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      »Alfred, o, wie er mir leid tut! Sage ihm, daß er dableiben soll, daß ich ihn darum bitte. Keinen Menschen hat er außer uns, der ihm hilft. Und er soll seine Schwester nicht verlassen. In ihrer Not. Sie ist doch seine Schwester, und sie liebt ihn.« Ulrike nahm Roses Kopf zwischen die Hände und küßte sie schweigend. Eine Sekunde sahen sie sich in die Augen. Dann flüsterte Rosmarie:

      »Harro, mein armer Harro! Du mußt noch schweigen, Tante, er erträgt es noch nicht. Und mein Vater! Nie soll er es wissen, nie! Es gibt ihm den letzten Stoß. Ach, kann man denn meinen Vater nicht schonen? Meinen lieben Vater mit seinem weichen, feinen Herzen! Er überlebt es nicht, Tante Ulrike. Und er muß von ihr befreit werden, Ulrike, und ich quäle mich darüber, du weißt, ich konnte mit niemand darüber sprechen. Mit dem Herrn Stiftsprediger hätte ich gern gesprochen. Er darf ja nie wieder sagen, was ihm die Leute beichten. Er hätte mir vielleicht einen Rat geben können. Aber ihr wolltet nicht.«

      Die Tante Ulrike hatte sich mit zitternden Knien gesetzt. »Du wußtest es, Rose, Du?«

      »Ach, vom ersten Augenblick an... Ich sah sie ja, in dem Augenblick, als sie schoß. Ihr Diamant blitzte. Und ich dachte zuerst, sie habe mich nicht getroffen, weil ich nur den Knall fühlte. Und dann wurden mir die Füße schwer, und dann weiß ich nichts mehr... Und darum hatte ich so furchtbare Angst; der schreckliche Mensch, der Landjäger, erforschte es auch, und der arme Vater! Mein armer Vater! Du verstehst doch, Tante Ulrike! Aber man darf sie doch nicht allein herumgehen lassen und im Auto fahren. Und der Herr Professor hat das alles verboten, und nun hat es ein anderer Herr erlaubt, und ich ängstige mich von neuem.«

      »Dann muß es Harro wissen, Rosmarie, und sie muß unschädlich gemacht werden. Der arme Alfred weiß es nun auch, und es hat ihm beinahe das Herz gebrochen.«

      »Geh zu ihm hinauf und tröste ihn, Tante Ulrike!«

      »Rosmarie, wenn du deinen Vater verschonen willst, so muß Harro es wissen. Einer von den Männern muß es wissen. Alfred ist nicht Manns genug, daß er mit ihr fertig wird. Entweder Harro oder dein Vater, Rosmarie. Es ist furchtbar, daß du das jetzt entscheiden mußt, und wir sollen alles Aufregende von dir ferne halten.«

      »Ach, Tante Uli, wenn ich dies überstehe, dann könnt ihr mich überhaupt aus meiner Haft entlassen. Ich muß sterben. Warum wollt ihr nun, so lange ich noch bei euch bin, mich da fern von euch halten? Tante Uli, du darfst nicht zu weinen anfangen, sonst fange ich auch an! Und wir können's gar nicht fertig beweinen, so traurig ist's. Und wir müssen den Kopf beisammen haben. Was hat Alfred heute mit Mama gehabt?«

      »Auf die Wiese muß sie ihn geschleppt haben und ihm vielleicht gesagt, er müsse morgen wieder mit ihr dahin. Er war halb verrückt vor Jammer. Wenn er Schuld hat, dann büßt er jetzt. Rosmarie, dein Harro! Das ist ein Wehe für ihn. Ihre Strafe können wir wahrhaftig unserem Herrgott überlassen. Die bekommt sie. Sie will nicht gelauert, sondern nur im plötzlichen Zorn losgedrückt haben. Ob man's ihr glaubt?«

      »Oh, wenn sie es sagt, gewiß. Furchtbar ist das ... Eine Sekunde und sie hat ihr ganzes Leben zerstört. Aber ihren Haß hatte sie schon vorher. Und ich habe auch meine Schuld daran, das sehe ich jetzt wohl ein. Mein Ring da. Ich hätte Vater zwingen müssen, ihn ihr wieder zu geben ... Nun leide ich und muß auch büßen. Vielleicht, wenn ich nicht so hartnäckig gewesen wäre! O Ulrike, mein armer Harro! ... Wenn Alfred ein Mann wäre ... wenn ... wir zwei Frauen allein!«

      »Ich möchte es dir ersparen, Rosmarie, daß du die Wahl treffen mußt.«

      »Aber Mama darf nicht wieder auf die Wiese gehen, daß es der Landjäger doch erfährt. Du weißt nicht, wie die sind, die Landjäger.«

      »Kind, was hast du ewig mit diesen Menschen zu tun?«

      »Es hat mir einmal eine arme Frau gesagt, wie sie es machen, sie gehen herum und spionieren aus. Glaubst du, daß Alfred nicht doch mit Mama fertig werden könnte? Wenn er das für uns täte. Für uns beide. Und wir brauchten Harro nicht den bittern Kelch zu trinken geben und nicht dem Vater.«

