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des Kalten Krieges war von antikommunistischen Verschwörungstheorien geprägt, die Zeit der RAF in Deutschland und der Roten Brigaden in Italien von teils hysterischen Reaktionen auf alles, was irgendwie als links galt.

      Im Grunde kreisen auch die verzweigten wissenssoziologischen und politischen Diskurse über den Begriff der Ideologie von Beginn an um die Frage, ob es denn überhaupt so etwas wie eine objektive Faktenlage gibt. Die Debatte reicht von Marx über die Frankfurter Schule, den kritischen Rationalismus bis zu Jean-François Lyotards Behauptung, wir lebten inzwischen in einem postideologischen Zeitalter, und der Gegenthese Slavoj Žižeks, der Glaube, wir lebten ohne Ideologien, sei in Wahrheit der Nährboden für eine neue Form der Ideologie.

      Vor neue Herausforderungen stellen uns das Internet und die sozialen Netzwerke mit ihren Filterblasen. Über die Folgen des Netzes schreibt Sascha Lobo: »Strukturell betrachtet hat die vernetzte Öffentlichkeit in der Jetzt-Form kein Gedächtnis, sondern lässt sich von emotionalen Sofortreaktionen leiten. Damit fehlt der Abgleich mit Fakten oder früheren Äußerungen.«8 Wie Lenz Jacobsen ergänzt, haben wir uns außerdem so »daran gewöhnt, fertiges Wissen aus dem Netz einfach herunterzuladen (Wikipedia!), dass wir verlernen, die Aussagen auf Plausibilität zu prüfen. So gerät die zweite Säule ins Wanken: Die Praxis der Vernunft.«9

      Jacobsen kritisiert, dass die Fakten selbst politisiert sind, weshalb man auch den Experten misstraut. Statt evidenzbasierter Politik, wie sie die unzähligen Expertengremien vom Rat der Wirtschaftsweisen, über Bioethikkommissionen bis zum Weltklimarat verheißen, sehen wir uns mit politikbasierter Evidenz konfrontiert, die jedes Vertrauen in wissenschaftliche Faktensuche wie auch in die Politik untergräbt. Ideologisch hoch aufgeladene Wissenschaftszweige wie die Genderforschung wecken Zweifel daran, dass wenigstens auf die Wissenschaft als Hüterin der Wahrheitsliebe und der Wahrheitssuche Verlass ist. Am Ende versuchen Politiker wie Angela Merkel, ihren Machtanspruch mit dem Argument der Alternativlosigkeit ihrer Politik durchzusetzen, so etwa in der Bankenkrise und in der Eurokrise, welches aber die Krise der politischen Vernunft nur weiter verschärft und die Demokratie weiter in Gefahr bringt.

      »Demokratie ist«, mit Eduard Kaeser gesprochen, »der politische Raum, der uns das Recht für dieses Fragen und Prüfen gibt. In ihm beugt sich die Macht dem Argument, nicht das Argument sich der Macht. Allein schon indem man dies ausspricht, muss man zugeben, dass von einem gefährdeten Ideal die Rede ist. Die Zersetzung der Demokratie beginnt mit der Zersetzung ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen. Das heisst, sie ist bereits im Gange. Zeit, dass wir uns bewusstmachen, was auf dem Spiel steht.«10 Ursula Scheer sekundiert: »Das Ende der Wahrheit gibt es genauso wenig wie das Ende der Geschichte. Vielleicht wäre es Zeit für eine neue Sachlichkeit.«11 Worin die neue Sachlichkeit bestehen könnte, erklärt Alard von Kittlitz folgendermaßen: »Eine demokratische Debatte lebt von belegbaren Fakten, über die Einigkeit herrscht. Die Auseinandersetzung entzündet sich dann an der Frage, was aus diesen Fakten eigentlich folgt. Einigkeit: ›In Fukushima ist ein Kernkraftwerk havariert.‹ Uneinigkeit: ›Ausstieg aus der Atomenergie!‹–›Atomenergie noch sicherer machen!‹ Oder Einigkeit: ›Den Griechen droht der Bankrott.‹ Uneinigkeit: ›Rettungspaket schnüren!‹–›Raus aus dem Euro!‹«12

      Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut und eine unverzichtbare Grundlage jeder funktionierenden Demokratie, ebenso die Unterscheidung zwischen Nachricht und Kommentar. Auch wenn selbst in Qualitätsmedien Anspruch und Wirklichkeit gelegentlich auseinanderklaffen, ist doch die Verunglimpfung der Medien in westlichen Demokratien mit dem Vokabular der Nazis als »Lügenpresse« haltlos und entschieden zurückzuweisen. Zwar gibt es keine bruta facta, keine uninterpretierten Fakten. Das journalistische Ideal: »Fakten, Fakten, Fakten!« ist gleichwohl mehr als bloß der Werbespruch des deutschen Nachrichtenmagazins »Focus«, und wer sich die Mühe macht, verschiedene Qualitätsmedien nebeneinanderzulegen, wird berechtigterweise annehmen dürfen, sich ein halbwegs zuverlässiges Bild von der Lage zu machen. Wenn aber nicht nur die Interpretation der Fakten und die aus ihr abzuleitenden Schlussfolgerungen für das politische Handeln, sondern schon die Fakten selbst zur reinen Ansichtssache erklärt werden, droht das Ende der politischen Vernunft.

