienst aufzugeben; er machte seine Muskeln ganz steif, hielt sich kerzengerade und sprach dem bedenklich hinkenden alten Herrn Trost zu.

      »Thut dir der Fuß so sehr weh, wenn du darauf stehst?« fragte er. »Hast du ihn nie in heißes Wasser mit Senfmehl gesteckt? Das hat Mr. Hobbs gut gethan.«

      Der große Hund schritt gravitätisch nebenher und der Diener folgte. Mehr als einmal flog ein eigentümliches Lächeln über sein Gesicht, wenn er beobachtete, wie die kleine Gestalt all ihre Kraft zusammennahm und ihre Last so gutwillig trug, und auch des Grafen Blick streifte ein paarmal mit seltsamem Ausdrucke das erhitzte Kindergesicht.

      Als sie das Speisezimmer betraten, bemerkte Cedrik, daß auch dies ein sehr großer, imposanter Raum war, und daß der Diener, welcher hinter des Grafen Stuhl stand, die Eintretenden höchst erstaunt anstarrte. Endlich war der Stuhl erreicht; die Hand löste sich von seiner Schulter und der Graf ward bequem installiert.

      Cedrik zog Dicks Taschentuch hervor und trocknete sich die Stirn.

      »Es ist heiß heute abend, nicht?« fragte er. »Wahrscheinlich mußt du ein Feuer haben wegen – wegen deinem Fuß, nur mir kommt's ein wenig heiß vor.«

      Sein angeborener Takt bewahrte ihn davor, irgend etwas auch nur scheinbar zu tadeln.

      »Du hast soeben ein hartes Stück Arbeit gehabt,« bemerkte der Graf.

      »O nein! Das war gar nicht hart, nur heiß ist mir's geworden,« und damit behandelte er seine feuchten Locken energisch mit dem Taschentuche.

      Lord Fauntleroys Platz am Tische war seinem Großvater gegenüber, ein breiter Armstuhl nahm auch hier die schmale Gestalt auf. Alles, was er bis jetzt gesehen hatte, die hohen weiten Räume, die kolossalen Möbel, die stattlichen hochgewachsenen Diener, der ungeheure Hund und der Großvater selbst, alles war dazu angethan, ihm die eigne Kleinheit vor Augen zu bringen. Dies beunruhigte Cedrik jedoch keineswegs; für sehr groß oder sehr wichtig hatte er sich nie gehalten, und er war mit Freuden bereit, sich auch Verhältnissen anzupassen, die etwas Ueberwältigendes für ihn zu haben schienen. Freilich hatte er kaum je so winzig ausgesehen, als in dem weiten Lehnstuhle an der feierlichen Tafel.

      Trotzdem er so einsam lebte, hielt der Graf seinen Haushalt auf großem Fuße, und das Diner war ein wichtiges Moment in seinem Leben und natürlich auch in dem des Koches, für den die Tage, an welchen Seine Herrlichkeit keinen Appetit hatte, schwere Prüfungen brachten. Heute jedoch schien der Appetit besser als sonst, und die Kritik über die »Entrees« und die Bereitung der Saucen war nicht so gründlich, weil er häufig über den Tisch hinüber nach seinem Enkel blicken mußte. Er selbst sprach wenig, erhielt aber sein kleines Gegenüber gut im Zuge und fand es zu seinem eignen Erstaunen ganz unterhaltend, ihm zuzuhören. Dabei freute er sich im stillen darüber, wie fest er sich auf den kleinen Kerl gestützt hatte, um dessen Mut und Ausdauer zu prüfen, und wie vortrefflich dieser die Probe bestanden.

      »Du hast deine Grafenkrone nicht immer auf?« fragte Lord Fauntleroy bescheiden.

      »Nein,« erwiderte der Graf mit seinem merkwürdig grimmigen Lächeln, »sie steht mir nicht besonders.«

      »Mr. Hobbs hat zuerst gemeint, du werdest sie immer tragen, dann sagte er aber auch, du werdest sie hier und da ablegen, wenn du den Hut aufsetzest zum Beispiel.«

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