      »Dein Vater hat ein kleines Landhaus in der Schweiz. Er hat es immer vermietet. Weil niemand dort wohnen wollte und er es nicht gut verkaufen konnte. Wenn Alfred es zuwege brächte und die Fürstin mit ihm, sagen wir, zur Erholung ginge.«

      »Oh, geh hinauf, Ulrike. Sag ihm, ich flehe ihn an. Ich könnte es nicht übers Herz bringend, es Harro zu sagen.«

      Ulrike erhob sich. »Da kann er Buße tun, der Filou, das kann er. Schier zu hart ist's für ihn, Rose. Marga kann ihn vielleicht einmal ablösen. Aber warum soll er nicht auch einmal auf eine harte Nuß beißen! Wer weiß, wie lange es währt.«

      Sie ging hinauf und setzte sich an Alfreds Bett.

      Er hatte sich hinein gelegt und lag da, seine schmalen Hände unter seinem Kopf gekreuzt, sein Jünglingsgesicht ganz verändert, wie in die Länge gezogen, schmerzbeladen.

      Ulrike nickte ihm zu. Dann brachte sie ihre Botschaft vor. Seine blauen Augen wurden starr vor Entsetzen...

      »Das kann ich nicht, Gräfin. Wenn Sie meine Schwester gesehen hätten – mit ihr zusammen zu sein – an einem Tisch essen. Ist das ein Leben für mich? ... Ein Gefangenenhüter. Und meine eigene Schwester!«

      Ulrike erhob sich: »Dann muß eben das Kind entscheiden, wen sie heute noch ins Herz treffen will. Es ist hart für sie ...«

      Alfred fuhr auf: »Warten Sie noch, Gräfin. Tue ich ihr einen Dienst damit? Ich hätte noch eben gesagt: Ich liefe für sie in die Hölle. Sagen Sie selbst, ob es nicht ein Höllenleben gibt.«

      »Es wird nicht ewig währen...«

      »Ich weiß aber, was die paar Stunden heute waren ...«

      »Alfred, das Leben gibt Ihnen nun Gelegenheit, für die Menschen, die Sie lieben, etwas ganz Großes zu leisten. Etwas, was Ihnen unter gewöhnlichen Verhältnissen kein Mensch zumuten würde. Ich glaube Ihnen, daß Sie lieber um den Thorstein in der Sonne herumhängen würden und der lieben Frau Rosen schneiden und dem Heinz Buzemänner machen. Aber wenn Sie es versuchten! Nur einmal für die nächsten sechs Wochen, bis wir vielleicht weiter sehen! Gott, eine solche Last kann man nicht ewig mit sich herumtragen.«

      Alfred sagte: »Gehen Sie hinunter und sagen Sie, daß die Herrin über mich gebiete ...«

      Tante Ulrike schlug ihm auf die Schulter. Es war ein Ritterschlag.

      Dann ging sie hinunter und setzte sich ans Bett der Rose und half ihr durch die grimmige Leidensnacht hindurch.

      Am andern Morgen kam ein ganz seltsam veränderter Alfred zu seinem Schwager. Zuvor war er bei seiner Schwester gewesen. Die Unterredung gab ihm einen Vorgeschmack seiner künftigen Tätigkeit. Aber er hatte seine Schwester besiegt. Wie sie sah, daß er ihr mit dem Thorsteiner drohte, gab sie nach.

      Der Fürst war sehr erstaunt. »Ja, ein Aufenthalt in reiner Höhenluft wäre vielleicht gut. Aber sie wird nicht dazu zu bringen sein.«

      Es währt einige Zeit, bis er begreift, daß sich Alfred als Begleiter anbiete. Aber als er die Sache erst überlegt hatte, war er sehr erleichtert.

      Harro dagegen war erstaunt und fast ärgerlich.

      »Alfred, Sie sollten doch endlich am Müßiggang genug haben. Pflege! Die überlassen Sie doch den verschiedenen Weiblichkeiten. Sie hätten besser getan, mir hier Bretter zu streichen.«

      Nicht Zum geringsten in des armen Alfred Martyrium gehört es, daß er auch noch Harros Verachtung zu tragen hat.

      Aber ein einziges Mal wird es ihm doch noch gut. Er darf ganz allein an Rosmaries Chaiselongue kommen und neben ihr sitzen. Und sie sieht ihn so dankbar und so rührend an, daß es ihm das Herz erhebt.

      Sie sagt: »Ich danke Ihnen, daß ich nun ruhig sein kann. Ich bin aus der großen Angst nicht herausgekommen, daß Mama etwas Unvorsichtiges tut. Und wenn Mama wieder einmal von mir hören kann, so sagen Sie ihr, daß ich nun einsehe, wie ich sie oft gereizt und gekränkt habe. Es ist jetzt zu spät, das gut zu machen. Man kann ja nie etwas wieder gut machen. Aber ich möchte, daß es Mama

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