      Als Brandbeschleuniger der Demokratiekrise aber wirken die Moralisierung und Emotionalisierung politischer und gesellschaftlicher Konflikte, die sich auch in Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft beobachten lassen. Mit beidem werden wir uns im Folgenden kritisch auseinandersetzen.

       MORAL UND HYPERMORAL

      1969 veröffentlichte der Philosoph Arnold Gehlen sein Werk über Moral und Hypermoral.13 In ihm setzte er sich mit der Pluralisierung der Ethik in der modernen Gesellschaft auseinander und kritisierte zugleich Tendenzen, die er als Hypermoral bezeichnete. Tatsächlich ist die moderne Gesellschaft durch einen prinzipiellen Pluralismus gekennzeichnet, der auch auf das Gebiet von Moral und Ethik durchschlägt. Charakteristisch für die heutige Gesellschaft sind nicht nur moralische Konflikte, sondern die Konflikte unterschiedlicher Moralkonzepte und die Konkurrenz divergierender Ethikkonzeptionen.

      Die europäische Aufklärung hatte sich zum Ziel gesetzt, ein universal gültiges Ethos zu formulieren, dessen Maximen und Verfahren zur Konfliktlösung jedem vernünftigen Menschen einsichtig seien und als verbindlich anerkannt würden. Heute ist uns freilich bewusst, wie sehr das vermeintlich universale Ethos der nachaufklärerischen Moderne inhaltlich durch die vorausliegende christliche Tradition bestimmt war, in der das Erbe der Antike fortwirkte. Im Konkurrenzverhältnis der Kulturen und Religionen erscheint der universale Standpunkt der aufgeklärten Vernunft als ein partikularer, seine vermeintliche Voraussetzungslosigkeit als dezisionistisches Postulat. Ferner stehen uns heute die dialektischen Folgen der Aufklärung und ihres Vernunftbegriffes vor Augen.

      Die 1968er-Bewegung führte zu einer massiven Kritik und Infragestellung der herkömmlichen bürgerlichen Moral, insbesondere auf dem Gebiet der Sexualität und des Verhältnisses der Geschlechter. Auch in Theologie und Kirche setzte ein Umdenken ein, zum Beispiel im Bereich der Seelsorge und der religiösen Bildung. Befreiung von jeglicher Moral, die den Willen Gottes mit kleinbürgerlichen Moralvorstellungen verwechselt, galt als oberstes Ziel. Nicht die Erlösung von Schuld, sondern die Befreiung von Schuldgefühlen und moralischer Indoktrination galt als Inbegriff des Evangeliums. Dass die Befreiung von der überkommenen Moral selbst doktrinäre Züge annehmen konnte, wurde dabei oft übersehen. Es ging nicht länger um die Begründung, sondern um die Kritik von Autorität und gesellschaftlichen Autoritäten.

      Damals stellte der Philosoph Walter Schulz folgende Diagnose: »Die ethische Fragestellung scheint gegenwärtig auch für das allgemeine Bewußtsein nicht mehr vorrangig zu sein.«14 In den beiden zurückliegenden Jahrzehnten hat sich die Bewusstseinslage, vordergründig betrachtet, erheblich gewandelt. Allerorten erschallt der Ruf nach Ethik. Dieselbe Wissenschaft, die in den 1970er Jahren für die Abdankung der Ethik verantwortlich gemacht worden ist, stößt inzwischen in der Gesellschaft auf ein tiefes Unbehagen und Misstrauen. Nach der Verwissenschaftlichung der Ethik scheint nun die Ethisierung der Wissenschaften, nach der Politisierung der Moral die Moralisierung der Politik gekommen zu sein. Der Bedarf an Ethik soll durch neu errichtete Institute und Lehrstühle gedeckt werden. Ethik in den Wissenschaften, näherhin Medizin-, Wirtschafts- und Umweltethik sind inzwischen als neue Forschungsbereiche etabliert. Außerdem bemühen sich die Kirchen und christliche Kreise, das globale Verantwortungsbewusstsein durch das Postulat einer Schöpfungsethik zu schärfen.

      Bei genauerer Betrachtung lässt sich allerdings bezweifeln, dass sich die von Schulz beschriebene prekäre Lage der Ethik grundlegend geändert hat. Der inflationäre Gebrauch des Ethikbegriffs im allgemeinen Sprachgebrauch beweist noch lange nicht, dass es einen Fortschritt in der ethischen Theoriebildung, geschweige denn eine »neue Ethik« gibt. Von interessierter Seite wird eine Vielzahl von Genitiv-Ethiken gefordert und gefördert, um die geschwundene Akzeptanz von Wissenschaft und Technik zurückzugewinnen. Die ethische Suche nach pragmatischen Lösungen technokratischer Probleme und Konflikte trägt jedoch über weite Strecken selbst die Züge technischer Rationalität.

      Im Ruf nach einer Erneuerung der Ethik oder gar einer neuen Ethik kann sich auf der anderen Seite der Protest gegen diese Rationalität äußern, ein allgemeines Unbehagen in der Kultur. Im gesellschaftlichen

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